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Spuren der kolonialen Epoche auf Kuba
Rund um die Stadt Trinidad können das reiche Kulturerbe und die Geschichte der Sklavenhalter-Epoche im Süden Kubas erkundet werden
Sechs steile Stiegen mit insgesamt 136 Stufen geht es hinauf. Unter dem schattenspendenden Dach des stolze 44 Meter in die Höhe ragenden Torre Iznaga wird die Mühe mit einem weitreichenden Rundumblick über die fruchtbare grüne Ebene mit Feldern und Palmenhainen sowie verstreut liegenden Häuschen mit ziegelroten Dächern belohnt. Im Norden zeichnet sich am Horizont dunstig-blau das Bergpanorama der Sierra del Escambray ab.
Der einmal als Kubas höchstes Bauwerk geltende Turm mit der schönen Aussicht wurde zwischen 1815 und 1830 erbaut und diente als Herrschaftsinstrument und Statussymbol. Der Überlieferung nach wollte Alejo Iznaga, einer der größten Zuckerbarone in der Geschichte der Insel, seinen Bruder und Konkurrenten Pedro mit dem imposanten Turm alt aussehen lassen. Vor allem aber konnten die Aufseher des frommen Christen von dort oben die auf den umliegenden Zuckerrohrplantagen schuftenden Sklaven perfekt überwachen. Mit Glockenschlägen verkündeten sie den Beginn und das Ende der Arbeit und gaben Alarm bei Feuer oder Fluchtversuchen.
Das Gut, zu dem Hunderte Sklaven gehörten, hatte Alejo Iznaga 1795 erworben. Bald darauf ließ er für seine Familie ein repräsentatives Herrenhaus errichten. Ihren wirtschaftlichen Höhepunkt erlebte die Zuckerwirtschaft an der Südküste Zentralkubas in den 1840er Jahren. Im östlich von Trinidad gelegenen Valle de los Ingenios mit einer Fläche von rund 250 Quadratkilometern gab es damals mehr als 50 Betriebe, die Zuckerrohr verarbeiteten.
Seit 1988 gehören die Kolonialstadt und das Tal der Zuckermühlen zum Unesco-Welterbe. In den folgenden Jahren wurde das teilweise verfallene Ensemble in Manaca Iznaga, zu dem der Turm mit seiner berüchtigten Vergangenheit gehört, unter Leitung des Büros des Stadthistorikers von Trinidad sorgfältig restauriert. Die frühere »Casa de vivienda« der Sklavenhalter beherbergt heute ein Restaurant mit musealem Ambiente. Der Weg zu den Touristenattraktionen führt vom alten Bahndamm des Fleckens durch ein loses Spalier von Ständen, an denen Frauen von ihnen kunstvoll bestickte Hemden, Tücher und Decken anbieten.
Die Hacienda Manaca Iznaga verkörpert eine Ära, in der Plantagenwirtschaft auf Basis von Sklavenarbeit die Ökonomie der größten Antilleninsel beherrschte und Kubas Gesellschaft prägte. Nachdem die Urbevölkerung durch die spanischen Kolonisatoren ab 1510 gewaltsam oder durch die Übertragung von Krankheiten völlig dezimiert worden war, begannen diese, Menschen aus Schwarzafrika, vor allem aus dem heutigen Angola und Kongo, zur Zwangsarbeit zu importieren.
Der transatlantische Menschenhandel schreibt ein langes, blutiges Kapitel der kapitalistischen Globalisierung. Am Ende des 18. Jahrhunderts erlebt er durch die steigende Nachfrage nach Zucker und neue Produktionsmethoden mit dampfbetriebenen Mühlen einen rasanten Aufschwung. Das Generalkapitanat Kuba wird im amerikanischen Teil des spanischen Kolonialreichs zum logistischen Zentrum für die Wirtschaftsform der Sklaverei. Neben Zucker sind dabei Kaffee, Tabak und Kakao das neue, nachwachsende Gold.
Obwohl nach dem Wiener Kongress 1815 offiziell verboten, geht der Sklavenhandel als Menschenschmuggel weiter. Afrokubaner bilden die Bevölkerungsmehrheit, und noch bis Mitte des Jahrhunderts zählt mehr als ein Drittel von ihnen zu den Sklaven. Die Abolition nimmt mit Beginn des ersten Unabhängigkeitskrieges 1869 Fahrt auf, als der kreolische Plantagenbesitzer Carlos Manuel de Céspedes als dessen Anführer seine Sklaven freilässt und zum Mitkämpfen als Mambises in der Guerilla gegen die spanischen Kolonialtruppen aufruft. Bei der formellen Abschaffung der Sklaverei ist Kuba 1886 eines der Schlusslichter. Als Sklaven-Ersatz holt man Zehntausende billige chinesische Kulis ins Land. Die Herausbildung der kubanischen Nation als Schmelztiegel von Ethnien spiegelt sich in der Demografie und der kulturellen Vielfalt des Landes wider.
Gnadenlose Ausbeutung ist die Quelle des Wohlstands, dem Trinidad, Kubas drittälteste Stadt, 1514 als Villa de la Santísima Trinidad gegründet, drei Jahrhunderte später ihre Blütezeit verdankt. Von dieser zeugen die prächtigen Häuser der Großgrundbesitzer rund um den malerischen Hauptplatz Plaza Mayor. An seiner Südostseite, gegenüber der reich ausgestatteten großen Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit, fällt ein für den Kolonialstil typischer zweigeschossiger Bau mit dekorierter Fassade ins Auge. Errichtet wurde er 1809 für die Familie des Zucker-Aristokraten und späteren Bürgermeisters Don Rafael Ortiz. Seit 1983 beherbergt der Palacio Ortiz eine öffentliche Kunstgalerie.
Mit der Überwindung feudaler Verhältnisse und sozialer Diskriminierung dauerte es noch bis zur kubanischen Revolution 1959. In der Landbevölkerung und unter den schwarzen Kubanern wurzelt sie am tiefsten. Unter Fidel Castro, der sich in die Nachfolge des 1895 im Kampf gegen die Spanier gefallenen Nationalhelden José Martí stellte, wurde die nun neokoloniale Abhängigkeit des Landes gegen Würde eingetauscht.
Die Pläne zur Überwindung der ererbten Zucker-Monokultur ließen sich hingegen nicht verwirklichen. Nachdem Washington die Insel nach der Verstaatlichung der bis dahin von US-Unternehmen beherrschten Zuckerindustrie mit einem Bann belegt hatte, ging das wichtigste Exportgut in die Sowjetunion und die anderen RGW-Staaten. Als dort der Sozialismus kollabierte, wickelte Kuba fast seinen gesamten Außenhandel mit diesem Block ab.
Auch die Zeiten, als Millionen mobilisiert und bei der jährlichen Zafra mit Macheten »Ernteschlachten« geschlagen wurden, sind lange vorbei. Heute kämpft Kuba mit der schwersten Wirtschaftskrise seit der traumatischen »Sonderperiode in Friedenszeiten« in den 90ern. Unter Donald Trump hat die US-Regierung den auch Drittländer einschließenden Wirtschaftskrieg intensiviert, um auf Kuba die Not zu schüren und die Regierung in Havanna zu Fall zu bringen.
Der Mangel an Dünger, Treibstoff, Maschinen, Ersatzteilen und Transportmitteln trifft die Landwirtschaft schwer. In diesem Jahr konnte nur auf der Hälfte der dafür geplanten Flächen Zuckerrohr angepflanzt werden. Die Regierung rechnet damit, dass die Zuckerproduktion auf den Tiefstand von 200 000 Tonnen fällt. 1970, im von Castro ausgerufenen »Jahr der 10 Millionen Tonnen« wurde mit 8,5 Millionen die jemals höchste Ernte eingefahren. Auch bei anderen Erzeugnissen wie Reis oder Bohnen werden Partner und Innovationen gebraucht, um die Importquote bei Lebensmitteln von 80 Prozent zu verringern.
Entscheidend ist zudem, dass der internationale Tourismus – wie früher der Zucker wichtigster Exportzweig, Lokomotive der Wirtschaft und Einkommensquelle vieler Familien – wieder mehr Besucher anzieht und Devisen erwirtschaftet. Dabei setzt Kuba längst nicht nur auf Sonne und Traumstrände, sondern auch stark auf das kulturelle und geschichtliche Erbe. Bei vielen Rundreisen steht die alte Kolonialstadt Trinidad auf dem Programm. Mit Blick auf den deutschen Markt schließt die staatliche Fluggesellschaft Cubana ab November die entstandene Lücke bei Direktflügen. Ein Airbus ihrer spanischen Partner-Airline Plusultra fliegt dann zweimal pro Woche zwischen Frankfurt am Main und Havanna.
Die Geschichte der Sklaverei auf Kuba ist auch die eines langen Freiheitskampfes. Rebellionen wurden blutig niedergeschlagen, doch entlaufene Sklaven, die Cimarrones, versteckten sich im Hinterland. Die Erfindung des zu Trinidad gehörenden Canchánchara, eines nahrhaften Mischgetränks aus Wasser, Honig und Alkohol, wird diesen Überlebenskünstlern zugeschrieben.
Iznagas hoher Wachturm steht auch für die Furcht einer kleinen Elite, angefacht durch die siegreiche Sklavenrevolution gegen die Franzosen auf der Nachbarinsel Hispaniola 1804. Als die Böden des Valle de los Ingenios erschöpft sind und ab Mitte des 19. Jahrhunderts billiger Rübenzucker die Märkte erobert, schlägt für die dortigen Plantagen und Fabriken die Stunde. Die Hinterlassenschaften aber erzählen Besuchern weiter ihre Geschichte.
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