»Gespenster wie wir«: Schöne Wunden

Das eigene Leben als Film: »Gespenster wie wir« von Stefan Meetschen

  • Björn Hayer
  • Lesedauer: 3 Min.

Mal ehrlich: Wer stellte sich noch nie vor, einen Film über das eigene Leben anschauen zu dürfen? Der Autor Stefan Meetschen hat sich diesen Wunsch erfüllt und – im übertragenen Sinne – sogar selbst Regie geführt. Denn in seinem neuen Roman »Gespenster wie wir« durchsucht er keine staubigen Archivkisten zur Familiengeschichte, sondern lässt sie von einem erfundenen Filmemacher in Szene setzen. Wie der Schriftsteller besitzt auch er einen deutsch-polnischen Hintergrund und verbrachte seine Jugend in Duisburg. Zusammengenommen mit der Fluchterfahrung der eigenen Mutter kann man all dies als einen hervorragenden Stoff für das Kino erachten!

Allerdings steht das autobiografische Werk des Protagonisten Albert Simon anfangs unter keinem guten Stern. Die deutsche Filmförderung lehnt die Unterstützung ab. Hinzu kommt, dass der Regisseur bald in die Schlagzeilen gerät und sein Team dadurch nach und nach auf Abstand zu ihm geht.

Was zunächst vor allem nach einer literarischen Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft klingt, mithin auch mit der Rolle der Ahnen im Nationalsozialismus, birgt weitaus mehr. Es ist wohl das Journalisten-Gen des 1969 geborenen Publizisten, das diesem Text deutliche Züge eines Zeitromans verleiht. Kritisch arbeitet sich der Schriftsteller mitunter an der politischen Realität im Polen der vergangenen beiden Dekaden ab oder geht dem Morast einer neuen Fremdenfeindlichkeit und Homophobie auf den Grund.

Im Hauptfokus stehen unterdessen die Fake News. Der sich immer wieder berappelnde Regisseur wird nämlich ebenso eines ihrer Opfer, als eine Mitarbeiterin den letztlich falschen Vorwurf des sexuellen Missbrauchs gegen ihn erhebt. Diesem ihn zu einem »Monster« degradierenden Feminismus setzt Meetschen ein anderes Bild starker Weiblichkeit entgegen, indem er beispielsweise von einer Aktivistin erzählt, die sich mutig in der Ukraine engagiert. Bewundernswert findet Simon »Frauen, die sich nicht endlos um sich selbst, Geschlechtergerechtigkeit und ihre emotionalen Befindlichkeiten drehten, sondern wussten, dass das Böse sich nicht in Geschlechtskategorien einteilen lässt. Beide Geschlechter werden attackiert – von innen wie von außen.«

Uns allen widerfährt an irgendeinem Punkt unserer Existenz Leid, wir alle werden, unabhängig von den Voraussetzungen, die wir mitbringen, auf die Probe gestellt. Daran jedoch nicht zugrunde zu gehen, versteht sich als die Hauptbotschaft dieses mit Herz und zeitdiagnostischem Sachverstand gleichermaßen geschriebenen Textes. Er strebt danach, »die Wunden unseres Lebens in Schönheit zu verwandeln«. Nicht zufällig lautet der Titel des Films im Buch daher »Transmutation«. Wie schon seine Eltern durchläuft der Protagonist einen Weg der Veränderung. Am Ende steht eine mögliche Vaterschaft, die Aussicht auf eine bessere Zukunft.

Meetschen, selbst gläubiger Katholik, sieht dafür primär das menschliche Handeln in der Pflicht. Aber eben nicht nur. Viele Begegnungen – von der engelhaften Nonne bis zum brandstiftenden Priester – muten in dieser Geschichte schicksalhaft an, genauso wie ein ziemlich unerwartetes Millionenerbe. Überkonstruiert erscheint die Story trotzdem nicht, eben weil der Autor ganz gezielt auf eine metaphysische Kulisse hinweisen will. Es könnte somit eine all die globalen und persönlichen Krisen lösende, überweltliche Macht geben, so die Hoffnung. Dass man in einer von Dystopien regierten Gegenwart noch solch helle, anmutige Bücher findet, muss man als wahres Geschenk bezeichnen. Den Geistern dieses Romans darf man also getrost vertrauen.

Stefan Meetschen: Gespenster wie wir. Ruhland, 236 S., geb., 24 €.

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