• Politik
  • Erinnerung an das NS-Regime

Kollektive Gedächtnisstützen

Aktive Erinnerungsarbeit ist besonders wirksam, um die Erinnerung an die NS-Verbrechen wachzuhalten

»Arbeit macht frei« steht auf dem Eingangstor des ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen. Welche Gräuel sich dahinter verbergen, muss der neuen Generation erklärt werden.
»Arbeit macht frei« steht auf dem Eingangstor des ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen. Welche Gräuel sich dahinter verbergen, muss der neuen Generation erklärt werden.

Das Gedenken am 80. Jahrestag der Befreiung vom NS-Regime wirkt wie ein Ritual. Es kommt wie selbstverständlich daher. Doch das ist es nicht. Denn die extreme Rechte, allen voran die AfD, untergräbt die historische Aufarbeitung. Sie würde allzu gerne die Geschichte umschreiben und die NS-Tyrannei verharmlosen, als Vogelschiss in der deutschen Geschichte betrachten, wie es der AfD-Grande Alexander Gauland auf einem Kongress der inzwischen aufgelösten Jugendorganisation Junge Alternative 2018 formulierte. Systematisch verbreitet die Partei Zerrbilder über die NS-Zeit auf ihren Social-Media-Kanälen.

»Partizipative Ansätze stärken das Vertrauen in die eigene Wirksamkeit.«

Ruth Ditlmann 
Studienleiterin von der Hertie School

Umso einflussreicher die extreme Rechte wird, desto notwendiger sind Konzepte, die über die NS-Barbarei aufklären und den Schrecken angesichts dieser aufrechterhalten. Mit gutem Grund ist es in Deutschland verboten, Hakenkreuze zu malen oder den Arm zum Hitlergruß zu strecken, wie es der US-Milliardär und Tesla-Chef Elon Musk nach der Wahl von Donald Trump etwa machte. Lange Zeit war das ein gesellschaftlicher Konsens, doch die nachfolgenden Generationen, die keine Zeitzeugen mehr treffen können, müssen davon überzeugt werden.

Viele Gedenkstätten, Museen und Archive setzen auf partizipative und digitale Formate, um das Erinnern lebendig zu halten. Sie erhoffen sich, damit vor allem jüngere Menschen zu erreichen. Doch bislang fehlten wissenschaftliche Erkenntnisse über deren Wirkung. Eine Studie von Forschenden des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung und der Hertie School zeigt die Wirksamkeit aktiver Erinnerungsarbeit, die Teilnehmende mehr motiviert als eine passive, sich für Gedenkarbeit und eine offene Gesellschaft zu engagieren.

Im Zentrum der Untersuchung stand das Projekt »#everynamecounts«, ein digitales Mitmach-Projekt der Arolsen Archives, bei dem Freiwillige historische Dokumente zur Verfolgung verschiedener Gruppen in der NS-Zeit digitalisieren und somit eine umfangreiche Datenbank über Verfolgte des Nazi-Regimes erstellen. Eine Hälfte der Teilnehmenden nahm aktiv an diesem Projekt teil und digitalisierte Karten von Häftlingen des Konzentrationslagers Buchenwald. Die andere Gruppe erhielt lediglich Informationen über die NS-Verfolgung und die archivierten Dokumente (Studie 1) oder gar keine Informationen (Studie 2). Anschließend wurden die Gruppen befragt.

Die Ergebnisse sind eindeutig: Die Teilnehmenden der aktiven Gruppe waren nach dem Projekt stärker motiviert, sich für Gedenkprojekte zu engagieren. Sie gaben außerdem an, sich über die konkrete Erinnerungsarbeit hinaus gegen Diskriminierung und für Menschenrechte einsetzen zu wollen. Die Untersuchung belege »das Potenzial partizipativer Ansätze im Vergleich zu traditionellen Methoden, die sich auf reine Informationsvermittlung konzentrieren«, sagt Studienkoordinatorin Ruth Ditlmann von der Hertie School. »Sie stärken das Vertrauen in die eigene Wirksamkeit – ein zentraler Motor für bürgerschaftliches Engagement.«

Darüber hinaus zeigt die Studie, dass eine aktive Auseinandersetzung mit NS-Verbrechen auch das Bewusstsein für andere historische Ungerechtigkeiten – etwa Kolonialverbrechen – fördern kann. Teilnehmende der aktiven Gruppe in der Untersuchung waren anschließend stärker motiviert, der Opfer des deutschen Kolonialismus zu gedenken oder sich an der Erinnerungsarbeit zu beteiligen.

Floriane Azoulay, Direktorin der Arolsen Archives, sieht sich in der aktiven und niedrigschwelligen Einbindung von Menschen in digitale Erinnerungsprojekte bestätigt. »Die Studie zeigt: Wenn Menschen sich bei #everynamecounts engagieren, entsteht eine kollektive und wirkungsvolle Gedenkarbeit, die in dieser Form bisher nicht möglich war – persönlich und gleichzeitig global verbunden und mit anderen im Austausch.«

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.