SPD-Parteitag: Nur wenige gegen Nato-Aufrüstungsziel

Auf dem Parteitag wurde über das »Friedensmanifest«, einen Antrag gegen exorbitant steigende Militärausgaben und die Wehrpflicht debattiert

Eine Gruppe demonstriert mit T-Shirts mit der Aufschrift »Abrüsten!« beim SPD-Bundesparteitag. Auf dem Parteitag wählte die SPD ein neues Präsidium und einen neuen Parteivorstand.
Eine Gruppe demonstriert mit T-Shirts mit der Aufschrift »Abrüsten!« beim SPD-Bundesparteitag. Auf dem Parteitag wählte die SPD ein neues Präsidium und einen neuen Parteivorstand.

Wie man Kriege beendet und verhindert, war nach der Veröffentlichung des Manifests der »Friedenskreise« der SPD erwartbar ein Thema auf dem Bundesparteitag in Berlin. Auch die Wehrpflicht wurde dort kontrovers diskutiert. Die Jusos hatten Verteidigungsminister Boris Pistorius aufgefordert, die Option, gegebenenfalls den Zwangsdienst zu reaktivieren, in einem Gesetzentwurf fallenzulassen. Ihr Antrag wurde allerdings nach Verhandlungen mit Verteidigungsminister Boris Pistorius vollständig entschärft.

Akteure des Erhard-Eppler-Kreises der SPD um den Bundestagsabgeordneten Ralf Stegner hatten einen Antrag an den Parteitag eingebracht, dem zufolge sich die Partei gegen das vergangene Woche mit den Stimmen der deutschen Regierung beschlossene Ziel der Nato stellen solle, die Verteidigungsausgaben der Mitgliedstaaten auf dauerhaft fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Stegner verwies auf dem Parteitag darauf, dass dies aktuell bedeuten würde, 225 Milliarden Euro jährlich für die Rüstung auszugeben – bei einem Gesamt-Bundeshaushalt von 477 Milliarden.

Im Antrag heißt es: »Wir sprechen uns dagegen aus, die künftige Handlungsfähigkeit des Bundes und die Haushaltssouveränität des Bundestages durch die Nato-Verpflichtungen dermaßen einzuschränken.« Vor einer Festlegung bei den Verteidigungsausgaben brauche es eine gesellschaftliche Debatte, welche »nötig und sinnvoll« seien. Es ergebe keinen Sinn, wenn diese sich am BIP »statt an etwaigen Bedrohungslagen« orientierten. Auch schuldenfinanzierte Aufrüstung binde Ressourcen, die zur Bewältigung von Krisen und zur Gestaltung der Zukunft benötigt würden.

Der Antrag wurde mit einer deutlichen Mehrheit von 65 Prozent abgelehnt. Die Mehrheitsverhältnisse auf dem Parteitag entsprechen anscheinend denen in der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik. Einer am Wochenende veröffentlichten Statistik des ZDF-Politbarometers zufolge befürworten 65 Prozent der Bürger das Fünf-Prozent-Ziel der Nato. Unter SPD-Anhängern sind es demnach sogar 71 Prozent und selbst unter Linke-Wählenden noch 41 Prozent.

In der Debatte vor der Abstimmung hatte die Bundestagsabgeordnete Nina Scheer moniert, das »Fünf-Prozent-Diktat« sei »das Gegenteil von Friedenspolitik«. Die rasant steigenden Militärausgaben würden dringend notwendige Ausgaben in den Klimaschutz verhindern, so Scheer, die zu den 100 Erstunterzeichner*innen des Manifests gehört. Der Delegierte Klaus Bartel aus Bayern sagte, schon jetzt sei klar, dass es im Haushalt keine ausreichenden Mittel für das versprochene Klimageld zum Ausgleich des steigenden CO2-Preises und die Senkung der Stromsteuer geben werde.

Lothar Binding, von 1998 bis 2021 Bundestagsabgeordneter, warf der Bundesregierung vor, sie habe den fünf Prozent wegen eines »Fingerschnipps« von US-Präsident Donald Trump zugestimmt und nicht, weil das Geld wirklich nötig sei. Der ehemalige EU-Abgeordnete Joachim Schuster nannte den Nato-Beschluss »verstörend, befremdend und irritierend«. Er werde »eine gigantische Aufrüstungsspirale« auslösen, weil dann auch Russland und China aufrüsten würden.

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius schaltete sich persönlich in die Debatte ein. Für ihn ist klar, dass sich die fünf Prozent an der »tatsächlichen Bedrohungslage« und an den in der Nato vereinbarten »Fähigkeitszielen für eine wirksame Abschreckung« orientieren. Pistorius verwies auch darauf, dass in dem Nato-Beschluss für das Jahr 2029 eine »Revisionsklausel« eingebaut sei. Dann werde überprüft, ob Verteidigungsmittel in dieser Höhe angesichts der aktuellen Lage weiter nötig seien. Zudem versprach der Minister, die Bundesregierung werde sich weiter auf allen Wegen für Diplomatie und Abrüstung einsetzen.

Der wiedergewählte Parteichef Lars Klingbeil und Altkanzler Olaf Scholz verwiesen in ihren Reden wie Pistorius darauf, dass man alles getan habe, auf diplomatischem Wege zu einem Frieden in der Ukraine zu kommen, dass der russische Präsident Wladimir Putin aber niemals zu Zugeständnissen bereit gewesen sei.

Der Bremer Bürgerschaftsabgeordnete Arno Gottschalk sieht im Abstimmungsergebnis dennoch einen Achtungserfolg. Eine relevante Minderheit habe den Antrag gegen das Fünf-Prozent-Ziel unterstützt. »Der Widerstand ist eindrucksvoll und ermutigend. Schon jetzt, wo noch gar nicht zu spüren ist, was der scharfe Aufrüstungskurs bedeutet«, schrieb Gottschalk auf X.

Jenseits dessen protestierten einige Delegierter am Freitagabend auch mit einem satirischen Auftritt gegen den Aufrüstungskurs: Die Männer und Frauen marschierten mit »Pickelhauben«-Stirnbändern und aufgeklebten Schnurrbärten durch die Saalreihen und salutierten. Auf ihren T-Shirts stand die Forderung »Abrüsten! Irgendwann ist jetzt!«

Wehrpflicht: doch okay

Am Samstag gelang es den Vertretern der Bundesregierung wiederum, den Widerspruch des Parteinachwuchses gegen die Pläne zur Reaktivierung der Wehrpflicht umfassend einzuhegen: Die Jusos änderten einen Initiativantrag ab, der die Verankerung eines zwangsweisen Wehrdienstes in einem geplanten Gesetzentwurf generell abgelehnt hätte. Im nun beschlossenen Text heißt es dagegen: »Wir wollen keine aktivierbare gesetzliche Möglichkeit zur Heranziehung Wehrpflichtiger, bevor nicht alle Maßnahmen zur freiwilligen Steigerung ausgeschöpft sind. Maßnahmen zur Musterung, Erfassung und Wehrüberwachung wehrpflichtiger junger Männer wollen wir ermöglichen.« Wann »alle Maßnahmen« ausgeschöpft sind, ist ein interpretierbarer Begriff. Inhaltlich gleicht die Aussage des Papiers den Vereinbarungen des Koalitionsvertrags mit CDU und CSU zum Thema.

Juso-Chef Philipp Türmer sagte, er habe sich nach »stundenlangen Verhandlungen« mit Verteidigungsminister Boris Pistorius auf den nun beschlossenen Text verständigt, dem zufolge die SPD weiter auf Freiwilligkeit setze. Sie vertraue den jungen Menschen, »dass sie Verantwortung übernehmen wollen« – auch ohne Wehrpflicht. Beide, Pistorius und er, hätten sich »ganz schön bewegen müssen«, teilte Türmer mit.

Im Text ist auch vom schwedischen Wehrdienstmodell die Rede. Dieses hatte sich Pistorius bereits zu Zeiten der Ampel-Koalition zueigen gemacht und ein Konzept dafür vorgestellt. Nach Angaben des Verteidigungsministers braucht die Bundeswehr mindestens 60 000 zusätzliche Soldat*innen und insgesamt 200 000 Reservist*innen. Im vom Parteitag beschlossenen Papier wird anerkannt, dass angesichts der sicherheitspolitischen Lage und der »Erwartungen Verbündeter« eine Personalausstattung der Truppe in genau diesem Umfang nötig sei.

Der Präsident des Reservistenverbandes, Patrick Sensburg, kritisierte den Beschluss dennoch heftig. »Dies ist die Absage an eine Wehrpflicht in dieser Legislaturperiode mit der SPD«, sagte er der »Rheinischen Post«. Die Formulierungen in dem Papier seien »der letzte Sargnagel für unsere Verteidigungsfähigkeit«.

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