Fragwürdige Listen

Verfassungstreue ist eine Voraussetzung für den Staatsdienst, bei Linken wird sie immer wieder angezweifelt

Lisa Pöttinger (rechts) ist aktuell von einem faktischen Berufsverbot betroffen.
Lisa Pöttinger (rechts) ist aktuell von einem faktischen Berufsverbot betroffen.

Seitdem der Verfassungsschutz bekannt gegeben hat, dass er die AfD als »gesichert rechtsextremistische Bestrebung« einstuft, gibt es eine Debatte darüber, wie der Staat mit Parteimitgliedern umgehen soll, die bei ihm beschäftigt sind oder eine Beschäftigung anstreben. Auch wenn die Einstufung des Inlandsgeheimdienstes auf Eis liegt, sprechen die Innenminister von Bund und Ländern über den weiteren Umgang mit der extrem rechten Partei. Während die Christdemokratinnen und Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) eher als Bremser gelten, drängen die Sozialdemokratinnen darauf, einen möglichst konkreten Fahrplan zu erstellen, der in einem AfD-Verbotsantrag enden könnte. Deswegen überraschte es nicht, als es vor knapp zwei Wochen hieß, das von einer Ampel regierte Rheinland-Pfalz stelle künftig keine AfD-Mitglieder mehr ein. Klare Kante, sozialdemokratische Innenpolitik ein Jahr vor der Landtagswahl, das Zeichen schien klar. Nach wenigen Tagen und Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Vorhabens veröffentlichte das rheinland-pfälzische Innenministerium dann eine »Klarstellung zur Verwaltungsvorschrift Verfassungstreue«. Bewerberinnen müssten künftig eine Belehrung zur Verfassungstreue unterschreiben und erklären, »dass sie keiner extremistischen Organisation angehören oder in den letzten fünf Jahren angehört haben«. Unterschreiben Bewerberinnen nicht, müssen sie »Zweifel an der eigenen Verfassungstreue im Rahmen einer Einzelfallprüfung« ausräumen. Gelingt das nicht, werden sie nicht eingestellt. Auch bei bestehenden Mitarbeiter*innen könne »die Mitgliedschaft in einer solchen gelisteten Organisation ein disziplinarrechtlich relevantes Dienstvergehen darstellen.« Entscheidend sei und bleibe aber der Einzelfall.

Wen der Verfassungsschutz listet

Die Liste extremistischer Organisationen wird in Rheinland-Pfalz und, ähnlich zum Beispiel in Bayern, vom Verfassungsschutz erstellt. Die Verfassungsschützerinnen aus Mainz listen 86 solcher Organisationen auf. 22 davon sind rechts: Neonazi-Kameradschaften, Kleinstparteien, der Antaios-Verlag, Burschenschaften und eben die AfD. Aus dem »Linksextremismus« sind 18 Organisationen gelistet: mehrere orthodox-marxistische Gruppen, die Freie Arbeiterinnen-Union (FAU), das postautonome »umsGanze«-Bündnis und die Solidaritätsorganisation Rote Hilfe. Die Migrantifa Rhein-Main findet sich, genauso wie die PKK, die faschistischen Grauen Wölfe und Gruppen aus der Palästina-Solidarität in der Kategorie »Sonstige extremistische Organisationen«. Für Islamistinnen und Reichsbürgergruppen gibt es eigene Kategorien. Von vielen, die sich einen gegenüber der AfD wehrhafteren Staat wünschen, wurde die Maßnahme aus Rheinland-Pfalz positiv aufgenommen. Es sei doch gut, wenn keine AfD-Lehrerinnen Kinder indoktrinierten, wurde da als Beispiel angeführt und etwa auf den Lehrer Björn Höcke verwiesen. Genauso wenig wolle man AfD-Mitglieder in Richterroben oder Polizeiuniformen. Gute Ziele, die allerdings ihre Tücken haben.

In der Praxis zweifelte der Staat oft sehr früh an der Verfassungstreue von Linken und sehr spät oder überhaupt nicht an der Verfassungstreue von Rechten. Um daran zu erinnern, muss man nicht in die Zeit der Berufsverbote in den 1970er und 80er Jahren zurückgehen. Es gibt sehr aktuelle Fälle. Der 28-jährigen Klima-Aktivistin Lisa Pöttinger aus München verweigerte das bayerische Kultusministerium im Februar die Zulassung zum Referendariat. Als Grund gab das Ministerium ihre Mitgliedschaft im »Offenen Antikapitalistischen Klimatreffen München« an, welches der Verfassungsschutz als linksextremistisch einstuft. Zusätzlich führten laufende Strafverfahren – unter anderem wegen Sachbeschädigung an AfD-Plakaten – zur Ablehnung. Das Verwaltungsgericht München lehnte Pöttingers Eilantrag ab, weshalb sie nun auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens warten muss. Die GEW unterstützt sie rechtlich und sieht darin ein verfassungswidriges Berufsverbot.

Erfolge vor Gericht

Ein ähnlich gelagerter Fall betraf vor einigen Jahren Benedikt Glasl. Wegen einer Mitgliedschaft in Linksjugend und SDS sollte ihm das Referendariat verweigert werden. Glasl siegte vor Gericht, Schadensersatzforderungen wurden anerkannt, und er wurde schließlich verbeamtet. Gerichtlich erhielten Betroffene von solchen »Berufsverboten« immer wieder Recht. Kerem Schamberger musste 2016 aufgrund seiner DKP-Mitgliedschaft monatelang auf die Zulassung zu einer Doktorandenstelle an der LMU München warten. Der bayerische Verfassungsschutz prüfte sechs Monate lang seine »Verfassungstreue« und empfahl letztendlich, ihn nicht einzustellen, da sein »Eintreten für die marxistisch-leninistische Lehre« nicht mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar sei. Die LMU München entschied sich jedoch, sich über diese Empfehlung hinwegzusetzen, und stellte Schamberger zum 1. Januar 2017 ein. Er promovierte erfolgreich über das kurdische Mediensystem. Eine bayerische Spezialität ist das Vorgehen allerdings nicht. In den Jahren 2004 und 2005 verweigerten Behörden in Baden-Württemberg und Hessen Michael Csaszkóczy die Einstellung in den Schuldienst. Weil er in der Roten Hilfe und einer Antifa-Gruppe aktiv war, zweifelte man an seiner Verfassungstreue. Csaszkóczy siegte in beiden Bundesländern vor Gericht, ihm wurde sogar Schadensersatz in Höhe von 33 000 Euro zugesprochen.

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Rechte wurden in den vergangenen Jahren mehrfach rechtmäßig aus dem Polizeidienst entfernt. In mehreren Fällen vertraten sie die Reichsbürgerideologie und lehnten die Bundesrepublik ab. In Düsseldorf wurden Polizisten aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf rechtmäßig entlassen. Ihre Teilnahme an rassistischen und antisemitischen Chatgruppen ließ ausreichend Zweifel daran, ob sie für die Verbeamtung geeignet sind. John Hoewer, Autor des neurechten Sauf- und Krawallromans »EuropaPowerbrutal«, wurde kürzlich wegen des unverhohlenen Rassismus in dem Buch und seinen Aktivitäten für die »Junge Alternative« und den Verein »Ein Prozent« verweigert, ein juristisches Referendariat anzutreten. Hoewer kann so nicht Volljurist werden. In der extremen Rechten gibt es einen Aufschrei über das »Berufsverbot für einen Roman«. Hoewers politische Aktivitäten werden nur am Rande erwähnt. Juristisch ist der Fall noch nicht entschieden.

Kritik an Regelanfragen

Bundesweit reformieren die Landesinnenministerien die Einstellungsvoraussetzungen für den öffentlichen Dienst. Unter dem wohlmeinenden Titel »Verfassungstreuecheck« wurde im letzten Jahr eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz für Anwärterinnen auf Beamtenstellen eingeführt. In Hamburg plant man, unter dem Titel »Resilienz des öffentlichen Dienstes gegen Verfassungsfeinde stärken« ebenfalls Regelanfragen beim Verfassungsschutz einzuführen. Der DGB kritisierte das Vorhaben schon im Januar scharf. Selbstverständlich sei es gut, etwas gegen Rassistinnen und Demokratiefeinde im öffentlichen Dienst zu tun. »Allerdings bedarf es bei der Umsetzung dieser Zielsetzung eines besonderen Augenmaßes. Dies lehren uns auch die historischen Erfahrungen mit dem sogenannten Radikalenerlass«, erklärte Hamburgs DGB-Vorsitzende Tanja Chawla. Mit der Verschärfung des Disziplinarrechtes für Beamtinnen und der Wiedereinführung der Regelanfrage im Bereich der Polizei habe Hamburg bereits weitgehende Maßnahmen ergriffen. Nun sei zur Stärkung der Resilienz des öffentlichen Dienstes gegen Verfassungsfeinde ein Gesamtkonzept erforderlich. »Hier spielen Fragen der Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie des Bildungsurlaubs ebenso eine Rolle wie die Gewährleistung demokratischer Mitbestimmung und Gestaltungsmöglichkeiten für junge Menschen. In diesem Kontext stellt sich somit dringend die Frage, ob es Alternativen zur Wiedereinführung der Regelanfrage beim Verfassungsschutz gibt«, so die Gewerkschaftschefin. Eine Frage, die sich möglicherweise auch politische Verantwortungsträgerinnen stellen sollten. In Folge des Radikalenerlasses wurden 1,4 Millionen Menschen überprüft. 11 000 Verfahren wurden eingeleitet. Gegen Lehrer*innen gab es über 2000 Disziplinarverfahren. 136 wurden entlassen.

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