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Die Drei von der Literaturtankstelle
Im Literaturkanon des späten Westdeutschlands gibt es einen Autorentyp, den keiner vermisst: der sozialdemokratisch angehauchte Friedensapologet
Es sind Namen, auf die man beim längeren Stöbern in Antiquariaten immer wieder stößt: Peter Härtling, Johano Strasser, Gerhard Zwerenz. Namen aus einer untergegangenen Zeit, als man in der Bundesrepublik noch in rauen Mengen dicke Bücher talentloser bärtiger Männer kaufte: Härtling, Strasser, Zwerenz. Vergessene Namen, mit denen heute kaum einer, der jünger als 60 Jahre ist, noch etwas anfangen kann.
Härtling, Strasser, Zwerenz: Namen, gedruckt auf Buchdeckel. Die drei Genannten, die allesamt gewöhnungsbedürftige Frisuren vorzuweisen hatten – einer von ihnen, Herr Strasser, weilt noch unter den Lebenden –, waren Schriftsteller. Zumindest lautete so ihre Selbstbezeichnung. Und alle drei waren beziehungsweise sind Bürger der BRD und hatten sich irgendwann auf die eine oder andere Weise zeitweise der Sozialdemokratie zugewandt, für die sie sich als Freischaffende im hochwichtigen Geschäft der Phrasen- und Floskelproduktion betätigten.
Meist stellen die Männer auf den Porträtfotos einen Gesichtsausdruck zur Schau, als hätten sie gerade etwas sehr Unverträgliches gegessen.
Auf ihren Büchern, die heute in den Hinterzimmern der Second-Hand-Buchläden wie Bleigewichte in den Regalen stehen, hat sich über die Jahre hinweg eine dünne, kaum wahrnehmbare Staubschicht niedergelassen. Selbst in den sogenannten offenen Bücherschränken führen die genannten Schriftsteller das Dasein von Vergessenen, aus dem allgemeinen Gedächtnis fast gänzlich Getilgten: Niemand erinnert sich an sie, niemand nimmt ihre Bücher in seine Obhut, erlöst sie aus der endlosen Qual, im Bücherschrank das unbeliebteste, ungelesenste, abgemeldetste, peinlichste Druckerzeugnis zu sein. Und wer sich wider Erwarten doch noch an die drei umtriebigen Literaturbetriebsstrizzis der BRD der 70er, 80er und 90er erinnert, nimmt die Bücher wohlweislich auch nicht mit nach Hause. Was soll er auch damit? Einen Briefbeschwerer wird er schon besitzen.
Bei den Autorenfotos, die auf den Schutzumschlägen der Bücher prangen, orientierte man sich meist ganz an den drei Musketieren der sozialdemokratischen deutschen Zeigefinger- und Bedenkenträgerliteratur: Grass, Walser, Böll. Man kannte sich schließlich auch persönlich. Strasser in einem Interview über Grass: »Da rief er an bei mir und sagte, du hast ein Problem, ich habe Rotwein, komm doch mal rüber. Na ja, und so haben wir uns kennengelernt.«
So wie die drei großen Vorbilder wollten sich auch die ambitionierten Literaturbetriebsmänner aus der zweiten Reihe abgebildet sehen: Härtling, Strasser, Zwerenz. Auch sie setzten sich für den Frieden in der Welt ein, trugen bevorzugt Rollkragenpullover, braune Cordanzüge und riesenhafte Tropfenbrillen auf der Nase und hatten sich jeweils für eine eigenwillige Haar- und Barttracht entschieden, die jeden evangelischen Religionslehrer gelb vor Neid werden ließ. Das dürfte der Beweis sein: Sozialdemokratie und Stil sind traditionell unvereinbar miteinander. Meist stellen die Männer auf den Porträtfotos einen Gesichtsausdruck zur Schau, als hätten sie gerade etwas sehr Unverträgliches gegessen: »Eine Spur des Schmerzes stand ihm ins Gesicht geschrieben, wohnte in seinen Augen, nistete in den Mundwinkeln, konnte auch in der Stimme mitzittern« (Der Deutschlandfunk über Peter Härtling). Doch manchmal lachen die literarischen Schmerzensmänner auch auf den Bildern wie frohe Honigkuchenpferde, die soeben zwei, drei Zuckerstangen verputzt haben. »Wer Härtlings Gesicht zu Lebzeiten einmal aufmerksam betrachten durfte, konnte auch Güte, Glück und eine stille Freude am Leben darin entdecken« (Deutschlandfunk).
Auf den Promo-Fotos machen die drei Schriftsteller Gesten, die sie für männliche Denker- und Philosophengesten halten: die Arme vor der Brust verschränken, das Kinn auf der Handfläche abstützen, den Zeigefinger an die Schläfe legen oder ihn mahnend hin und her schwenken.
Thomas Blum ist grundsätzlich nicht einverstanden mit der herrschenden sogenannten Realität. Vorerst wird er sie nicht ändern können, aber er kann sie zurechtweisen, sie ermahnen oder ihr, wenn es nötig wird, auch mal eins überziehen. Damit das Schlechte den Rückzug antritt. Wir sind mit seinem Kampf gegen die Realität solidarisch. Daher erscheint fortan montags an dieser Stelle »Die gute Kolumne«. Nur die beste Qualität für die besten Leser*innen! Die gesammelten Texte sind zu finden unter: dasnd.de/diegute
Es muss in den im Nachhinein nur schwer zu begreifenden 70er und 80er Jahren einmal Menschen gegeben haben, die die Bücher dieser Männer käuflich erworben haben in einer Buchhandlung, wo sie ja im Dutzend im Regal standen (die Bücher, nicht die Männer). Womöglich wurden einige der Bücher – viele erschienen in namhaften Verlagen (Luchterhand, Piper, Kiepenheuer & Witsch, S. Fischer) – tatsächlich gelesen. Es ist jedenfalls nicht ganz auszuschließen.
Was ist geblieben? Zum Beispiel die Erbauungslyrik, die Härtling einst der drohenden Kriegsgefahr entgegenschleuderte: »Wenn jeder eine Blume pflanzte, / jeder Mensch auf dieser Welt, / und, anstatt zu schießen, tanzte / und mit einem Lächeln zahlte statt mit Geld – / wenn ein jeder einen andern wärmte / keiner mehr von seiner Stärke schwärmte« und so weiter, dann, so glaubte Härtling, würden »Streit und Krieg« zum Teufel gehen und eine neue »Menschenzeit« würde anbrechen. Bitte also künftig tanzen statt schießen! Danke.
Über Strassers Debütroman, erschienen 1987, urteilte Wolfgang Pohrt seinerzeit, es handele sich um »ein in fettfingerresistente Transparentfolie eingeschlagenes Buch, welches ein Lesebändchen sowie durchschnittlich drei Absätze pro Druckseite enthält, 38 DM kostet und dafür Langeweile im zehnfachen Wert des Preises bietet«. Von Zwerenz wiederum ist heute vor allem seine »erotische« Prosa in Erinnerung geblieben: »Er rieb ihr die Pranken über die Titten, klopfte, wo er nur konnte.« Beziehungsweise er »rutscht in ihrem geilen Schleim herum. Die Augen auf die schnappende Fotze gerichtet«.
Ich bin mir nicht sicher, ob in einer besseren Zukunft nicht die Bücher dieser denkwürdigen drei als Mahnmale der deutschsprachigen Literatur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts betrachtet werden sollten. Mahnmale dafür, wie Literatur nicht sein sollte. Sicher ist jedenfalls: Man muss sie nicht lesen.
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