Weltweite Rüstungsausgaben: »Drecksarbeit« und Dividenden

Für Nicole Mayer-Ahuja sind die abhängig Beschäftigten die Verlierer der weltweiten Aufrüstung

Panzerhaubitze 2000 der Bundeswehr
Panzerhaubitze 2000 der Bundeswehr

»Wir müssen kriegstüchtig werden.« Das fordert aktuell nicht nur Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). 80 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus scheint der Schwur der Gefangenen von Buchenwald vergessen zu sein: »Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus!« Die »Zeitenwende«, die wir erleben, ist nicht zuletzt ein Angriff auf abhängig Beschäftigte. Warum?

Wenn Waffen sprechen, machen Unternehmen Rekordgewinne. Die Aktienkurse von Rüstungsfirmen steigen raketenhaft an – der von Rheinmetall zum Beispiel von 83 Euro (2021) auf 1717 Euro (2025). Die weltweiten Rüstungsausgaben sind laut dem schwedischen Friedensinstitut Sipri um 9,4 Prozent gestiegen; die Bundesrepublik liegt aktuell direkt hinter den USA, China und Russland. Ein Eldorado für Firmen und Investoren – und Lebensgefahr für die arbeitende Bevölkerung.

»Die Dividenden steigen, und die Proletarier fallen«, hat Rosa Luxemburg 1916 festgestellt. Denn die »Drecksarbeit« (Bundeskanzler Friedrich Merz) machen nicht Regierungen (auch nicht die israelische oder US-amerikanische im Krieg gegen den Iran), sondern die »kleinen Leute«, die an den Fronten sterben. Zugleich wird die Zivilbevölkerung immer sorgloser bombardiert – auch das sind vor allem Lohnabhängige, auf allen Seiten.

Konfliktfeld Arbeit

Nicole Mayer-Ahuja ist Professorin für die Soziologie von Arbeit, Unternehmen und Wirtschaft an der Universität Göttingen. Sie forscht zu Veränderungen der Arbeitswelt, auch in transnationaler Perspektive. Außerhalb der Wissenschaft ist sie linken Gewerkschafter*innen seit Langem bekannt, eine breite Öffentlichkeit erreichte sie 2021 mit ihrem Sammelband »Verkannte Leistungsträger:innen« über Fahrradkuriere, Altenpflegerinnen oder Erntehelfer, den sie zusammen mit dem Soziologen Oliver Nachtwey herausgegeben hat. Mayer-Ahuja ist die erste Akademikerin in ihrer Familie. Aktuell untersucht sie Dynamiken von Arbeit in der Klassengesellschaft. Kapitalismus beruht auf Differenz und Konkurrenz - das prägt auch die Beziehungen zwischen Kolleg*innen, den Geschlechtern oder Einheimischen und Migrant*innen. Was bringt die Arbeitenden auseinander? Und welche gemeinsamen Erfahrungen mit Lohnarbeit lassen sich trotz alledem für eine solidarische Politik nutzen, die dazu beiträgt, dass das Verbindende (zeitweise) schwerer wiegt als das Trennende? Ihr neues Buch »Klassengesellschaft akut«  erscheint im September bei C.H. Beck.

Zudem geht die rasante Militarisierung der Gesellschaft auf Kosten abhängig Beschäftigter. Wer die eigene Arbeitskraft verkaufen muss, um die Existenz zu sichern, verzichtet im Betrieb ohnehin auf demokratische Standards: Dort entscheidet nicht die Mehrheit, sondern das Management. Bei der Arbeit im Militär wird besonders deutlich: Befehl und Gehorsam sind keine demokratischen Werte. Je mehr Menschen das Parieren lernen, desto schwerer fällt die Demokratisierung der Arbeitswelt.

Erinnern wir uns an die Debatte über Dienstverpflichtung in der Pandemie: Aussetzung der Höchstarbeitszeit, Verweigerung von Kündigungs- und Streikrecht für »systemrelevante« Berufe sind Aspekte »unfreier Arbeit«. Sie spielen auch in militärisch relevanten Industrien eine zentrale Rolle. Der aktuell viel diskutierte Verkauf von Autowerken an Rüstungsfirmen sichert daher nicht nur Jobs – er kostet auch Spielräume für Mitbestimmung und gesellschaftlich nützliche Produktion.

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Schließlich leitet die Bundesregierung Staatsgelder so konsequent in Rüstung um, dass viel zu wenig Geld für dringende Investitionen in öffentliche Dienste (wie ein bedarfsdeckendes Gesundheitswesen) bleibt – zumal der reguläre Bundeshaushalt (für Arbeit, Soziales, Bildung …) weiter durch die Schuldenbremse stranguliert wird. Forcierte Aufrüstung lässt keinen Raum für die Aufwertung von Arbeit; soziale Sicherung (etwa bei Arbeitslosigkeit) wird unter »Schmarotzerverdacht« gestellt und abgebaut. Kurz: Das Sozialeigentum von Beschäftigten, das aus Lohnarbeit entsteht, wird weiter enteignet.

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Doch der Verweis auf leere Kassen überzeugt nicht mehr. Geld ist genug da – seine Verwendung ist eine Klassenfrage. Wie Alternativen aussehen könnten? Vielleicht so: Budgets und Personal für Kranke und Alte, Grundsicherung für Kinder, Schutz vor Arbeitslosigkeit, vernünftige Löhne, bezahlbarer Wohnraum… Und weil Krieg nie im Interesse arbeitender Menschen ist: Die Waffen nieder!

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