DDR-Architektur: Visionär, utopisch, real

Ausstellung von Architekturzeichnungen aus der DDR in der Tchoban-Galerie

  • Danuta Schmidt
  • Lesedauer: 4 Min.
Siegfried Wagner: Klubraum für Jugendberberge von 1956
Siegfried Wagner: Klubraum für Jugendberberge von 1956

Dass Architekten gute Zeichner sind, oft auch Künstler, die sich nicht nur mit Fundamenten, Bauphysik und Statik auskennen, beweist die neue Ausstellung in der Berliner Tchoban-Galerie. Die DDR wird oft reduziert auf angeblich »grauen Alltag«, Plattenbau und verfallende Altbausubstanz. Dass dort aber Architekten lebten, die Ideen und Träume hatten mit viel Farbe und Fantasie, das bringt die Ausstellung »Pläne und Visionen« mit Architekturzeichnungen aus der DDR berührend schön mit Linien auf den Punkt. Die realisierten Pläne hängen im ersten Geschoss, während die Träume und Wohnzimmerfantasien in der zweiten Etage dem Himmel ein Stück näher sind.

Kamen die jungen DDR-Architekten vom Studium in Weimar, Dresden oder Berlin, wurden sie, wie heute auch, ernüchtert durch technisierte Bauprozesse und Sparmaßnahmen. »Entwürfe, mein Lieber, sind immer schöner und mutiger, sie schweifen ungefesselt durch ein Phantasiereich wie Sommerwolken«, zitiert Wolfgang Kil aus Brigitte Reimanns Roman »Franziska Linkerhand«. Dort heißt es: »Der Augenblick, wenn du mit dem Stift die erste Linie ziehst, eine zarte grauschwarze Linie wie angelaufenes Silber – das ist aufregender als der erste Kuss.«

»Es war nicht ganz einfach, den Beirat des Museums zu überzeugen, dass das DDR-Thema spannend sein könnte«, sagt Wolfgang Kil. Die Idee wurde bereits vor fünf Jahren an das Leibniz-Institut für raumbezogene Sozialforschung (IRS) in Erkner herangetragen. Vor einem Jahr wurde es spruchreif und Kil sollte Autor des Katalogs sein. In Erkner sah er bei der Sichtung von Nachlässen, dass das Ganze doch zu einseitig wäre und bat, selbst noch mehr zu tun. So wurden Kai Drewes vom IRS und Wolfgang Kil die Kuratoren dieser Ausstellung.

»Ich habe dann Leute mit eingebracht, deren Nachlässe anderweitig untergebracht sind, die noch leben und die zum Teil noch als Architekten arbeiten«, erklärt Kil. »Ich wollte auch Sachen haben, die in der Berlinischen Galerie sind oder in Dresden im Landesdenkmalamt, zum Beispiel zum Kulturpalast in Dresden.«

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Kil hat in Weimar studiert und dort auch zeichnen gelernt bei Alfred Pretzsch, den er verehrt. Der Zeichenlehrer Pretzsch bekam einen Platz in der Ausstellung. »Es ist eine Art Grauzone, die Architekturzeichnung. Es gab nicht wenige Architekten, die sich auch als Grafiker sahen und sogar auch gute Grafiker wurden«, sagt Kil. Der Architekt hatte das Glück, durch das umgebaute Leipziger Stadtarchiv geführt zu werden. Dort bekam er einen Überblick über viel historisches Material. »Viele Orte sammeln baubezogene Kunst, kaum jemand sammelt die privaten Zeichnungen der Architekten, die vor allem auch auf Reisen entstehen.« 140 Zeichnungen wurden aus dem IRS, zahlreichen Museen, aus öffentlichen und privaten Sammlungen herangeschafft.

»Die beiden Kuratoren wollten gern viele Bilder in die Ausstellung bringen und das war eine Herausforderung, weil wir die kleinen Räume ohne Fenster haben«, berichtet Annika Paetsch, die für die Gestaltung verantwortlich war. »Die beiden waren sehr zuversichtlich, dass alles reinpasst und sie haben uns gezwungen, es zu probieren und am Ende kam etwas sehr Schönes heraus.«

Es sind Zeichnungen aus den 1950er bis 1980er Jahren mit Kohle, Tusche, Wachskreide und Bleistift, oft auf Transparentpapier. Zum Teil 70 Jahre alt schmorten viele Zeichnungen in privaten Familienarchiven. Werner Rösler ist mit großformatigen Zeichnungen vom Palast der Republik dabei. »Ich traf hier auf der Vernissage Franziska Schwarzbach, die Zeichnerin bei Werner Rösler war«, erzählt Kil dazu. »Dieser wollte für das Erdgeschoss alle Säulen in deutsche Eiche verwandeln. Und dann hat sie sich hingesetzt und hinter seinem Rücken alle wieder heruntergekratzt.«

Hans-Dietrich Wellner war der meistbeschäftigste Zeichner in Leipzig. Er hatte ein großes Gespür für räumliche Zusammenhänge von Bauvorhaben. Wellner ist der Einzige, der auf beiden Etagen vertreten ist. Nicht nur künstlerisch, auch historisch sind die Zeichnungen wichtige Zeitzeugnisse aus 40 Jahren DDR. Neben Dieter Bankert, Manfred Prasser, Michael Kny und Michael Voll ist auch Günter Reiss mit einem Wettbewerbsentwurf für den Bayrischen Platz in Leipzig dabei. Keine fünf Kilometer Luftlinie vom Ausstellungsort entfernt schwebt in Berlin das von ihm geplante Sport- und Erholungszentrum (SEZ) noch immer in Abrissgefahr. Papier ist geduldig und lässt sich verstauen. Das SEZ soll abgerissen werden.

Ausstellung »Pläne und Träume – Gezeichnet in der DDR«, bis 7. September, Tchoban-Foundation, Christinenstraße 18a in 10119 Berlin, Mo.–Fr. 14–19 Uhr, Sa. und So. 13–17 Uhr, Eintritt: 6 Euro, ermäßigt 4 Euro

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