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Potsdamer Glockenspiel soll in Filz gehüllt werden
Lernort Garnisonkirche bietet der Stadtverwaltung die Betreuung des rechtslastigen Denkmals an
Die barocke Potsdamer Garnisonkirche brannte im April 1945 bei einem Bombenangriff aus. 1968 wurde die Ruine gesprengt. Der umstrittene Wiederaufbau des Kirchturms war im August 2024 nicht vollständig abgeschlossen, weil die Haube und die Glocken noch fehlten. Der Turm wurde dennoch schon eröffnet. Bereits seit 1991 steht gleich um die Ecke ein Nachbau des historischen Glockenspiels. Jahrelang erklang »Lobe den Herrn« und »Üb’ immer Treu und Redlichkeit«.
Inzwischen schweigt das Glockenspiel. 2019 wurde es auf Weisung des damaligen Oberbürgermeisters Mike Schubert (SPD) abgeschaltet, weil endlich eingesehen wurde, was die Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel der Stadt da nach der Wende geschenkt hatte. Die Umrisse von Deutschland in den Grenzen von 1937 waren zwar noch entfernt worden. Es blieben aber rechtslastige Inschriften eingraviert, die zum Beispiel die Wehrmacht verherrlichen.
Erst kümmerte sich die Traditionsgemeinschaft selbst um Wartung und Instandsetzung, 2006 übernahm die Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche diese Aufgabe. Eine angebrachte Infotafel wurde aber nach Abschaltung des Glockenspiels abgenommen. Nun hat der im benachbarten Kunst- und Kreativhaus Rechenzentrum ansässige Lernort Garnisonkirche in einem Brief an die Stadtverwaltung angeboten, die Betreuung des Glockenspiels zu übernehmen. Der Lernort setzt sich kritisch mit dem Wiederaufbau der Garnisonkirche auseinander und hat mit seinen Nachforschungen zu den Inschriften auch zur Abschaltung des Glockenspiels beigetragen. Das Glockenspiel steht aber seit 2021 unter Denkmalschutz und darf nicht einfach abgerissen werden.
Bitte um eine Informationstafel
Zwar hatte die Stadtverordnetenversammlung 2021 beschlossen, das Glockenspiel künstlerisch zu kommentieren. Doch seitdem ist noch nichts in dieser Richtung geschehen. Angesichts finanzieller Sorgen sieht es nicht so aus, als würde sich daran so bald etwas ändern.
Der Architekturprofessor Philipp Oswalt und die Historikerin Agnieszka Pufelska, beide beim Lernort Garnisonkirche engagiert, hatten Anfang Mai eine provisorische Tafel mit Erklärungen zum Glockenspiel auf der angerosteten Halterung befestigt. Nach zwei Wochen wurde sie entfernt. Die CDU-Fraktion und andere hatten sich an der Aktion gestört. Nun schreibt Oswalt der Stadtverwaltung: »Wir bitten zu entschuldigen, dass wir die Anbringung der Tafel im Mai 2025 mit Ihnen nicht vorher abgestimmt haben, und möchten dies nun nachholen.« Es stimme, dass der Lernort keinen Antrag gestellt und also keine Genehmigung erhalten hatte. Man beabsichtige, die seit 2020 fehlende Erläuterungstafel nun durch eine geeignete Neufassung zu ersetzen. »Gerne sind wir bereit, den Text mit Ihnen abzustimmen.«
Als möglicher Betreiber sichere der Lernort zu, Projekte zur kritischen Auseinandersetzung mit dem Glockenspiel zu unterstützen, insbesondere das von der Stadt geförderte Projekt »Glockenstille« der Künstlerin Annette Paul. Sie will die Glocken Anfang September in bunten Filz einhüllen. »Das Schweigen sichtbar machen, die Stille in Farbe zeigen«, beschreibt sie dem »nd« am Montag ihr Anliegen. Die Idee sei ihr bereits vor vier Jahren gekommen. Begleitend sollen »mit Inbrunst, aber ohne Ton« drei Reden gehalten werden. Paul verweist auf in Potsdam tobende Grabenkämpfe um den Abriss des Rechenzentrums und den möglichen Weiterbau der Garnisonkirche durch die Errichtung auch noch des Kirchenschiffs. Da schien es ihr angebracht, etwas mit dem Glockenspiel zu machen.
Von Paul stammte schon die bereits realisierte Idee, am Landtag den Satz »Ceci nest pas un château« anzubringen. Übersetzt heißt das: »Dies ist kein Schloss!« Damit werden des Französischen mächtige Touristen aufgeklärt. Besucher der Stadt glauben wegen der dem alten Potsdamer Stadtschloss nachempfundenen Fassade oft nicht, dass sie hier vor dem Neubau eines Parlaments aus dem Jahr 2014 stehen.
Deutschland in den Grenzen von 1937
Es ist nicht so, dass es keine frühzeitigen Warnungen vor der Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel gegeben hätte. Am 2. Dezember 1990 hatte der evangelische Pfarrer Uwe Dittmer auf Äußerungen von Max Klaar hingewiesen, in denen dieser für ein Deutschland in den Grenzen von 1937 plädiert habe. Der Kommandeur eines Fallschirmjägerbataillons der Bundeswehr hatte die Traditionsgemeinschaft 1984 gegründet und noch vor der Wende Kopien der Glocken der Garnisonkirche anfertigen lassen. Zunächst waren sie in einer Kaserne im nordrhein-westfälischen Iserlohn aufgestellt. 1990 bot Klaar das Glockenspiel der Stadt Potsdam an.
2002 forderte die Traditionsgemeinschaft den Verzicht auf Kirchenasyl, auf die Segnung von Homosexuellen und die Beratung von Kriegsdienstverweigerern in der Garnisonkirche. Ferner sollten an der Kirche keine pazifistischen Symbole angebracht werden. Im Gespräch war einst, das Nagelkreuz der im Zweiten Weltkrieg von der deutschen Luftwaffe ausradierten englischen Stadt Coventry auf den Turm zu setzen. Das wäre ein pazifistisches Zeichen gewesen.
Tag von Potsdam
Umstritten war der Wiederaufbau der Garnisonkirche nicht zuletzt deshalb, weil die Nazis am 21. März 1933 in dieser Kirche die feierliche Eröffnung des Reichstags zelebrierten. Symbolträchtig schüttelte Kanzler Adolf Hitler dem greisen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg die Hand. Der Moment steht für die unheilige Allianz von Faschisten und preußischen Militaristen.
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