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Wohnungsfrage: Wenn das Bewusstsein im Wege steht
Statt Eigentümer-Eigennutz oder romantischer Mietrebellenromatik müsste es um die wirkliche Lösung der Wohnungsfrage gehen
Peter Nowak beklagte an dieser Stelle kürzlich den Mangel an solidarischem Geist in der politischen Diskussion rund um die Wohnungsfrage. Angesichts des polemischen Vorschlags von Frank Jörike, die Abhängigkeit von Mieter*innen durch Wohnungseigentum zu beenden, war Nowak besorgt über die drohende Depolitisierung des Wohnens. Ihm entgeht in der Angst vor der Kleinbürgerlichkeit, inwiefern eine wirklich massenhafte Umverteilung von Wohneigentum tatsächlich zur Aufhebung der deutschen Verhältnisse beitragen würde. Nowak mag darin nur Ideologie erkennen, die zum Untergang jeglichen »kommunistischen und solidarischen Bewusstseins« in der Bewegung führe.
Die Mutlosigkeit und Romantik von Nowaks Argument – solidarisches Zusammenstehen zur Verteidigung des »guten Rechts« von Mietrebellen schlägt Willkür des Eigentums – sollte man lieber abschütteln. Denn dieses gibt sich rebellisch, wo es doch konservativer bleibt als die Idee der Eigentumswohnung: Die Struktur des Grundeigentums und seine politische Stellung bleiben in Nowaks Vorstellung von der Mietrebellion nämlich unangetastet.
Dass es andere Wege gibt, zeigt etwa die Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen«. Die genießt eine recht hohe Popularität gerade deshalb, weil sie die Änderung der Eigentumsstruktur zur Priorität erklärt. Nicht weniger als der Anfang vom Ende einer bestimmten historischen Praxis- und Verkehrsform könnte damit auf dem Programm stehen.
Eine solche Perspektive ist wertvoller als jede abstrakte Solidarität. Denn wahre Solidarität macht sich langfristig selbst unnötig: Die Welt wäre, wo es möglich ist, so einzurichten, dass die Menschen darin nicht mehr systematisch auf Solidarität angewiesen sind. Die Wohnraumpolitik spielt darin eine enorme Rolle, wird darin doch ein großer Teil des kapitalistischen Stoffwechsels organisiert. Es drücken sich hier schließlich direkt die Rentabilitätserwartungen des Kapitals aus, denen sich die Gesellschaft (noch) nicht entziehen kann.
Der soziale Kompromiss unserer Zeit basiert auf der Verfügbarkeit künstlich verbilligter, globaler Konsumgüter, weil natürlich nichts mehr für einen nachhaltigen Urlaub, Slow Food und hochwertige Kleidung übrigbleibt, wenn regelmäßig die Hälfte der Gehälter direkt wieder in die Akkumulationsmaschine namens Wohnungsmarkt zurückfließt. Keine Solidarität der Welt wird sich dauerhaft hinter diesem Prozess vorbeimogeln können; man muss ihn aufheben.
Dass es dafür einige Jahrzehnte an Experimentieren mit verschiedenen Formen brauchen wird – Vergesellschaftung oder Verstaatlichung? Privat- oder kollektives Eigentum? Genossenschaften oder andere Rechtsformen? – frei handelbare Anteile oder Residenzpflicht? – geschenkt! Auch das 21. Jahrhundert wird nicht ohne erhebliche Umwälzungen in der Eigentumsstruktur zu bewältigen sein. Der Diskurs darum sollte sich an der Frage orientieren, wie diese wirklich zu erreichen ist, anstatt sich nur um das revolutionäre Bewusstsein der Zukunft zu sorgen.
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