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»Maschsee-Mörder«: Gewalt gegen Frauen als Popkultur
Veronika Kracher wundert es nicht, dass ein entlassener Mörder seine Täterschaft als Marke aufbaut
Oktober 2012: Andrea B. war 44 Jahre alt, als der damals 24 Jahre alte Alexander K. die als Prostituierte tätige Frau ermordete, die Leiche zerstückelte und die Leichenteile im Maschsee in Hannover versenkte. In diesem Femizid an Andrea B. fallen Misogynie und Neonazi-Ideologie zusammen: Wie die Ex-Freundin des Täters während des Strafverfahrens berichtete, hatte Andrea B. sich über K.s rechtsradikale Weltsicht und Adolf Hitlers »Mein Kampf« lustig gemacht. Der Mann konnte diese Unbotmäßigkeit offenbar nicht ungesühnt lassen und erschlug die Frau mit einer Machete. Im Prozess wurde seine rechtsextreme Gesinnung hingegen kaum berücksichtigt, das Urteil begründete sich auf Mordlust.
Entgegen etablierter Rape-Culture-Mythen von Femiziden als »Mord aus Leidenschaft« geht geschlechtsspezifischer Gewalt meistens eine längere Gewaltgeschichte des Täters voraus. Nicht nur war K. als Neonazi-Rapper tätig und hatte beispielsweise ein Lied produziert, in dem er den Rechtsterroristen und Massenmörder von Utoya als Helden zelebrierte, sondern er hatte bereits 2010 ein Song im Netz veröffentlicht, in dem er körperliche und sexuelle Gewalt gegen eine Frau beschreibt. Diese Beschreibung deckt sich mit den Verletzungen der im selben Jahr gefundenen Leiche der damals 24 Jahre alten Monika P., was bis heute den Verdacht nährt, dass K. auch diesen Femizid begangen haben könnte.
Antifeministisch und misogyn motivierte Gewalt ist unter Neonazis keine Seltenheit. Sie richtet sich häufig gegen Frauen und queere Menschen, die dem rechtsextremen Idealbild von Geschlecht und Sexualität zuwiderlaufen.
Veronika Kracher, geboren 1990, hat Soziologie und Literatur studiert und ist seit 2015 regelmäßig als Autorin und Referentin mit den Arbeitsschwerpunkten Antifeminismus, Rechtsextremismus und Online-Radikalisierung tätig. Zudem ist sie Expertin für belastende Männer im Internet. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Jenseits des Patriarchats«.
Nun, zwölf Jahre nach der Tat, ist Alexander K. wieder auf freiem Fuß. Er sei »vermindert schuldunfähig« gewesen, wegen Drogenkonsums und psychischer Krankheit, heißt es. Für mich klingt die Urteilsbegründung eher nach »Himpathy«: Im Patriarchat bringen Gesellschaft und Justiz Tätern, die patriarchale Gewalt begehen, gerne Empathie und Verständnis entgegen, die sie den Opfern dieser Gewalt entziehen.
Der Mörder Alexander K. verbringt seine Zeit in Freiheit unterdessen nicht mit Däumchen drehen. Nein, er ist auf YouTube und TikTok unterwegs, bewirbt dort sein Buch namens »Der Maschsee-Mörder« und interagiert fleißig mit den Kommentator*innen unter den Clips. Der Sohn seines Opfers gibt in einem Podcast an, dass er befürchtet, K. würde wieder töten.
Dass der Frauenmörder nach seiner Freilassung offen auf Social Media mit seiner Tat kokettiert und versucht, diese zu monetarisieren, ist auch in unserem gesellschaftlichen Umgang mit Femiziden zu verorten. Denn: Gewalt gegen Frauen ist Popkultur.
Seien es Musiker, die sich ihre Karriere aus Misogynie aufgebaut haben – sei es Gangsterrap oder Goregrind, sei es Gewaltpornografie und »Hatefuck«, seien es Horrorfilme, die das Zerstückeln von Frauenkörpern aus dem Wunsch nach Schock und Provokation heraus mit einem interessanten Drehbuch verwechseln, seien es antifeministische Influencer wie Andrew Tate und seine Nachahmer, seien es die unzähligen True-Crime-Podcasts, in denen Femizide voyeuristisch aufbereitet werden, sei es der Prozess gegen Amber Heard, der ein Opfer häuslicher Gewalt zum Meme degradiert hat: Gewalt gegen Frauen ist lukrative Unterhaltung. Und nein: Nicht jede Person, die hin und wieder mal Bands wie »Cock and Ball Torture« anhört, wird früher oder später seine Partnerin ermorden. Aber es sagt einiges über unsere Gesellschaft aus, dass diese Gewalt einen derart unverrückbaren Stellenwert innerhalb der Kulturindustrie hat. Das ist Ausdruck der permanenten Dehumanisierung, die – vor allem mehrfach marginalisierte – Frauen und trans Menschen innerhalb des warenproduzierenden Patriarchats erfahren. Täter hingegen kommen immer wieder mit einem Patscher auf die Finger davon, vor allem wenn sie berühmt sind.
Dass mit Alexander K. ein Täter diesmal nicht seine Unschuld beteuert, sondern seine Täterschaft als Marke aufbaut, ist eine logische Konsequenz unserer Gesellschaft. Denn bei uns sind Femizide nicht nur ein fester Bestandteil der Popkultur; ihnen wird auch von der neuen Bundesregierung nicht mit der Entschiedenheit begegnet, die es eigentlich bräuchte. Es fehlt vor allem an Frauenhäusern und Geld für Präventivprogrammen.
Wir als Betroffene patriarchaler Gewalt haben lernen müssen, dass wir uns auf Staat und Justiz nicht verlassen können, wenn es um unsere Sicherheit geht, eher im Gegenteil. Was uns bleibt, ist der feministische Selbstschutz.
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