Tausende fordern Freiheit für Antifaschisten

Jena: Soli-Demo für in Budapest und Deutschland inhaftierte Genossen

  • Yaro Allisat
  • Lesedauer: 4 Min.
Aus vielen Orten in der ganzen Bundesrepublik waren am 14. Juni Menschen nach Jena gereist, um ihre Solidarität mit inhaftierten Antifas zu bekunden.
Aus vielen Orten in der ganzen Bundesrepublik waren am 14. Juni Menschen nach Jena gereist, um ihre Solidarität mit inhaftierten Antifas zu bekunden.

»Free all Antifas« aus tausenden Mündern – trotz der sengenden Hitze auf dem Jenaer Holzmarkt: Der Ruf gilt Maja, Gino, Clara und all den Antifaschist*innen, die in Deutschland, Frankreich und Ungarn aktuell inhaftiert sind. Etwa 10 000 Menschen haben laut Veranstalterangaben am Samstagnachmittag in der thüringischen Stadt ihre Solidarität mit den von Haft, Repression und unfairen Gerichtsverfahren Betroffenen gezeigt. Und zugleich gegen zunehmende rechte Gewalt protestiert.

Junge und Alte sind gekommen; Punks, Anarchist*innen, Kommunist*innen, Friedens- und Klimabewegte, schwarzer Block und palästinasolidarische Menschen. »Es ist gut, dass wir hier gemeinsam sind«, sagt Katja (Name geändert), eine Demoteilnehmerin, ganz in schwarz, die Jacke voller anarchistischer Aufnäher, dem »nd«. »Wir teilen nicht überall eine Meinung, aber heute können wir solidarisch miteinander und mit den Inhaftierten sein.«

Am Rand der Demonstration stehen in Gruppen Dutzende Polizeikräfte. Doch sie halten sich weitgehend zurück. Auch als manche Demonstranten Bengalo-Fackeln anzünden, intervenieren sie nicht. Bis Redaktionsschluss waren keinerlei Identitätsfeststellungen bekannt. Allerdings filmten Beamte den Aufzug.

Derzeit laufen gegen 14 Antifaschist*innen Verfahren im sogenannten Budapest-Komplex. Ihnen wird vorgeworfen, beim von Neonazis aus ganz Europa in Budapest jährlich im Februar begangenen »Tag der Ehre« 2023 Teilnehmende des rechten Events brutal angegriffen zu haben. Eine der Beschuldigten ist Maja T. Die queere Aktivist*in wurde vor knapp einem Jahr an Ungarn ausgeliefert – nur wenige Stunden, bevor das Bundesverfassungsgericht die Auslieferung nach einem Eilantrag von Majas Verteidigung für rechtswidrig erklärt hatte.

Eine Rückholung von Maja ist dennoch nicht absehbar. In Ungarn berichtet sie seitdem von Isolationshaft, psychischer Gewalt, schlechten hygienischen Bedingungen und der Verweigerung von Behördenseite, ein Studium fortzuführen. Ihr drohen bis zu 24 Jahre Haft in Ungarn.

In den Fällen von Gabriele aus Italien, Gino aus Frankreich und Johann aus Deutschland lehnten Gerichte die Auslieferung nach Ungarn aufgrund menschenrechtlicher Bedenken ab. Im Januar dieses Jahres stellten sich weitere Beschuldigte nach monatelangem Untertauchen der Polizei, unter der Zusicherung von Behördenseite, damit der Auslieferung nach Ungarn zu entgehen. Sie befinden sich aktuell in Untersuchungshaft – bis auf Zaid A. Dem Nürnberger wurde vorerst Haftverschonung gewährt, zugleich ist er der einzige der Beschuldigten, dem derzeit noch die Auslieferung droht. Zaid A., der die syrische Staatsbürgerschaft hat, sagte auf der Demo in Jena: »Wir lassen uns von den Repressionen nicht einschüchtern.«

Elias Engel, Sprecher des Demobündnisses, erklärte: »Es geht nicht nur um die Verteidigung einzelner Aktivist*innen, sondern um die Verteidigung von Antifaschismus im Gesamten.« Die Jenaerin Charlotte Sebnitz ergänzte: »Während sich Neonazis bewaffnen und alle angreifen, die nicht in ihr reaktionäres Weltbild passen, werden Antifaschist*innen vom deutschen Staat verfolgt.« Menschen, die sich für eine »offene und befreite Gesellschaft« einsetzten, würden zunehmend kriminalisiert und eingeschränkt. »Uns muss klar sein: Der Staat schützt uns nicht. Antifaschismus ist Sache der Zivilgesellschaft«, so Siebnitz.

Der Vater von Maja T. appellierte auf einer Pressekonferenz kurz vor der Demo an die Teilnehmenden, friedlich für die Freiheit von Maja und anderen Antifaschist*innen zu kämpfen. Auf der Kundgebung forderte er Bundeskanzler Friedrich Merz und Außenminister Johann Wadephul (beide CDU) auf, sich für die Rückkehr seiner Tochter nach Deutschland einzusetzen.

Dass die Demo in Jena stattfand, hatte das Bündnis einerseits damit begründet, dass Maja aus der Stadt kommt – und andererseits damit, dass das »Kerntrio« des rechtsterroristischen NSU von hier stammt und sich hier radikalisierte.

Wegen der Hitze wurde die Demonstrationsroute deutlich abgekürzt. Bei der Zwischenkundgebung auf der Schillerstraße wird Essen ausgepackt. Spürbar erleichtert sind die Teilnehmenden, dass die Polizei sich zurückhält. »Dass wir friedlich demonstrieren können, erleichtert mich sehr«, sagt Jess (Name ebenfalls geändert) im Gespräch mit »nd«. Zugleich zeigt sich die Aktivist*in besorgt angesichts dessen, dass Polizisten die Demo an vielen Stellen filmten: »Das kenne ich aus vielen anderen Kontexten. Sie versuchen, Gesichter, Namen und Strukturen aufzudecken und uns einzuschüchtern, obwohl wir hier unser Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ausüben.«

Bettina R., alteingesessene Jenaerin, fühlt vor allem mit den Eltern der Inhaftierten. Für sie ist die Demo nicht nur politisch wichtig, sondern auch eine emotionale Sache. »Mich gruselt der Gedanke, was diese tapferen Menschen im Gefängnis erfahren müssen«, meint sie. »Egal, ob man es für richtig hält, was in Budapest passiert sein soll: Da muss man sich solidarisch zeigen.«

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