Die Linke in Berlin: Immer noch ein bisschen Punk

Parteitag der Berliner Linken: Überraschend schlechtes Ergebnis für Landesspitze

Mit einem Dämpfer gestartet: Die neue Linke-Landesspitze aus Kerstin Wolter und Maximilian Schirmer.
Mit einem Dämpfer gestartet: Die neue Linke-Landesspitze aus Kerstin Wolter und Maximilian Schirmer.

Ein Rüffel wie aus dem Nichts: Nachdem sich die Berliner Linkspartei bei ihrem Landesparteitag an diesem Wochenende über weite Strecken ungewohnt geeint präsentierte, strafte sie am Ende doch überraschend deutlich die beiden Kandidaten für die Doppelspitze des Landesverbands ab. Die neu antretende Vorstandskandidatin Kerstin Wolter erhielt 71,9 Prozent der Stimmen, ihr Mitstreiter, der für eine weitere Amtszeit kandidierende Maximilian Schirmer, sogar gerade mal 61,9 Prozent. Damit blieben sie teils deutlich hinter dem Ergebnis zurück, das Schirmer gemeinsam mit der nicht erneut kandidierenden Franziska Brychcy 2023 erzielte (73,4 bzw. 85 Prozent).

Im Saal wirkten selbst die Delegierten ob der Deutlichkeit der Klatsche bei der Vorstandswahl am Samstagabend kurz irritiert. Auf einen kurzen Höflichkeitsapplaus für Schirmer folgten Momente peinlicher Stille. Auch Schirmer schien sichtbar düpiert und lächelte gequält, während er einen Blumenstrauß zur Gratulation entgegennahm.

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Bis zu diesem Zeitpunkt hatte wenig auf größere Konflikte im Landesverband hingewiesen. Im Gegenteil: Ohne die Vorstandswahlen am Ende wäre der Parteitag wohl als einer der ruhigsten seit Jahren in die Geschichte eingegangen. Über weite Strecken präsentierte sich die notorisch streitlustige Berliner Linkspartei geschlossen. Nachdem der letzte Landesparteitag in einen heftigen Streit über Antisemitismus gemündet hatte, in dessen Zuge mehrere prominente Parteivertreter ihren Austritt aus der Partei erklärten, wollte man diesmal lieber nichts anbrennen lassen.

»Viele haben uns totgesagt, aber wir haben gesagt, dass es jetzt nach vorne geht«, eröffnete Schirmer den Parteitag am Samstagmorgen. Das neu gefundene Selbstvertrauen zog sich durch alle Reden von Funktionären und Delegierten: Stand Die Linke nach der BSW-Abspaltung und anhaltenden Richtungsstreitigkeiten noch am Ende des vergangenen Jahres selbst in Berlin in den Umfragen in gefährlicher Nähe zur Fünf-Prozent-Hürde, rappelte man sich innerhalb weniger Monate auf und konnte am Ende bei der Bundestagswahl in der Hauptstadt vier Direktmandate holen und mit fast 20 Prozent der Stimmen stärkste Kraft werden. Ein jahrzehntelanger Negativtrend bei der Mitgliederentwicklung konnte ins Gegenteil verkehrt werden: Mit 8000 Neueintritten verdoppelte sich die Zahl der Mitglieder innerhalb von anderthalb Jahren.

Da darf man schon mal träumen: »Wir werden auch bei der Abgeordnetenhauswahl im nächsten Jahr stärkste Kraft«, gab Landesvorsitzender Schirmer den Ton an. Katina Schubert, Mitglied des Abgeordnetenhauses, reklamierte schon mal den Chefposten im Senat für die Sozialisten: »Das Rathaus muss im nächsten Jahr richtig rot werden«, rief sie den Delegierten zu. Alles andere anzustreben würde bedeuten, sich selbst zu verzwergen, so die ehemalige Landeschefin.

Die Euphorie griff auch auf die Delegierten über. Frei nach dem Motto »Selbstlob stinkt nicht« lobten Basismitglieder wie Funktionäre die Strategie im Bundestagswahlkampf (»Ich weiß nicht, ob es in Berlin eine Haustür gab, an der wir nicht geklopft haben«, so etwa der Abgeordnete Niklas Schenker) und kündigten an, den direkten Kontakt mit den Bürgern noch weiter intensivieren zu wollen. Mindestens ebenso laut schwor man sich darauf ein, sich thematisch weiter auf Mietenpolitik zu fokussieren. »Wir sind die einzige Partei, bei der die Bimmel da an ist«, bemerkte die neugewählte Vorsitzende Kerstin Wolter nicht zu Unrecht.

Der Leitantrag, dessen fünf Seiten mit den zwei Worten »Weiter so« zusammengefasst werden können, wurde am Ende ohne Gegenstimme angenommen – auch das ein seltenes Ereignis bei den Genossen. Selbst beim ewigen Streitthema Nahost schien man sich auf einen Burgfrieden geeinigt zu haben. Vertreter des palästina- wie des israelsolidarischen Flügels wiederholten in ihren Reden gebetsmühlenartig eine gemeinsame Formulierung, mit der offenbar alle Seiten leben konnten: Man wolle jüdisches Leben in Berlin gegen Angriffe schützen, aber man verurteile auch Kriegsverbrechen in Gaza.

Nur eine mit Palästinensertuch bewaffnete Genossin stellte sich gegen den stillschweigenden Konsens und forderte vom Rednerpult die Wiederaufnahme des wegen Antisemitismus-Vorwürfen aus der Partei ausgeschlossenen Aktivisten Ramsis Kilani und ein offenes Bekenntnis zum umstrittenen Bundesparteitagsbeschluss, sich künftig auf die eng gefasste Jerusalemer Erklärung als Definition von Antisemitismus zu berufen. »Der Antisemitismus-Vorwurf wird genutzt, um kritische Stimmen zu unterdrücken«, rief sie in den Raum. Trotz augenscheinlicher Mehrheit der palästinasolidarischen Delegierten antwortete der Saal mit Buh-Rufen.

Warum also das schlechte Ergebnis für die neue Landesspitze? Unter den Delegierten kursierten zu dieser Frage verschiedene Theorien. Schirmer sei als Landesvorsitzender blass geblieben und weder öffentlich bekannt noch nach innen mitreißend, hieß es etwa von einigen. Andere warfen Schirmer vor, den lange schwelenden Streit über den Nahost-Konflikt im Landesverband zu lang unzureichend moderiert zu haben – und so für die Eskalation beim vergangenen Landesparteitag mitverantwortlich zu sein.

»Viele haben uns totgesagt, aber wir haben gesagt, dass es jetzt nach vorne geht«

Maximilan Schirmer (Linke) Landesvorsitzender

Am häufigsten ist aber Unmut über Kungelei bei der Besetzung des Landesvorstands zu vernehmen. Viele Delegierte stören sich daran, dass die zwei parteiintern wichtigen Ämter des Landesgeschäftsführers und des Schatzmeisters entgegen den feministischen Grundsätzen der Partei mit Björn Thielebein und Ruben Lehnert an zwei Männer gingen. Besonders bei Lehnert, einem exponierten Vertreter des zuletzt im innerparteilichen Machtgefüge massiv an Bedeutung gewinnenden Kreisverbands Neukölln, wirkt es doch recht offensichtlich, dass eher Flügellogik statt strategischer Überlegungen bei der Besetzung entscheidend waren.

Die mauen Wahlergebnisse setzten sich bei den nachgestellten Funktionen fort: Von den vier gewählten stellvertretenden Vorsitzenden erhielten drei Ergebnisse um die 60 Prozent. Mit 72 Prozent nur unmerklich besser abschneiden konnte die Abgeordnete Elif Eralp, die dem Vernehmen nach im Abgeordnetenhauswahlkampf im kommenden Jahr eine prominente Rolle spielen könnte.

Eher subtil setzte sich mit der Vorstandswahl ein Trend fort, der schon 2023 begonnen hat: Die in Westberlin mit Machtzentrum Neukölln zentrierten bewegungsaffinen und fundamentaloppositionellen Kräfte können ihre Stellung gegenüber dem realpolitisch orientierten Flügel mit Hochburgen in Ostberlin ausbauen. Der Doppelspitze gehört erstmals seit Gründung der Linkspartei im Jahr 2007 kein Mitglied des Abgeordnetenhauses mehr an. Eine Entwicklung, die erneut für Streit sorgen könnte: Denn in der Fraktion im Abgeordnetenhaus sitzen überwiegend Reformkräfte.

Aufflammen werden die Konflikte wohl spätestens im Vorfeld der Abgeordnetenhauswahl im kommenden Jahr, wenn die Kandidaturen auf der Landesliste und in den Wahlkreisen bestimmt werden. Einen Vorgeschmack könnte es schon vorher geben: Die Delegierten zum Landesparteitag wurden 2024 gewählt – vor dem zwischenzeitlich vollzogenen Mitgliederboom. Eigentlich sollen sie noch bis 2026 amtieren.

Das sorgt für Unmut. »Wir haben quasi eine Neugründung der Partei erlebt«, sagte ein Delegierter. Daher wollen viele in der Partei die Entsandten der Kreisverbände zum Parteitag nun neu wählen. Doch die neuen, zumeist jungen Mitglieder neigen in großer Mehrheit den Fundis zu – und könnten das Machtgefüge so weiter verschieben. Beim realpolitischen Flügel tritt man daher auf die Bremse. Die Neumitglieder müssten zunächst einmal parteiinterne Bildungsangebote durchlaufen, heißt es dort. Ein unschwer erkennbarer Versuch, das Thema auf die lange Bank zu schieben. Zunächst mit Erfolg: Der Landesparteitag verschob das Thema in eine Kommission.

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