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Rechtsruck im Lokaljournalismus
Wie Gratiszeitungen in Lücken stoßen und Stimmung machen
Natürlich hätten höhere Energiepreise »null Auswirkungen auf das Weltklima«, behauptet Verleger Michael Hauke in einem Beitrag von April. In Wirklichkeit seien sie nur ein weiteres Mittel, um »aus den letzten selbstdenkenden Bürgern brave Untertanen« zu machen. »Egal ob Corona, Klima oder Krieg – es geht immer ums Gehorchen!«
Die Corona-Pandemie stehe für »die schlimmsten Ausgrenzungen seit dem Dritten Reich« und das Bargeld solle abgeschafft werden, um alle in ein »digitales Gefängnis« zu sperren. Die Anzeigenblätter des Hauke-Verlags seien voll von solchen polarisierenden Kommentaren, die sich durch bestimmte Narrative auszeichneten, sagt Christoph Schulze von der Emil-Julius-Gumbel-Forschungsstelle des Potsdamer Moses-Mendelsohn-Zentrums, das sich mit Antisemitismus und Rechtsextremismus beschäftigt. »Die Annahme eines einheitlichen Volkswillens, dass die etablierten Parteien versagen und es Denk- und Sprechverbote gibt.«
Besonders aufgefallen seien ihm die kostenlosen Anzeigenzeitungen des Hauke-Verlags in der Hochzeit der Corona-Pandemie, als Hauke und andere Autor*innen dort regelmäßig Querdenken-Erzählungen verbreiteten und Impfungen infrage stellten, erklärt Schulze. Zudem zeichneten sich die Blätter durch DDR-Bezüge, eine vermeintliche Friedensliebe und eine »Prise von Nachdenklichkeit« aus – nach dem Motto: »Wir nehmen uns heraus, selbst zu denken.«
In Texten, die vordergründig zum Beispiel den Ukraine-Krieg oder das Heizungsgesetz zum Thema hatten, tauche häufig wie nebenbei noch Kritik an »denen da oben« auf, an »woken Sprachregeln«, Feminismus oder Migration. »Das ist eine Zeitung gewordene Telegram-Gruppe von Verschwörungsideologen«, fasst Schulze zusammen.
Der Hauke-Verlag verteilt die 14-tägig erscheinende Beeskower und Fürstenwalder Zeitung sowie »Kümmels Anzeiger« in Ostberliner Randbezirken und großen Teilen Ostbrandenburgs. Zum Teil werden die Gratiszeitungen einfach in Briefkästen geworfen, zum Teil in Geschäften, Gaststätten, Bäckereien und Apotheken ausgelegt. Von der Aufmachung her seien sie typisch für kostenlose Anzeigenblätter, sagt Schulze. Ein Großteil des Inhalts bestehe aus bezahlter Werbung, die Geld einspielt. Die werbenden Unternehmen haben vor Ort eine gewisse Reputation und verleihen den Zeitungen den Anschein von Verlässlichkeit und lokaler Verankerung, urteilt Schulze. Dazu trage auch die Ankündigung von Veranstaltungen wie Konzerten in der Stadthalle bei. Leserbriefseiten spiegelten die vermeintliche Volksmeinung der Region wider, sagt Schulze. Er findet das »hochproblematisch«. Die Hauke-Medien »treten auf wie regionale Instanzen, die sie nicht sind«.
Im September 2024 veröffentlichte das ZDF-Magazin »Royale« mit Moderator Jan Böhmermann eine Recherche zu kostenlosen Anzeigenblättern. Diese sind demnach gerade in Ostdeutschland sehr beliebt – und fallen zunehmend mit rechtspopulistischen und AfD-nahen Inhalten auf. Böhmermann sieht einen Zusammenhang mit der Krise des Lokaljournalismus. Die Auflagen regionaler ostdeutscher Tageszeitungen schrumpfen seit Jahren. Wenn weniger seriöse Medien der Lokalpolitik auf die Finger schauen, seien Politikverdrossenheit und Rechtsruck die Folgen, belegen Studien.
Zusätzliches Problem der ostdeutschen Medienlandschaft: Nach der Wiedervereinigung wurden die meisten Zeitungen von westdeutschen Verlagen übernommen, die in vielen Regionen ein Monopol haben, von dem sich ostdeutsche Leser*innen aber selten ernstgenommen fühlen. Die einzige Alternative: Anzeigenblätter, die die Probleme der Menschen vor Ort scheinbar viel besser verstehen, gratis im Briefkasten landen und trotzdem oft aussehen wie seriöse Medien, so Böhmermann.
Deutschlandweit gibt es laut einer Zählung des Bundesverbands Deutscher Anzeigenblätter 712 solcher Zeitungen mit zusammen über 46 Millionen Exemplaren pro Woche. Die drei Hauke-Medien haben zusammen eine Auflage von 30 000 Exemplaren – laut der Wochenzeitung »Die Zeit« rund dreimal so viel wie die angestammte »Märkische Oderzeitung« (MOZ). Diese hat in ihrem Verbreitungsgebiet zwischen Berlin und der polnischen Grenze fast keine Konkurrenz. Medienvielfalt sei nicht wirklich vorhanden, sagt Schulze. Die Berichterstattung der MOZ sei zum Teil sehr gut, könne aber dem Anspruch eines so großen Gebietes nicht immer gerecht werden. Die lokaljournalistischen Lücken schließen Blogs, Facebook-Gruppen oder eben die Hauke-Medien, die großen Einfluss auf die Bevölkerung und auf die politische Kultur haben könnten. »Eine kritische journalistische Herangehensweise kann aber nicht ersetzt werden«, findet Schulze.
Bekanntestes Beispiel für ein rechtes Anzeigenblatt ist das »Neue Gera«, das alle zwei Wochen mit einer Auflage von 20 000 Exemplaren im thüringischen Gera erscheint. Dort werden nicht nur Artikel von AfD-Politiker*innen und Wahlwerbung für die Rechtsaußen-Partei abgedruckt. Geschäftsführer Harald Frank ist AfD-Fraktionschef im Stadtrat von Gera.
Hauke schreibt ebenfalls für das »Neue Gera« und andere Gratiszeitungen. Denn, so Böhmermann, »diese kostenlosen Anzeigenblätter sind untereinander bestens vernetzt«. Auch in den Hauke-Medien kommen AfD-Politiker zu Wort. Unter anderem werben die Landtagsabgeordnete Kathleen Muxel sowie der Bundestagsabgeordnete Rainer Galla für ihre Veranstaltungen, die Titel haben wie »Solarfelder und Windparks zerstören unsere Heimat!«. Im »Freienwalder Anzeiger« von Anfang April schreibt der Müncheberger AfD-Stadtverordnete Wolfgang Prasser einen langen Leserbrief zum selben Thema. Etwas weiter unten fordert der AfD-Landesvorsitzende René Springer den Rücktritt von RBB-Intendantin Ulrike Demmer.
Hauke selbst ist, wie er der »Zeit« erklärte, kein Parteimitglied. Christoph Schulze sagt, Hauke stehe »eher für Stimmungsmache als für offene Wahlaufrufe«, die jedoch mindestens genauso »aufs politische Konto der AfD« einzahle. Thüringens Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer sprach gegenüber der »Zeit« von einer »ausgeklügelten Medienstrategie« der AfD und anderer Rechtsextremer. Sie nutzten die Akzeptanz der Anzeigenblätter vor Ort, um »bedarfsorientiert Hass und Hetzparolen in die sozialen Räume zu streuen«. Böhmermann hält die Anzeigenblätter gar für »als Journalismus getarnte Parteipropaganda«.
Guten unabhängigen Lokaljournalismus sieht Schulze daher als bestes Mittel gegen die Stimmungsmache. Ein gutes Vorbild ist die Mediengruppe Katapult, die 2021 eine Regionalzeitung für Mecklenburg-Vorpommern ins Leben rief, um laut ihrer Internetseite dem »Nordkurier« etwas entgegenzusetzen und die »notwendige journalistische Vielfalt« in die Region zurückzuholen.
Um echten Journalismus von verschwörungsideologischen Anzeigenblättern unterscheiden zu können, brauche es zusätzlich eine bessere Medienkompetenz, findet Schulze. Wichtig sei schließlich mehr »hörbarer Widerspruch« gegen rechte Hetze, etwa in Form von Demonstrationen gegen rechts, die zeigen, dass Blätter wie die des Hauke-Verlags nicht die einzige Stimme der Region sind.
»Eine kritische journalistische Herangehensweise kann aber nicht ersetzt werden.«
Christoph Schulze Wissenschaftler
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