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RIAS: Zerrbild zu Antisemitismus
Studie wirft Meldestellen Einseitigkeit, methodische Schwächen und mangelnde Transparenz vor
Ein Theaterstück, das in Tel Aviv gefeiert wurde – und in Deutschland als »israelbezogener Antisemitismus« gilt. Mit »Free Palestine« bedruckte T-Shirts – ein Beleg für Judenhass. Eine Rede des Historikers Moshe Zimmermann am Holocaust-Gedenktag, in der er anmerkte dass »Nie wieder« auch für Israel gelten müsse – und die als antisemitischer »Vorfall« gilt. Derartige Vorwürfe beleuchtet eine nun veröffentlichte Studie mit dem Titel »Biased – Antisemitismus-Monitoring in Deutschland auf dem Prüfstand«. Darin geht es um den Verband der staatlich finanzierten Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS), die für Politik, Medien und Behörden eine gern genutzte Quelle darstellen.
Veröffentlicht wurde die 60-seitige Studie von der in Berlin ansässigen, internationalen Diaspora Alliance. Sie will überhörte jüdische und diasporische Stimmen verbinden und betont, dass sich der Kampf gegen Antisemitismus nicht gegen andere marginalisierte Gruppen richten dürfe. Anti-palästinensische Diskurse, wie sie hierzulande dominieren würden, findet sie falsch – sie stoppten Antisemitismus nicht, sondern würden zur Legitimation rechter Politik missbraucht. Das erschwere auch die Prävention und Bekämpfung von Antisemitismus.
Die Studie hat der israelische Journalist Itay Mashiach erstellt. Sein Argument: RIAS »überdramatisiert viele antisemitische Vorfälle« und legt den Begriff »israelbezogener Antisemitismus« viel zu weit aus. So sei etwa die Organisation »Palästina Spricht« als antisemitisch gelistet worden, weil Demonstration*innen T-Shirts mit Landkarten Palästinas trugen, Slogans wie »Israel ist ein Apartheid-Staat« riefen oder Plakate mit Aufschriften wie »Stoppt Genozid« zeigten. Der Vorwurf traf auch eine Inszenierung im Berliner Gorki Theater, in der ein literarischer Vergleich von Massentierhaltung mit Konzentrationslagern gezogen wurde – inspiriert von einem Holocaust-Überlebenden.
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RIAS selbst wird als Organisation beschrieben, die sich einer öffentlichen Debatte entziehe. So seien mehrfach Anfragen von Mashiach komplett ignoriert worden. Zugleich trage RIAS dazu bei, dass »pro-palästinensische Positionen« unter Druck geraten. In einem Fall sei etwa ein inoffizielles Dossier über eine palästinensischstämmige Wissenschaftlerin an Dritte weitergegeben worden, was zu erheblichen beruflichen Nachteilen führte.
Diese Praxis sei Ausdruck einer politischen Grundhaltung, so Mashiach: RIAS verbreite systematisch Narrative, die der Linie der israelischen Regierung nahestünden. Der Autor kritisiert auch die Methodik der Organisation: Ihre Fallbeschreibungen seien vage, eine Prüfung durch unabhängige Forschung nicht möglich. Der Bericht spricht dazu von einer »Dekontextualisierung«, in der Aussagen unabhängig von Intention, Ort und Situation als antisemitisch markiert würden – egal ob sie auf einer Theaterbühne, bei einer Demonstration oder in einer privaten Unterhaltung gefallen seien.
Dass RIAS ihre dokumentierten »Vorfälle« nicht zur Nachprüfung veröffentlicht liege an mangelnden Personalkapazitäten, erklärte die Berliner Sektion dem »nd«. Eine solche Chronik sei deshalb 2022 eingestellt worden. Auf die anderen Kritikpunkte der Alliance ging RIAS zunächst nicht ein. »Das betreffende Papier haben wir zur Kenntnis genommen und wird derzeit intern durchgesehen, eine Kommentierung behalten wir uns gegebenenfalls für einen späteren Zeitpunkt vor«, sagte die Sprecherin. Den Vorwurf, RIAS unterschätze die von der extremen Rechten ausgehende Bedrohung, weist der Verband jedoch zurück.
Ursprünglich sollte Mashiachs Studie schon Ende 2023 veröffentlicht werden. Aufgrund der aufgeheizten deutschen Debatte nach dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober und dem daraufhin einsetzenden verheerenden Gaza-Krieg hielten die Herausgeber*innen sie zurück. Nun aber, so heißt es im Vorwort, sei es umso wichtiger, die Diskussion über die fragwürdige Praxis von Meldestellen wie RIAS endlich zu führen.
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