- Politik
- Rechte Gewalt
Solingen-Prozess: Belastungszeugin eingeschüchtert
Der Prozess um den Solinger Brandanschlag 2024 soll in der kommenden Woche zu Ende gehen
Der Prozess um den Brandanschlag von Solingen im Frühjahr 2024, bei dem vier Menschen umkamen, soll in diesen Tagen vor dem Wuppertaler Landgericht zu Ende gehen. Für diesen Freitag war noch eine Zeugin geladen, in der kommenden Woche soll ein Urteil gefällt werden.
Die Befragung der Zeugin, einer Nachbarin des Tatverdächtigen Daniel S., hatte es allerdings in sich. Angelika F. lebte in den letzten Jahren Tür an Tür mit Daniel S. und seiner Freundin Jessica B. Man habe sich gut verstanden, schildert die Zeugin, Daniel S. sei hilfsbereit gewesen und habe ihr hin und wieder unter die Arme gegriffen.
Unser täglicher Newsletter nd.Kompakt bringt Ordnung in den Nachrichtenwahnsinn. Sie erhalten jeden Tag einen Überblick zu den spannendsten Geschichten aus der Redaktion. Hier das kostenlose Abo holen.
Ein oder zwei Tage nach der Festnahme habe sich die Freundin von Daniel S. der Zeugin offenbart, habe erzählt, dass ihr Freund schon mal ein Haus in der Wuppertaler Normannenstraße angezündet habe, nachdem sie ausgezogen sei. Jessica B. habe ihrem Freund danach das Versprechen abgenommen, so etwas »nie wieder« zu tun, weil dabei Menschen sterben könnten. Das hatte Angelika F. schon bei der Polizei ausgesagt. Nun also vor Gericht. Der Richter stellt viele Fragen zur Nachbarschaft, wie die Menschen da so waren, ob es Konflikte gab und wie Daniel S. sich verhalten habe. Der Richter fragt auch nach politischen Einstellungen, und dabei ist Interessantes zu erfahren. Der Bruder von Daniel S. sei ein Nazi. Ein anderer aus dem Umfeld sei sehr »identitär« gewesen.
Ihn habe Angelika F. auch bei einer Demo der AfD gesehen, sie selbst sei bei der Gegendemo gewesen. Und die politische Einstellung von Daniel S., das sei »schwierig« einzuschätzen. An zwei Aussagen konnte sich die Zeugin aber gut erinnern. Über den Wuppertaler Stadtteil Oberbarmen habe S. gesagt, dort könne man wegen der Ausländer »nicht mehr über die Straße gehen«. Bei einer anderen Gelegenheit habe Daniel S. seltsame Musik gehört. Sie habe nachgefragt, S. habe ihr geantwortet, es handele sich um »Schlager aus dem Dritten Reich«, die hätten früher geholfen und würden auch heute wieder helfen. Für Angelika F. ein Zeichen, dass sich ihr Nachbar mit dem Nationalsozialismus identifiziert.
Angelika F. wirkte bei ihrer Aussage aufgewühlt, bat nach einiger Zeit darum, etwas trinken zu dürfen, sie habe in der vergangenen Nacht nicht gut geschlafen. Der Vorsitzende Richter Kötter fragt freundlich nach, und dann erzählt Angela F., was am gestrigen Abend vorgefallen ist. An ihrer Katzenklappe sei mit Krach hantiert und ein Brief von Jessica B. durchgeschoben worden. Sie habe darauf Angst bekommen, die Polizei gerufen und dann nicht zu Hause, sondern bei ihrer Tochter geschlafen. Daraufhin wurde der Brief im Gericht verlesen. Jessica B. macht Angelika F. darin schwere Vorwürfe. Sie verstehe die Tragweite ihrer Aussage nicht, werfe viel durcheinander. Daniel S. sei nicht rechts. Die Vorwürfe gegen ihn seien »einfach nur gemein«. Außerdem legt Jessica B. in dem Brief nahe, dass Angelika F. ein Alkoholproblem habe. F. streitet das ab. Von Staatsanwalt Christopher Bona kommen weitere kritische Fragen, weil F. erst in diesem Frühjahr und nicht direkt nach der Offenbarung durch Jessica B. zur Polizei gegangen ist. F. antwortet, sie habe das Schweigen »nicht mehr ausgehalten«.
Nach der Zeugin wurde an diesem Freitag noch der psychiatrische Gutachter Professor Pedro Faustmann gehört. Er attestiert Daniel S. eine »Selbststabilisierung durch Abwertung anderer«. Daniel S. identifiziere sich mit Stärke, Bilder von SS-Soldaten, die bei ihm gefunden wurden, deuteten darauf hin. S. wolle sich selbst über andere erheben, darauf deuteten auch Bilder hin, in denen marginalisierte Gruppen herabgewürdigt werden. Als leitend für die Tat sieht Faustmann das allerdings nicht an. Persönliche Belastungserlebnisse seien möglicherweise stärker motivierend gewesen, die Tat sei eine »Selbstbestätigungshandlung«. Die Motive lägen möglicherweise »tiefer«, als dass es Daniel S. darum gegangen sei, konkreten Personen zu schaden.
Eine Entpolitisierung, die viele Beteiligte an dem Verfahren wohl gerne hören. So war der Brandanschlag lange als »Frusthandlung« erklärt worden, der keine politischen Motive zu Grunde lägen. Die Nebenklageanwältin Seda Başay-Yıldız förderte hingegen immer wieder Erstaunliches aus den Akten zutage. Chats zwischen dem Angeklagten und seiner Freundin, in denen dieser Gewaltfantasien gegen Migrant*innen äußert, rassistische Deko in einer vom Angeklagten und seinem Vater genutzten Garage und allerlei eindeutig extrem rechte Inhalte im Internetverlauf von Daniel S. Der Wuppertaler Polizei wirft Başay-Yıldız vor, Beweismittel unterschlagen und falsch bewertet zu haben. So wurden Videos, etwa vom Compact-Magazin, vom Staatsschutz stets mit demselben Satz bewertet, dass diese auf eine »rechtsextreme Gesinnung« hinwiesen, aber kein Beleg dafür seien.
Başay-Yıldız ist auch dafür verantwortlich, dass der Brand in der Wuppertaler Normannenstraße im Januar 2022 im Prozess überhaupt thematisiert wurde. Von der Polizei wurde dieser als technischer Defekt eingeordnet. Ein Fehler. Ein Brandsachverständiger sagte kürzlich aus, dass es sich um eine Brandstiftung gehandelt haben müsse. In Wuppertal entstand nur Sachschaden, alle Hausbewohner*innen konnten gerettet werden. Trotzdem drängt sich die Frage auf, ob gründlichere Ermittlungen im Wuppertaler Fall den Solinger Brandanschlag hätten verhindern können.
Antifaschistische Initiativen planen deswegen an diesem Samstag eine Demonstration in Wuppertal. Unter dem Motto »Migrantische Leben zählen!« soll einerseits auf den Brand in der Normannenstraße aufmerksam gemacht werden. Außerdem soll die Demonstration vor das Wuppertaler Polizeipräsidium ziehen. Im Aufruf wird der Polizei vorgeworfen, bei den Ermittlungen versagt und extrem rechte Einstellungen des Angeklagten systematisch verharmlost zu haben. Im Prozess sind für Montag die Plädoyers geplant. Am Mittwoch soll das Urteil gesprochen werden. Daniel S. hatte kurz nach Prozessbeginn ein Geständnis abgelegt, aber zu seinen Motiven geschwiegen.
(Die Gruppe »Adalet Solingen« hat ausführliche Berichte der einzelnen Verhandlungstage veröffentlicht.)
Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen
Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.