Von oben statt von unten

Eine neue Statue in Mitte für die Opfer von sexualisierter Gewalt im Krieg wurde eingeweiht – kurz bevor ihre Vorgängerin weichen soll

»Petrified Survivors« auf der Ernst-Friedrich-Promenade in Wedding
»Petrified Survivors« auf der Ernst-Friedrich-Promenade in Wedding

Auf der Grünfläche der Ernst-Friedrich-Promenade im Brüssler Kiez ist nun ein Betonfundament im Rasen. Darauf befindet sich ein runder rostfarbener Sockel in Form eines Kompasses, auf dem die vier Himmelsrichtungen eingraviert sind. Auf dem Kompass steht eine Frau, sie blickt in Richtung Himmel. Ein Seil, das ihre Hände fesselt, wird von einer Taube gelöst.

»Petrified survivors«, zu Deutsch »versteinerte Überlebende«, heißt die neue Statue. Am 9. September wurde das Denkmal im Bezirk eingeweiht. Es ist als Kunstwerk im öffentlichen Raum für zwei Jahre in Berlin zu Gast. Danach soll die Statue in die Niederlande »wandern«.

Als »weltweit einzigartiges Mahnmal« gelte das Kunstwerk, teilt der Berliner Verein »Society Against Sexual Violence in Conflict« (SASVIC) mit, der die Statue initiierte. Dabei gibt es in Berlin bereits eine Gedenkstätte, die an die Opfer sexualisierter Gewalt im Krieg erinnert. Auf dem Moabiter Unionsplatz sitzt »Ari«, auch Friedensstatue oder Trostfrauen-Statue genannt.

Große Politik im kleinen Moabit

Viele kennen Ari, das Mädchen in traditioneller koreanischer Kleidung. Moabiter*innen schmücken es regelmäßig passend zu den Jahreszeiten oder legen Blumen auf ihren Schoß. Und selbst wer nicht in Mitte oder überhaupt in Berlin lebt, könnte die Friedensstatue kennen. Denn über ihren Abbau wird seit Jahren heftig diskutiert. Das »nd« berichtete mehrfach über die Hintergründe.

Das Mädchen erinnert symbolisch an bis zu 200 000 Mädchen und Frauen, die als sogenannte Trostfrauen während des Zweiten Weltkriegs in Bordellen für das japanische Militär arbeiteten. Viele von ihnen wurden aus Korea entführt, um als Zwangsprostituierte die Soldaten »kriegstüchtig« zu halten.

Der japanischen Regierung ist diese öffentliche Geschichtserzähung, unter anderem im Berliner Museum der Trostfrauen dokumentiert, ein Dorn im Auge. So versuchten Vertreter*innen der japanischen Botschaft vom Kanzleramt über das Abgeordnetenhaus bis ins Bezirksamt Druck auszuüben, um Ari zu entfernen. Daraus resulierte ein Streit um die Frage nach der Vergabe von Kunstwerken im öffentlichen Raum und ein Rechtsstreit zwischen dem Bezirksamt Mitte und dem Korea-Verband, der Ari errichtete.

Bis zum 28. September ist die Statue im Bezirk noch geduldet. Die Argumentation seitens des Bezirks lautet im Groben: Kunst im öffentlichen Raum darf nur maximal zwei Jahre im Bezirk stehen, die Genehmigung für die 2020 errichtete Friedensstatue wurde bereits zweimal verlängert. Rechtliche Klarheit schaffte jedoch erst ein Beschluss des Bezirksamts vom 8. Juli 2025: Demnach wird Kunst im öffentlichen Raum wie auf Plätzen oder in Parks ohne, dass es einen Wettbewerb dafür gab, nur für maximal zwei Jahre erlaubt.

»Ari«: Aus dem Kiez geboren

»Wir finden es grundsätzlich gut, dass es eine weitere Statue zu dem Thema im Bezirk gibt. Aber wir wollen, dass auch Ari bleiben darf«, sagt Nataly Jung-Hwa Han, Vorsitzende des Korea-Verbands, im Gespräch mit »nd«. Sie weist darauf hin, dass die Friedensstatue wie die weltweit anderen Dutzenden aus lokalen sozialen Kämpfen entstanden ist.

Für Han stellt sich die Frage, welche zivilgesellschaftlichen Organisationen aus Berlin »Petrified Survivors« als »Ausgangspunkt ihres Kampfes nehmen« werden. »Denn eine versteinerte Statue alleine kann keine lebendige Bewegung initiieren, es braucht die Community und Akteur*innen, die wirklich in Solidarität und in Netzwerken arbeiten«, so die Vorstandsvorsitzende.

Die Friedensstatue vereint zu Demonstrationen und Kundgebungen nicht nur die koreanische Community Berlins. Regelmäßig nehmen daran verschiedene Organisationen teil: die »Omas gegen Rechts«, der Arbeitskreis Internationalismus der IG-Metall, das »Netzwerk gegen Feminizide«, »Zusammen gegen Rassismus Wedding und Moabit«, »Decolonize Berlin« und die Fraktionen von Linken und Grünen in der Bezirksverordnetenversammlung.

»Petrified Survivors«: In den Kiez gestellt

»Friedensstatue Ari« auf dem Unionsplatz in Moabit
»Friedensstatue Ari« auf dem Unionsplatz in Moabit

Nicht ganz unbegründet ist die Frage des Korea-Verbands. Die feierliche Eröffnung von »Petrified Survivors« fand mit prominenten Gästen statt, darunter Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad, die vom sogenannten Islamischen Staat versklavt, gefoltert und vergewaltigt worden war. Außerdem wurden »mit SASVIC verbundene Stiftungen und Institutionen, Politiker fast aller Parteien und weitere Unterstützer eingeladen, national und international«, teilt der Verein SASVIC mit.

Welche Kiez-Organisiationen an der Eröffnung teilnahmen und ob solche das Denkmal künftig beleben, ist offen. »Eine Einbeziehung von Berlinern für die Skulptur selbst« fand nicht statt. »Wohl aber für Maßnahmen drumherum«, so der Verein. Das Anliegen des im Juni 2024 gegründeten SASVIC e.V. ist durchaus fragwürdig. Der Vereinsvorsitzende Daniel Walther war vier Jahre lang bei einem Rüstungskonzern tätig.

»Universell« lautet das Stichwort, das im Zusammenhang mit der Skulptur »Petrified Survivors« mehrfach fällt. Man wolle ein »Denkmal für alle Überlebenden weltweit«, so der Verein. Mehr als 20 weltweit agierende von Überlebenden geführte Interessenvertretungen sowie Überlebende aus über 30 Ländern hätten zu »Petrified Survivors« beigetragen, teilt der Verein mit.

Noch finden Berliner*innen die Liste an Organisationen nur im Netz. Eine Gedenktafel fehlt. Doch an der Statue kann man viele ausschließlich englische Worte lesen. »I say no« (Ich sage nein) sowie »fight genocide & other crimes« (Bekämpfe Genozid und andere Verbrechen) sind darin graviert. Laut Taz-Angaben steht auf der Statue auch der 14. August 1991 – das Datum erinnert an die erste »Trostfrau«, die öffentlich sprach. »Das Datum muss man mit der Lupe suchen«, heißt es in der »Taz«. Das »nd« konnte das Datum beim Vor-Ort-Besuch zwischen den vielen anderen Symbolen und Wörtern nicht finden.

Findet man Ari nach dem 28. September noch auf dem Unionsplatz? Das Bezirksamt bot dem Korea-Verband einen Umzug auf eine nahe gelegene private, aber öffentlich zugängliche Fläche an. Der Verein lehnt ab: Der Ersatzstandort sei für politische Veranstaltungen nur eingeschränkt nutzbar. »Der aktuelle Standort dient als Ort der Mobilisierung und Vernetzung für unterschiedliche migrantische und feministische Bewegungen sowie Communities in Berlin-Mitte. Ein Standortwechsel würde diese zentrale Funktion untergraben und die Sichtbarkeit der Bewegung um Ari erheblich schwächen.«

- Anzeige -

Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen

Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.