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Sieben Anklagen gegen Antifaschisten
Unterstützer und Anwälte kritisieren Vorverurteilung der Beschuldigten und Durchstechen persönlicher Informationen an die Presse
Das Verfahren gegen die Antifaschistin Lina E. und zwei Mitangeklagte war von großer Härte der Strafverfolger und des Gerichts geprägt. Den Beschuldigten von der im Verfahren so bezeichneten »Antifa Ost« war wegen mutmaßlicher Gewalttaten gegen Neonazis nicht einfach nur Körperverletzung vorgeworfen worden, sondern die Bildung einer kriminellen linksextremistischen Vereinigung zwecks Begehung solcher Delikte. Entsprechend hoch war die Gesamtstrafe, die das Oberlandesgericht (OLG) Dresden im Mai 2023 gegen die Leipziger Studentin verhängte: fünf Jahre und drei Monate Haft. Zuvor hatte sie bereits zweieinhalb Jahre in Untersuchungshaft gesessen. Ab Ende April dieses Jahres musste sie ihre verbliebene Gefängnisstrafe antreten, nachdem der Bundesgerichtshof ihre Revision gegen das Urteil abgewiesen hatte.
Jetzt hat die Bundesanwaltschaft Anklage gegen sieben weitere Personen aus dem mutmaßlichen Umfeld von Lina E. erhoben, wie der MDR am Donnerstagabend unter Berufung auf »mehrere mit den Vorgängen vertraute Personen« zuerst berichtete. Auch ihnen wirft die Behörde unter anderem die Bildung einer linksextremen kriminellen Vereinigung sowie gefährliche Körperverletzung vor. Vier der Beschuldigten sitzen bereits in Untersuchungshaft, unter ihnen der Verlobte von E., Johann G. Er war Anfang November 2024 von Zielfahndern des sächsischen Landeskriminalamts in einer Regionalbahn in Thüringen festgenommen worden.
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Alle Beschuldigten sollen zur »Antifa Ost« gehören. Sie war im Dresdner Prozess von Medien auch als »Hammerbande« bezeichnet worden, weil bei einigen der verhandelten Straftaten Hämmer verwendet worden waren. Eine Berliner Solidaritätsinitiative erklärte dazu am Freitag, diese Bezeichnung sei ein »Propagandainstrument der rechten Presse« und diene der Vorverurteilung. Es solle ein »Bild einer irrationalen und unberechenbaren Gruppe erzeugt werden, deren alleiniges Ziel die Ausübung von Gewalt ist«. Die Beschuldigten würden dadurch »entmenschlicht, eine politische Motivation wird ihnen abgesprochen«. Antifaschismus werde »nicht als legitimer Standpunkt anerkannt«.
Zwei der nun Angeklagten sollen laut MDR an einem Überfall auf den verurteilten Eisenacher Neonazi Leon R. im Dezember 2019 beteiligt gewesen sein. Beide sollen zudem in die Attacken gegen Teilnehmer des rechtsradikalen »Tages der Ehre« in Budapest im Februar 2023 verwickelt gewesen sein.
Einer von beiden wurde dafür direkt von einem Budapester Gericht zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt, die zwischenzeitlich verkürzt wurde. Nach seiner Überstellung nach Deutschland befindet er sich wegen weiterer Vorwürfe seit Dezember 2024 jedoch wieder in Untersuchungshaft.
Ein weiterer Beschuldigter, der ebenfalls an den Vorfällen in Budapest beteiligt gewesen sein soll, hatte sich zusammen mit sechs weiteren Personen im Januar den Behörden gestellt.
Ebenfalls bereits in U-Haft befindet sich ein Mann, der »Kampfsporttrainer« der Gruppe gewesen sein soll. Er war im Oktober in Berlin festgenommen worden. Er wurde zudem von Johannes D., der als Kronzeuge umfangreich mit den Behörden zusammenarbeitet, beschuldigt, an einem Überfall der Gruppe auf die Eisenacher Neonazikneipe »Bull’s Eye« beteiligt gewesen zu sein.
Am Freitag bestätigten acht Berliner Anwält*innen, die Beschuldigte vertreten, dass die Bundesanwaltschaft bereits am 28. Mai 2025 Anklage gegen sieben Antifaschist*innen zum OLG Dresden erhoben habe. »Es erscheint bereits jetzt höchst zweifelhaft, ob diese Anklage in einem fairen und rechtsstaatlichen Verfahren verhandelt werden kann«, schreiben sie in einer gemeinsamen Erklärung, die »nd« vorliegt. Denn die Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamts Sachsen habe »nicht neutral ermittelt«.
»Das Vorgehen des LKA Sachsen verstößt fundamental gegen die Unschuldsvermutung. Unsere Mandant*innen wurden einer staatlicherseits lancierten öffentlichen Vorverurteilung ausgesetzt.«
Berliner Anwält*innen zur Weitergabe auch persönlicher Informationen über Beschuldigte an Medienvertreter
Zudem seien Informationen aus dem Ermittlungsverfahren rechtswidrig weitergegeben worden, monieren die Jurist*innen. »Wiederholt mussten wir feststellen, dass einzelne Presseorgane wohl durch das LKA Sachsen über konkrete Ermittlungsergebnisse informiert worden waren, bevor wir als Verteidiger*innen Kenntnis von diesen erhielten«, schreiben sie. Dabei seien auch »persönliche Informationen über unsere Mandant*innen veröffentlicht« worden.
Die Anwält*innen werfen dem LKA insbesondere vor, in einem Hintergrundgespräch am 6. Mai 2025 »sensible Informationen« weitergegeben zu haben. Der Staatsschutz des LKA Sachsen habe an jenem Tag zahlreiche Journalist*innen »vorab über den zu erwartenden Inhalt der Anklage des Generalbundesanwalts« informiert. Dabei seien auch die vollen Namen der Beschuldigten preisgegeben worden. Der Verteidigung sei hingegen zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt gewesen, »gegen welche Personen mit welchen Vorwürfen der Generalbundesanwalt Anklage erheben würde«. Die Anklageschrift, so die Anwält*innen, sei ihnen »bis heute noch nicht bekannt und zugestellt worden«.
Nach Angaben der Anwält*innen haben mehrere ihre Mandant*innen bereits am 14. Mai beim Generalbundesanwalt Strafanzeige gegen den Leiter des Staatsschutzes des LKA Sachsen, Denis Kuhne, wegen Geheimnisverrats eingereicht. Die Verteidiger*innen erklären: »Das Vorgehen des LKA Sachsen verstößt fundamental gegen die Unschuldsvermutung.« Die Betroffenen seien so »einer staatlicherseits lancierten öffentlichen Vorverurteilung ausgesetzt«.
Mehrere Unterstützungsgruppen forderten am Freitag die Freilassung der Beschuldigten und die Einstellung »aller Verfahren gegen alle Antifaschist*innen«. Die Sprecherin der Solidaritätsbündnisse, Ines Asmann, erklärte: »Was uns hier erwartet, ist ein rechtspolitisches Spektakel: ein politisch motiviertes Verfahren als Ausdruck des gesellschaftlichen Rechtsrucks, dessen einziges Ziel es ist, antifaschistischen Widerstand zu kriminalisieren.«
Die Unterstützer kritisieren unter anderem zahlreiche »überzogene Hausdurchsuchungen« im Umfeld der Angeklagten und die fortdauernde U-Haft für einzelne Beschuldigte »als Vorwegnahme der Strafe«. Zudem verurteilen sie, dass sich die Ermittler wie bereits im Prozess gegen Lina E. fast ausschließlich auf Aussagen des fragwürdigen Kronzeugen Johannes D. stützen. Er habe »strategisch Personen der Beteiligung an antifaschistischen Aktionen« beschuldigt und so dabei geholfen, eine »kriminelle Vereinigung« zu konstruieren.
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