Berlin vom Döner-Streik verschont – Gewerkschaft will nachziehen

Arbeitskampf beim führenden Dönerproduzenten hat wohl keine Auswirkungen auf das Geschäft in Berlin

Im Kühlhaus ist die Arbeit beschwerlich.
Im Kühlhaus ist die Arbeit beschwerlich.

Im baden-württembergischen Murr kommt es seit Anfang Juli immer wieder zu Streiks. Betroffen ist der Döner-Fabrikant Birtat. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) kämpft für den ersten Tarifvertrag in der Branche. Zehnmal haben die Beschäftigten bereits ihre Arbeit niedergelegt. Das Unternehmen behauptet von sich, in der Herstellung von Dönerfleisch-Spießen europaweit marktführend und »fast in jeder großen Stadt in Europa« vertreten zu sein. An Berlin dürften die Auswirkungen des Streiks vorbeigehen. Mittelbar könnte sich die Branche aber auch hierzulande verändern.

Wie der Geschäftsführer eines größeren Berliner Produzenten mitteilt, sei von dem Streik in Berlin bisher nichts zu spüren. Das Fleisch selbst werde zwar auch aus entfernteren Regionen angeliefert. Die Spieße daraus würden aber fast ausschließlich in Berliner Betrieben und im nahen Umland gefertigt. Bewegungen, ähnlich dem Streik bei Birtat, seien in Berlin und Brandenburg nicht wahrzunehmen, sagt der Inhaber.

»Die Döner-Produktion in Berlin und Brandenburg ist für uns ein weißer Fleck auf der Landkarte«, gesteht der für die Fleischbranche in der Region zuständige Gewerkschaftssekretär der NGG Veit Groß. Es gebe weder Tarifverträge noch Betriebsräte. Der Gewerkschafter sieht viel Potenzial in der Branche, »für uns als Gewerkschaft und für die Beschäftigten in der Produktion«. Mit Blick auf den Streik in Murr hoffe die NGG in Berlin und Brandenburg auf »Ansteckungseffekte«. Die NGG werde sich jetzt eingehender mit der Branche beschäftigen.

Groß spricht von einem sehr diversen Markt in Berlin. Allein im Verein ATDID, dem regionalen Branchenverband, haben sich 17 Döner produzierende Unternehmen zusammengeschlossen. Aufgrund mangelnder Gewerkschaftsstrukturen hat die NGG aber kaum Einblick in die Branche. »Ohne Betriebsräte, als Augen der Gewerkschaft in den Betrieben, wissen wir kaum um die aktuellen Entwicklungen in der Branche und um die Themen, die die Mitarbeiter*innen umtreiben«, sagt Gewerkschaftssekretär Groß.

In Baden-Württemberg streiken die Beschäftigten von Birtat für einen Haustarifvertrag. Die 115 Mitarbeiter*innen verdienen laut NGG ganz unterschiedlich. Je besser die Beziehung zur Geschäftsführung und die eigenen Verhandlungsfähigkeiten, desto höher der Lohn. »Ich bin erst seit ein paar Wochen angestellt – bekomme aber mehr Geld als manche Kollegen neben mir, die schon jahrelang dabei sind«, sagte ein Mitarbeiter am Rande einer Streikkundgebung der Nachrichtenagentur dpa. Mitarbeiter*innen mit langer Betriebszugehörigkeit würden mitunter 2300 Euro brutto verdienen, Neuangestellte 2600 Euro, sagte der Betriebsratsvorsitzende Muzayfe Doganer der »FAZ«.

Bis zu 100 Kilogramm kann ein fertiger Dönerspieß wiegen.
Bis zu 100 Kilogramm kann ein fertiger Dönerspieß wiegen.

Die NGG fordert daher eine Lohnerhöhung um montalich 375 Euro brutto, langfristig eine transparente Entgeltregelung und ein Einstiegsgehalt von 3000 Euro.

Im Betrieb in Murr werden Fleischstücke vom Kalb, Hähnchen oder Rind auf Spieße gesteckt und in Form gebracht. In heruntergekühlten Räumen hantieren die meist unqualifizierten Mitarbeiter*innen mit scharfen Messern und bis zu 100 Kilogramm schweren Spießen.

Nachdem die Unternehmensführung von Birtat einen Tarifvertrag abgelehnt hatte, brach die NGG die Verhandlungen ab und intensivierte den Arbeitskampf. Aus eintägigen wurden fünftägige Warnstreiks. Birtat drohte mit Betriebsschließung. Wie die Gewerkschaft aber am Dienstag mitteilte, habe das Unternehmen endlich zugesagt, über einen Tarifvertrag verhandeln zu wollen. Ein Treffen sei für diesen Donnerstag angesetzt.

Wie verschiedene Medien berichteten, habe Birtat versucht, Einfluss auf den Arbeitskampf zu nehmen. Betriebsrat Muzayfe Doganer sprach gegenüber der »Taz« von Einschüchterungsversuchen. Ihm sei wegen seines Engagements gedroht worden, unter anderem mit Anrufen bei seiner Frau. Die »FAZ« berichtet unter Verweis auf die NGG von einer Prämie von 200 Euro, die Streikbrecher*innen angeboten worden seien. Die Belegschaft hätte aber geschlossen abgelehnt.

»Die Dönerproduktion in Berlin und Brandenburg ist für uns ein weißer Fleck auf der Landkarte. Wir hoffen jetzt auf Ansteckungseffekte.«

Veit Groß (NGG) Gewerkschaftssekretär

Die Organisierung der Produktionsstätte in Murr gelang in Windeseile. Gewöhnlich dauert die Erschließung eines Betriebes Jahre. Bei Birtat begann die Belegschaft erst vor eineinhalb Jahren, sich zusammenzutun. Bereits im September 2024 wurde ein Betriebsrat gegründet. Danach sei der Wunsch nach einem Tarifvertrag gereift. In der Fabrik wird neben Deutsch unter anderem auch Türkisch, Bulgarisch und Rumänisch gesprochen.

»Wir haben in der Fleischwirtschaft, die geprägt ist von diversen Belegschaften, in den letzten Jahren viel erreicht«, sagt der Berliner Gewerkschafter Veit Groß. Er sei deshalb heute weniger skeptisch als noch vor Jahren, »dass wir auch einen Fuß in die Tür der deutsch-türkischen Döner-Produzenten in Berlin bekommen«. Es sei ja nicht so, dass sich türkischstämmige Beschäftigte mit weniger Lohn zufriedengeben.

Branchenexpert*innen zufolge könnte der Preis für einen durchschnittlichen Döner schon bald die 10-Euro-Marke reißen. Unter anderem die Preise für Rindfleisch und Energie sind zuletzt gestiegen. Höhere Personalkosten, resultierend aus einem Tarifvertrag, bedeuteten der NGG zufolge nicht zwangsläufig höhere Preise: »Ein Tarifvertrag könnte einfach dazu führen, dass der Gewinn zu einem größeren Teil bei denen landet, die ihn erwirtschaftet haben.« Sie wollten niemandem schaden, sagte ein Mitarbeiter zur »Taz«, aber die Belegschaft brauche den Tarifvertrag und faire Löhne: »Der Döner ist immer teurer geworden, doch unser Lohn bleibt der gleiche.«

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