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Polen führt Grenzkontrollen ein

Stellvertretende EU-Parlamentspräsidentin Katarina Barley (SPD) kritisiert polnische Grenzkontrollen als »Retourkutsche«

Polnische Beamte kontrollieren am Montag in Slubice Fahrzeuge.
Polnische Beamte kontrollieren am Montag in Slubice Fahrzeuge.

Polen nimmt seit Montag eigene stationäre Kontrollen an der Grenze zu Deutschland vor. Die Regierung in Warschau reagiert damit auf die verstärkten deutschen Kontrollen und die Zurückweisung von Asylsuchenden an der polnischen Grenze, die Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) Anfang Mai angeordnet hatte.

An der Grenze zu Deutschland wurden 52 Kontrollpunkte eingerichtet. Auch an 13 Grenzübergängen zu Litauen führte Polen Kontrollen ein. Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk erklärte, mit der Maßnahme solle »der unkontrollierte Strom von Migranten hin und zurück begrenzt« werden. Er hatte wiederholt betont, sein Land würde gern auf die Kontrollen an eigenen Grenzposten verzichten. Man sehe sich aber durch das einseitige deutsche Vorgehen dazu veranlasst. Die polnischen Kontrollen sind zunächst bis zum 5. August befristet.

Die stellvertretende EU-Parlamentspräsidentin Katarina Barley (SPD) äußerte sich besorgt über die Entwicklung. Die Entscheidung Polens sei in erster Linie »eine Retourkutsche« für das deutsche Vorgehen, sagte die Politikerin im ZDF-»Morgenmagazin«. Barley weiter: »Das ist so ein Dominoeffekt und das bringt natürlich dann das ganze Schengen-System an die Grenzen.« Das Schengen-System ist ein Abkommen zwischen europäischen Staaten, das die Reise ohne Passkontrollen an den Binnengrenzen ermöglicht – normalerweise. Barley äußerte Kritik an der Verschärfung der deutschen Kontrollen. Es gebe andere Möglichkeiten wie etwa Schleierfahndungen. Zudem sei die Zahl der Asylanträge in Deutschland zuletzt deutlich zurückgegangen, »ohne dass man solche scharfen Grenzkontrollen angeordnet hätte«.

Die deutschen Kontrollen an der Grenze zu Polen waren im Oktober 2023 von der damaligen Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) eingeführt und später auf alle deutschen Landesgrenzen ausgeweitet worden. Dobrindt hatte direkt nach seinem Amtsantritt Anfang Mai weitere Verschärfungen angeordnet und die Bundespolizei zudem angewiesen, auch Asylsuchende im Regelfall direkt an der Grenze zurückzuweisen. Auch dagegen wehrt sich Polen. Dabei wurden Abweisungen von Asylsuchenden bereits als illegal befunden.

Die Migrationspolitik war ein zentrales Thema im Präsidentschaftswahlkampf in Polen. Der Wahlsieg des Rechtsnationalisten Karol Nawrocki, der schärfere Kontrollen an der Grenze zu Deutschland forderte, war eine erhebliche Schwächung Tusks liberal-konservativer Regierung. Tusks Einführung der Grenzkontrollen ist sowohl eine Reaktion auf Deutschlands Grenzkontrollen, durch die es wiederholt zu Störungen und Verzögerungen im grenzüberschreitenden Verkehr kam, als auch ein Versuch, sich im innenpolitischen Diskurs in Konkurrenz zur PiS-Partei, als Law-and-Order-Falke darzustellen.

»Das ist so ein Dominoeffekt und das bringt natürlich dann das ganze Schengen-System an die Grenzen.«

Katarina Barley stellvertretende EU-Parlamentspräsidentin (SPD)

Den neuen Grenzkontrollen ging in Polen eine Welle rechtsradikaler Aktionen voraus. Seit dem 27. Juni patrouillierten Bürgerwehren und Hooligans eigenmächtig in Grenznähe auf der Jagd nach People of Color. Der Grenzübergang nahe der polnischen Stadt Szczecin ist ein Hotspot rechter Agitation. Mehrere Hundert Menschen demonstrierten am 28. Juni. Die ehemaligen Ministerpräsidenten Polens, Mateusz Morawiecki (PiS) und Jarosław Kaczyński (PiS), besuchten die rechten Demonstranten und zeigten Unterstützung. Währenddessen kam es seitens der Rechtsradikalen zu Angriffen auf Gegendemonstranten. Täter sollen vorrangig aus dem Lager der »Pogoń Szczecin-Hools« stammen, so der linke Blogger »kapturak« auf Bluesky.

Deutschlands Sorgen konzentrieren sich dabei vorhersehbar auf den Fluss deutscher Waren und billiger Arbeitskräfte, so der Präsident des Groß- und Außenhandelsverbands (BGA), Dirk Jandura: »Abschottung löst keine Probleme, sondern schafft neue: für Lieferketten, Beschäftigte und den wirtschaftlichen Zusammenhalt in Europa.«

Auch die IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen kritisiert die Grenzkontrollen in einer Pressemitteilung vom 7. Juli scharf. So schlägt die Gewerkschaft als Brückenlösung die Einführung von Passagierscheinen vor, um die Arbeitswege für Grenzgänger zu erleichtern.

Kritik kommt von der Linken: »Was aktuell an der deutsch-polnischen Grenze stattfindet, ist eine Eskalation der autoritär-nationalistischen Entwicklung in der EU«, erklärte Clara Bünger, innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag. Es gebe »Berichte, dass Geflüchtete unwürdig zwischen Grenzkontrollstellen auf deutscher und polnischer Seite hin- und hergeschoben werden«. Bünger warnt: »Die Brutalität, die wir in den letzten Jahren von den Außengrenzen – etwa von der polnisch-belarussischen Grenze – kannten, rückt jetzt ins Zentrum der EU.« mit dpa

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