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Berliner Musiklehrer in der Warteschleife
Berliner Musikschulen müssen bis 2026 ihre Honorarkräfte anstellen – doch der Senat lässt sie im Stich
»Man muss immer performen, eine gute Miene machen und kann sich, auch wenn es vielleicht nötig wäre, nicht mit der Leitung anlegen, weil immer die Gefahr besteht, keine weiteren Aufträge zu bekommen«, sagt Konstantin Kohl, Gewerkschaftssekretär für Theater und Bühnen von Verdi Berlin im Gespräch mit »nd«. Kohl beschreibt die prekäre Situation von Musikschullehrer*innen an Berliner Musikschulen – ein Großteil von ihnen ist auf Honorarbasis beschäftigt. Doch das muss sich ändern, spätestens bis Ende 2026.
Im sogenannten »Herrenberg-Urteil«, das bereits 2022 gefällt wurde, hat das Bundessozialgericht zum Fall einer Klavierlehrerin aus der baden-württembergischen Gemeinde Herrenberg entschieden, dass Lehrer*innen an Musikschulen in der Regel nicht selbstständig beschäftigt sein können. Meist arbeiten Lehrer*innen nur an einer Schule, tragen kein unternehmerisches Risiko und müssen Weisungen befolgen, müssten also eigentlich angestellt werden – mit den entsprechend vom Arbeitgeber abzuführenden Sozialabgaben.
Für Lehrer*innen, die die Tätigkeit nicht als Nebenjob machen, wäre eine Festanstellung eine enorme Verbesserung: »Durch die Selbstständigkeit entsteht für die Musikschullehrer eine prekäre Situation«, sagt Gewerkschaftssekretär Kohl. Es gebe keine Lohnfortzahlung, keinen Urlaubsanspruch und in den Sommerferien, wenn keine Kurse stattfinden, bekommen die Selbstständigen gar kein Geld.
Insbesondere in Berlin müsste das Herrenberg-Urteil eigentlich zu einer Einstellungswelle führen. Hier sind nur 24 Prozent der rund 2400 Musiklehrer*innen an den von den Bezirken getragenen Musikschulen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Bundesweit liegt dieser Anteil bei etwa 75 Prozent. »nd« hat die Bezirke angefragt, ob in Folge des Herrenberg-Urteils Lehrer*innen angestellt wurden. Passiert ist das in keinem der Bezirke. »Alle frei werdenden Stellen wurden und werden neu besetzt, d.h. es sind Einzelfälle durch Fluktuation, aber noch keine Umwandlung von Honorarverträgen in Festanstellung aufgrund des Herrenberg-Urteils«, teilt etwa der Bezirk Lichtenberg mit.
Dass die Musikschulen überhaupt rechtlich in der Lage sind, weiter Honorarkräfte zu beschäftigen, liegt zum einen daran, dass die Rentenversicherung bislang Arbeitsverhältnisse nicht überprüft – somit können Nachzahlungen von Sozialversicherungsbeiträgen vermieden werden. Zum anderen hat der Bundestag Anfang 2025 eine Übergangsregelung beschlossen: Wenn die Honorarkräfte dem zustimmen, können sie noch bis Ende 2026 selbstständig arbeiten und werden nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Danach allerdings müssen sie angestellt werden.
Um die Zusatzvereinbarungen, die dafür geschlossen werden müssen, gibt es allerdings Streit. Verdi wirft den Bezirken vor, Musikschullehrkräfte erheblich unter Druck zu setzen. »Betroffene berichten vermehrt, dass sie von bezirklichen Dienststellen genötigt werden, diese Zusatzvereinbarungen zu unterschreiben – unter der Drohung, andernfalls künftig keine Aufträge mehr zu erhalten«, heißt es in einer Mitteilung der Gewerkschaft. Diesen Vorwurf bestreiten alle Bezirke.
Allerdings hat die Senatsverwaltung für Finanzen die Bezirke aufgefordert, der neuen Gesetzeslage entsprechende Zusatzvereinbarungen abzuschließen. »Dieser Vorgabe der Senats- und Bundesebene folgen die Bezirksämter und wenden damit bestehendes Recht an«, teilt etwa der Bezirk Reinickendorf mit.
Nicht alle Bezirke haben schon damit angefangen, ihren Lehrkräften solche Zusatzvereinbarungen vorzulegen. Und darüber, welche rechtlichen Folgen es hat, wenn Lehrkräfte diese nicht unterzeichnen, besteht Uneinigkeit. Der Bezirk Mitte etwa teilt mit, dass man der Auffassung sei, dass ohne Zustimmungserklärung keine Honoraraufträge für das kommende Schuljahr erteilt werden können. Eine Einschätzung, die die meisten Bezirke teilen. Der Bezirk Marzahn-Hellersdorf hingegen teilt mit: »Die bundesweit geltende, gesetzlich festgelegte Übergangsregelung greift nach unserer Einschätzung jedoch auch dann, wenn die Lehrkräfte einer Zusatzvereinbarung nicht explizit zustimmen.«
In jedem Fall wäre allerdings der Senat in der Verantwortung, die entsprechenden finanziellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Bezirke überhaupt die Möglichkeit hätten, Honorarkräfte fest anzustellen. Schätzungen zufolge wären dafür berlinweit rund 25 Millionen Euro nötig, spätestens im Haushalt für 2026.
Auf eine »nd«-Anfrage, welche Vorbereitungen der Senat für den Ablauf der Übergangsregelung trifft, reagierte die zuständige Kulturverwaltung nicht. Im Plenum des Abgeordnetenhauses am Donnerstag versicherte die parteilose Kultursenatorin Sarah Wedl-Wilson allerdings, der Senat prüfe derzeit alle Möglichkeiten, um die finanziellen Hürden zu überspringen und damit die rechtssicheren Anstellungen von möglichst vielen Musikschullehrkräften zu ermöglichen.
Diese »rechtssichere Anstellung« bedeutet aber nicht zwangsläufig sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen. Im Februar hatte der Senat eine Bundesratsinitiative beschlossen, mit der die Bundesregierung aufgefordert wird, den rechtssicheren Einsatz von selbstständigen Lehrkräften in Bildungseinrichtungen weiterhin zu ermöglichen. »Der Senat hat die Herausforderung vor sich, die Wartezeit zu überbrücken zwischen der jetzigen noch nicht sicheren Lösung für die Honorarkräfte an den Musikschulen und einer klaren Aussage des Bundes«, so Wedl-Wilson.
Nicht zu Unrecht sagt Gewerkschaftssekretär Konstantin Kohl, der Senat schiebe das Problem auf die lange Bank. »Es sollte jetzt damit angefangen werden, die Leute fest anzustellen.« Die Leitungen der Musikschulen würden ihre Leute gern halten, so Kohl. »In der Praxis gibt es für die Musikschulen ja jetzt schon kaum einen Unterschied zwischen Festangestellten und Honorarkräften. Der einzige Unterschied ist: die einen bekommen Gehalt, die anderen Honorare«
Auch aus den Bezirken sind ähnliche Forderungen zu hören: »Zugleich setzen sich die Musikschule und das Bezirksamt dafür ein, dass der Senat schon während der Übergangsregelung alle Voraussetzungen schafft, dass die Musikschullehrkräfte festangestellt werden können«, teilt etwa der Bezirk Lichtenberg mit.
Sollten die entsprechenden Voraussetzungen nicht geschaffen werden, könnte es zu Problemen an den Musikschulen kommen. Denn auch wenn Senatorin Wedl-Wilson betont, dass nicht alle rund 1800 Honorarkräfte in Berlin angestellt werden möchten, könnte die Hängepartie zu einer Abwanderung von Lehrer*innen zu führen.
Denn, wie der Bezirk Marzahn-Hellersdorf mitteilt, bestehe auch bei musikpädagogischen Fachkräften ein erheblicher Mangel. »Die Nachfrage nach unseren Kursen ist bereits jetzt größer als das Angebot, das wir ermöglichen können«, so das Bezirksamt weiter. »Wir sind also sehr daran interessiert, unsere qualifizierten Musikschullehrerinnen und -lehrer zu halten und ihnen möglichst attraktive Arbeitsbedingungen zu bieten.« Dafür aber müsste der Senat Geld bereitstellen. Angesichts der massiven Kürzungen, gerade im Kulturressort, muss dafür aber erheblicher Druck auf den Senat aufgebaut werden.
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