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»Wilma will mehr«: Selbst ist die Frau
In »Wilma will mehr« erzählt Regisseurin Maren-Kea Freese von der Selbstermächtigung einer Frau
Oberlausitz, Mitte der 1990er Jahre: Wilma hat die Faxen dicke. Da hat sie nun eine Umschulung nach der anderen ertragen und etliche Zertifikate gesammelt, sogar eines als Pomologin, falls Sie wissen, was das ist. Trotzdem bleibt ihr, die im Braunkohlekraftwerk im »Bereich Instandhaltung« einst »ihren Mann« gestanden hat, nurmehr das triste Schicksal der Arbeits- und Perspektivlosigkeit, das sie mit unzähligen anderen in jener bleiernen Zeit des Zusammenbruchs der ostdeutschen Wirtschaft teilt.
Aber soll das jetzt ihr Leben sein, sich von Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zu Minijob zu hangeln und sich der allgegenwärtigen Depression zu ergeben? Nein, Wilma will mehr. Als sich dann auch noch ihr Mann mit einer anderen vergnügt und beim Ehemaligentreffen der Brigade »Völkerfreundschaft« ihr alter Brigadeleiter auftaucht, der rübergemacht hat und nun in Wien lebt, packt Wilma kurzerhand ihre Sachen und fährt ihm nach.
Die filmische Aufarbeitung dieser Ära ist in vollem Gange; der ostdeutsche »Heimatfilm« ist mittlerweile ein eigenes Genre geworden.
Inzwischen hat es sich ja bis in den Westen herumgesprochen, dass sich die Brüche und Verwerfungen der Post-Wendezeit in den »Neuen Ländern« ins kollektive Gedächtnis des Ostens eingegraben und die Einheits-Bilanz versaut haben und immer noch versauen. Die filmische Aufarbeitung dieser Ära ist in vollem Gange; der ostdeutsche »Heimatfilm« ist mittlerweile ein eigenes Genre geworden, dessen Gelingen nicht immer, aber häufig davon abhängt, wo und wie die Filmemacher geboren wurden und sozialisiert sind. Allein der historische Abstand macht es ungemein schwierig, die richtige Stimmung und Tonlage zu treffen und birgt die Gefahr schmählichen Scheiterns in sich – wie die letztjährige Klamotte »Zwei zu eins« von Regisseurin Natja Brunckhorst eindrucksvoll bewies.
Jede These trägt natürlich schon die Antithese in sich; die 1960 geborene Regisseurin und Autorin von »Wilma will mehr«, Maren-Kea Freese, verbrachte ihre Kindheit und Jugend in Hamburg, Ingolstadt und Köln – westdeutscher geht’s gar nicht. Dennoch ist ihr Film auf angenehme Weise von Wissen und Empathie geprägt. Auf der einen Seite ist die Geschichte einer Frau, die sich nicht mit ihrem Schicksal abfindet und ihren Platz im Leben neu auslotet, universell genug, um unabhängig vom historischen Background zu funktionieren. Andererseits hat das Gelingen des Films viel mit dem tollen Schauspielerensemble zu tun, welches Freese versammelt hat. Die Titelheldin wird von Fritzi Haberlandt gespielt, die die Umbruchzeit der 1990er Jahre als Jugendliche erfahren hat. Geboren 1975 in Ostberlin, gehörte sie zu jenem legendären Jahrgang an der Ernst-Busch-Schaupielschule, dem u.a. auch Lars Eidinger, Devid Striesow, Nina Hoss und Mark Waschke entstammen. Ihre Darstellung der Wilma ist kongenial und trägt den Film über weite Strecken, ist sozusagen eine One-Woman-Show.
Die Selbstverständlichkeit, mit der Wilma anpackt, wo es etwas anzupacken gibt, ohne viel Gewese darum zu machen, hilft ihr in Wien durch den harten Anfang, und während sie sich zu Beginn auf dem Arbeiterstrich als Tagelöhnerin verdingen muss, repariert sie sich als Elektrikerin bald durch die Wiener Vororte. Das Wien der 1990er Jahre, wie es Freese entwirft, macht es Wilma aber auch leicht; die Mentalität scheint vertraut, die grantige Direktheit und doch Offenherzigkeit der Wiener treffen auf ostdeutschen Pragmatismus und Gemeinsinn. So ganz aus der Luft gegriffen ist dieser Zusammenhang nicht; für die österreichische Kabarettistin Lisa Eckhart, die seit ein paar Jahren in Leipzig lebt, stehen sich Ostdeutsche und Österreicher im Grunde näher als Ossis und Wessis. Dieses Verbundenheitsgefühl rühre schon aus der »gewissen Art, wie der Westen uns sieht«, wie sie 2023 in einem Interview erklärte. Ösis seien aus westdeutscher Sicht zwar irgendwie schon deutsch, aber eben auch ein bisschen slawisch, wegen der historischen Beziehung zu Ungarn und dem Balkan. Gleiches treffe auf die Ossis mit ihrer Ostblockvergangenheit zu. Tatsächlich waren schon früher die Beziehungen zwischen Österreich und der DDR recht besonders, vor allem in Abgrenzung zur BRD. Der DDR galt Österreich auch ein bisschen als das »bessere Deutschland«, was zu einem regen Kulturaustausch führte.
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Ob der Autorin/Regisseurin diese Gemengelage bewusst war oder nicht, für ihre Wilma jedenfalls wird Wien zur Zuflucht, und sie entdeckt, was sie verloren glaubte – so etwas wie Heimat und Sicherheit, auch Liebe. Mit ihrem alten Zertifikat in »Standardtanz I-III« wird sie sogar Lehrerin in einer Wiener-Walzer-Tanzschule. Auf der Suche nach einem Zimmer landet Wilma in einer linken Bohème-WG, wo sie ihrer Mitbewohnerin und frauenbewegten Uni-Dozentin Matilde (Meret Engelhardt) den Feminismus aus ostdeutscher Sicht erklärt: »Im Gegensatz zu dir, Frau Professor, hab ick in zwei verschiedenen politischen Systemen gelebt, einen Sohn großgezogen und war immer werktätig!«
Die rundum sympathischen WG-Szenen kulminieren in einer Art Heimat-Abend, den Wilma für ihre neuen Freunde veranstaltet und auf dessen Höhepunkt sie den alten FDJ-Gassenhauer »Sag mir, wo du stehst« zum Besten gibt. So ausgelutscht, sinnentleert und regelrecht verhasst dieser Agitprop-Hit am Ende der DDR auch war – im Kontext des Films und seiner Geschichte und mit dem historischen Abstand der Jahrzehnte steht das Lied auf einmal in einem neuen Bedeutungszusammenhang und ruft im Jahr 2025 tatsächlich Gänsehaut und etwas Melancholie hervor. Der alte Traum von Gleichheit und Kameradschaft, in »Wilma will mehr« darf er noch mal auferstehen.
»Wilma will mehr«, Deutschland 2025. Regie: Maren-Kea Freese. Mit: Fritzi Haberlandt, Meret Engelhardt, Valentin Postlmayr. 110 Min. Start: 31. Juli
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