Bluten für den Neubau

Der Berliner Senat will der Schaffung neuer Wohnungen alles unterordnen

Einer düsteren Zukunft zugewandt: Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) bei der Neubautour des Senats.
Einer düsteren Zukunft zugewandt: Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) bei der Neubautour des Senats.

Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) ist schon da, ebenso seine Parteifreundin, die Umwelt- und Klimaschutzsenatorin Ute Bonde. Einige Minuten zu spät kommt Bausenator Christian Gaebler (SPD). Das passt zu der nur bedingt gelingen wollenden Umsetzung der politischen Wohnungsbauversprechen, mit denen, so zumindest die Erzählung des amtierenden Senats, die Probleme auf dem Wohnungsmarkt gelöst werden sollen.

Es ist der Auftakt der Baurundfahrt der Berliner landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Ein politischer Wohlfühltermin. Ein Tross aus Journalisten, Politikern und Vertretern der Wohnungsunternehmen wird einen halben Tag mit dem Reisebus durch die Stadt gekarrt. An jeder Station wartet ein mehr oder minder üppiges Büfett, und es wird durch mehr oder minder fortgeschrittene Gebäude geführt. Dazu gibt es für das mit Bauhelmen ausgestattete Publikum Berichte zu den aktuellen Problemen und Erfolgen des konkreten Projekts und allgemein.

Startpunkt ist diesmal ein Schulbauprojekt der Howoge direkt gegenüber vom Ostbahnhof. Das Heinrich-Hertz-Gymnasium bekommt einen Neubau, denn es muss seinen bisherigen Standort an der Rigaer Straße, rund zwei Kilometer nordöstlich, für eine neue Grundschule räumen. Die Howoge habe bislang jeden Schulneubau im Kostenrahmen und sogar vor dem ursprünglichen Termin übergeben, lässt der scheidende Howoge-Chef Ulrich Schiller wissen.

Sein Papa, ein Bauarbeiter, habe ihn in den Sommerferien auf Baustellen mitgenommen, berichtet Kai Wegner. »Ich durfte als kleiner Junge immer Steine von rechts nach links tragen. Und fühlte mich total wichtig«, sagt der Regierende Bürgermeister. »Ich wurde nur beschäftigt. Aber das habe ich sehr viel später gemerkt«, erdet er die nostalgischen Erinnerungen. »Es war trotzdem großartig, auf Baustellen zu sein.«

Den Eindruck, dass möglicherweise seine heutige Aktivität im Baugeschehen eine Beschäftigungstherapie für die Öffentlichkeit ist, möchte Wegner natürlich nicht aufkommen lassen. »Wir wollen ein neues Berliner Tempo hinbekommen, was das Thema Bauen angeht. Da sind wir auf einem guten Weg«, verspricht er.

Um das zu unterstreichen, hat Bausenator Gaebler bei der Pressefahrt auch eine frohe Botschaft im Gepäck. Für 2026 kündigt er an, dass »nach jetzigen Prognosen« die landeseigenen Wohnungsunternehmen rund 7000 Wohnungen fertigstellen werden. Damit würde die im Koalitionsvertrag von CDU und SPD vereinbarte Zielzahl von 6500 kommunalen Neubauwohnungen pro Jahr erstmals erreicht werden. »Das zeigt, dass diese Koalition auch erfolgreich daran arbeitet, die Begleitumstände für den Wohnungsbau tatsächlich zu verbessern«, sagt Gaebler.

Nun ja. 2024 haben die Landeseigenen nur 3461 Wohneinheiten fertiggestellt – über 600 weniger als damals noch zur Jahresmitte angekündigt. Und auch im laufenden Jahr sollen es laut aktueller Prognose 4775 Wohneinheiten werden. Erfragt hatte die Zahlen der Linke-Wohnungspolitiker Niklas Schenker. »Es entstehen zu wenige und zu teure Wohnungen«, sagt er. Denn für den frei finanzierten Teil der Wohnungen dürfen die Landeseigenen nach Anhebung der Obergrenzen um fast die Hälfte Durchschnittsmieten von 15 Euro nettokalt pro Quadratmeter aufrufen – da können für die konkrete Einheit auch mal 18 Euro verlangt werden. Nur ein Viertel der 2023 fertiggestellten Bestände waren Sozialwohnungen.

Der Blick in Senatsdokumente aus dem Jahr 2024 bestätigt auch die Vermutung, dass die für 2026 angepeilte Rekordzahl von 7000 Wohnungsfertigstellungen einfach verspätete Projekte aus den Vorjahren enthält.

Für Maren Kern ist die Rekordzahl dennoch »kein Pyrrhussieg«. Es sei angesichts der Rahmenbedingungen »schon eine große Größenordnung«, sagt die Vorständin des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) bei dessen Berliner Jahrespressekonferenz am Donnerstag. Neben den Landeseigenen und Genossenschaften vertritt der BBU auch Wohnkonzerne wie Vonovia und Deutsche Wohnen.

Die Rahmenbedingungen sind tatsächlich schwierig. Rasante Baukostensteigerungen, Lieferprobleme für Baumaterial, zwischenzeitlich deutlich gestiegene Zinsen und die immer weiter steigenden Bodenpreise führten laut Kern dazu, dass Neubaumieten von 20 Euro und mehr pro Quadratmeter nettokalt verlangt werden müssten. 1000 Euro Kosten pro Quadratmeter Neubaufläche resultierten grob in 4 Euro Miete.

Auch mit den deutlich gestiegenen Neubaukosten begründet der Senat die dieses Jahr erfolgenden Mieterhöhungen der Landes-Wohnungsunternehmen. »Moderate Mieterhöhungen müssen möglich sein«, sagt Bausenator Gaebler. 2,9 Prozent mehr dürfen die Gesellschaften pro Jahr nehmen – allerdings gerechnet auf den gesamten Bestand. Je Wohnung dürfen es 11 Prozent in drei Jahren sein. Für über 100 000 der insgesamt rund 470 000 kommunalen Wohnungen steigen die Mieten zu Jahresbeginn 2026.

»Mit 30 Euro pro Monat im Durchschnitt an Mieterhöhungen sind wir, glaube ich, auch auf einem leistbaren Level. Vor allen Dingen, weil ja auch eine ganze Weile keine oder sehr geringe Mieterhöhungen stattgefunden haben«, sagt Gaebler. Zumal es ja das »Leistbarkeitsversprechen« bei den Kommunalen gebe, dem zufolge nicht mehr als 27 Prozent des Nettoeinkommens für die Miete draufgehen dürfe.

Das greift allerdings nur, wenn beispielsweise die Wohnung, bezogen auf die Anzahl der Haushaltsmitglieder, nicht zu groß ist. Dafür gelten exakte Quadratmeterwerte. Gerade in den innerstädtischen Altbauwohnungen mit teilweise verschwenderischen Schnitten ist es schwierig, diese einzuhalten. Außerdem muss natürlich ein Antrag mit zahlreichen Angaben und Dokumenten eingereicht werden.

»Es kann nicht sein, dass die Bestandsmieter den Neubau der landeseigenen Wohnungsunternehmen finanzieren, weil nicht ausreichend staatliche Gelder zur Verfügung stehen«, sagt Katrin Schmidberger zu »nd«. Sie ist wohnungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. »Der Senat sollte sich endlich auf die Landeseigenen und Genossenschaften bei der Förderung konzentrieren, statt Subventionen für Private rauszugeben, die sich nur hohen Renditen verschrieben haben und trotzdem an der Mietpreisspirale drehen«, fordert sie.

Mit solchen Dingen hält sich der Senat allerdings gar nicht auf. Er setzt auf allgemeine Kostensenkungen im Wohnungsbau. Einerseits durch abgesenkte Baustandards nach dem im Frühjahr vorgestellten Hamburg-Standard. Für die größten beiden dort identifizierten konkreten Einsparmaßnahmen – Verzicht auf teure Tiefgaragen und Unterkellerung – hätte es aber wohl keiner Kommission bedurft. Größere Summen sind von ihr noch identifiziert worden bei energetischen Standards. Dann wird es beim Bau schon sehr kleinteilig, mit rechnerischen Ersparnissen von häufig nur einem Euro pro Quadratmeter.

So richtig überzeugt scheint auch Gaebler nicht zu sein, dass so viel rauszuholen wäre. Es handele sich um »einen theoretischen Wert, der sagt, wir können diese Zahl erreichen, wenn wir diese Dinge alle absenken oder klären, dass die eben anders gehandhabt werden können«. Es habe in Hamburg noch niemand dafür gebaut. Und obwohl die Arbeit am entsprechenden Berliner Programm noch nicht einmal begonnen hat, hat es schon einen Namen: »Einfach Bauen Berlin«.

Christian Gaebler setzt, wie die Bauwirtschaft und auch der Regierende Kai Wegner, auf die Effekte des bereits verabschiedeten Berliner Schneller-Bauen-Gesetzes und den sogenannten Bauturbo des Bundes. Dabei handelt es sich um den neuen Paragrafen 246e des Baugesetzbuches, der im Wohnungsbau Abweichungen von Standards regeln soll.

»Es wird mehr Spielräume geben, auch ohne einen Bebauungsplan Wohnungsbauvorhaben vorantreiben zu können«, sagt Gaebler zu »nd«. Auf die Frage, ob er ganze Wohnsiedlungen auf Basis des Turbos voranbringen würde, erwidert er: »Das kommt darauf an.«

»Wer allein auf Neubau setzt, lässt die Berliner Mieter*innen im Stich.«

Werner Graf Grünen-Fraktionschef

»Man muss natürlich schauen: Passt das einigermaßen ins Umfeld? Und können wir vor allem die ganzen Infrastrukturfragen damit abdecken?«, so der Senator weiter. Und natürlich sei »auch die Bürgerbeteiligung ja weiterhin ein Teil der Sache«, wenn auch »nicht mehr so formalisiert und kompliziert«. »Aber wir werden das schon mit Augenmaß machen«, verspricht Christian Gaebler.

Was das unter diesem Senat bedeutet, muss sich noch zeigen, wenn man bedenkt, wie rabiat dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg in letzter Zeit die Zuständigkeit für mehrere Bauprojekte entzogen wurde, weil Investoren unzufrieden waren.

»Die Wohnungsfrage kann nur im Bestand gelöst werden, gerade wenn vor allem einkommensschwache Haushalte mit Wohnraum versorgt werden müssen«, sagt Katrin Schmidberger von den Grünen. »Es ist der falsche Weg, die steigenden Kosten für Neubau und Modernisierung über steigende Mieten zu finanzieren«, ist auch Niklas Schenker von der Linken überzeugt. »Wer allein auf Neubau setzt, lässt die Berliner Mieter*innen im Stich und überlässt sie der Willkür auf dem freien Markt«, sagt Grünen-Fraktionschef Werner Graf. Zumal die Koalition »krachend an den eigenen Neubauzielen« scheitere. »Bezahlbare Mieten bekommen wir nur durch Regulierung«, so Graf.

Die Grünen haben ein Bezahlbare-Mieten-Gesetz entworfen, Die Linke ein Sicher-Wohnen-Gesetz. Beide sollen für mehr Regulierung auf Landesebene sorgen.

Zwei Zahlen zeigen die Probleme, die die astronomischen Neuvertragsmieten in Berlin erzeugen. In den landeseigenen Beständen bleiben Mieter inzwischen im Durchschnitt 27 Jahre lang wohnen. 2009 waren es noch etwas über 11 Jahre. Die Degewo berichtet, dass sich kürzlich pro Wohnung 1000 Menschen auf ein zentral gelegenes Neubauprojekt beworben hätten.

Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Dank der Unterstützung unserer Community können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen

Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.