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EU drückt sich um Klimaverpflichtungen
Umweltminister können sich nicht auf Emissionsminderungsziele für 2035 und 2040 einigen
Die EU-Umweltminister haben sich bei ihrem Treffen am Donnerstag lediglich auf eine unverbindliche Absichtserklärung für einen Klimaplan für 2035 verständigt. Eine konkrete Zielmarke zur Reduzierung von Treibhausgasemission für die nächsten zehn Jahre wird darin indes nicht festgelegt. Damit lässt die EU eine Frist aller Teilnehmer der bevorstehenden Weltklimakonferenz in Brasilien verstreichen, die eigentlich bis zum kommenden Mittwoch ihre Klimaschutzverpflichtung bis zum Jahr 2035 einreichen müssen.
Wie aus Brüsseler Quellen verlautete, haben sich die 27 EU-Länder nur auf einen Zielkorridor geeinigt. Demnach sollen die Emissionen bis 2035 zwischen 66,25 Prozent und 72,5 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken. EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra sagte nach der Sitzung der Umweltminister, dies sei »nach allen internationalen Standards wirklich ehrgeizig«. Der Chef der UN-Klimabehörde, Simon Stiell, forderte die EU dagegen auf, das obere Ende der Spanne für 2035 anzustreben. Jede neue Zusage für mehr Klimaschutz müsse »ein großer Schritt nach vorne« sein, erklärte er. Und Umweltverbände erwarten mehr: »Das Ziel der EU für 2035 sollte bei 76 Prozent Emissionsminderung liegen«, sagte Petter Lydén, Bereichsleiter für Internationale Klimapolitik bei Germanwatch. »Es ist ökonomisch sinnvoll, in der ersten Hälfte der 2030er Jahre etwas schneller vorzugehen, um den schwierigeren Part danach besser meistern zu können.«
Kommentar zum Thema: Verfütterte EU-Klimaziele – Fatales europapolitisches Wirken der Bundesregierung
Bislang hat sich die EU auf die Fahnen geschrieben, den CO2-Ausstoß bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren, was Experten zufolge nach jetzigem Stand realisierbar erscheint. Als Langfristziel ist zudem Klimaneutralität bis 2050 festgeschrieben. Um dieses realistisch erreichen zu können, braucht es indes weitere Zwischenziele wie das von der Uno geforderte für 2035. Berechnungen von Wissenschaftlern zufolge sind die Klimaziele des Paris-Abkommens mit bisherigen Maßnahmen nicht erreichbar, so dass die Vertragsstaaten erheblich nachbessern müssen.
Vor diesem Hintergrund bezeichnete es Linda Kalcher von der Brüsseler Denkfabrik Strategic Perspectives als »peinlich«, dass die EU die UN-Frist verpasst. »Die Absichtserklärung ist nur ein hart erkämpfter Trostpreis, ermöglicht es der EU aber, nächste Woche bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen mit einer Stimme zu sprechen«, so Kalcher. Dort stehen ebenfalls Klimaberatungen auf der Tagesordnung. Die Brüsseler Aufgabe müsse es sein, den weiteren Pfad und auch das 2040-Ziel vor der Weltklimakonferenz im November zu verabschieden.
»Das Ziel der EU für 2035 sollte bei 76 Prozent Emissionsminderung liegen.«
Petter Lydén Germanwatch.
Ein Beschluss für 2040 ist ebenfalls seit Monaten anhängig. Im Juli legte die EU-Kommission einen Vorschlag vor, die Emissionen bis dahin um 90 Prozent zu senken. Für drei Prozentpunkte davon sollen die Mitgliedstaaten CO2-Zertifikate aus dem Ausland anrechnen lassen können, was auf Kritik bei Klimaschützern stößt. Doch selbst eine solch löchrige Vorgabe ist realpolitisch in der EU derzeit offenbar nicht durchsetzbar.
Und dabei spielt gerade die deutsche Regierung eine dubiose Rolle. Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD) macht sich zwar öffentlich immer wieder für das 90-Prozent-Ziel stark und steht damit auch in Übereinstimmung mit dem Koalitionsvertrag. Bei dem Treffen mit den Ressortkollegen stimmte er jetzt jedoch dem Vorschlag zu, die Entscheidung bis zu einem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der EU im Oktober zu vertagen. Das Problem: Die Umweltminister hätten mit qualifierter Mehrheit das Klimaziel beschließen können, beim Gipfel braucht es hingegen Einstimmigkeit. Damit kommen die Blockierer zum Zug: Rechtsgerichtete Regierungen in Ungarn, Italien und Tschechien stellen sich quer. Frankreich wiederum verlangt Hilfen für die Industrie.
Bereits am Freitag vor einer Woche hatte der Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten einem Vorschlag der dänischen Ratspräsidentschaft zugestimmt, bis zum EU-Gipfel zu warten. »Damit haben Sie die Entscheidung über den Green Deal de facto in die Hand von Viktor Orbán gegeben«, warf die Grünen-Abgeordnete Lisa Badum der schwarz-roten Koalition bei der Haushaltsdebatte im Bundestag vor. Badum, Fraktionssprecherin für Klimapolitik, legte zusammen mit ihrem Kollegen Jan-Niclas Gesenhues in einem direkt an den Umweltminister gerichteten Schreiben mit ihrer Kritik jetzt nach: »Mit Entsetzen haben wir zur Kenntnis genommen, dass die Bundesregierung im Ausschuss der Ständigen Vertreter die entscheidende Stimme gewesen ist, die den Vorschlag der EU-Kommission für ein 2040-Klimaziel von minus 90 Prozent zu Fall gebracht hat«, heißt es in dem Schreiben, das dem »nd« vorliegt. Dieses »unsägliche Manöver« hätte Schneider verhindern können, heißt es weiter. Mit seiner Stimme hätte es im Umweltministerrat die nötige qualifizierte Mehrheit für den Vorschlag der EU-Kommission gegeben.
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Auch der Linke-Politiker Lorenz Gösta Beutin, Vorsitzender des Umweltausschusses im Bundestag, kritisiert Schneider: Dieser habe den Widerstand gegen die Aufweichung der Klimaziele aufgegeben und drohe als Bettvorleger von Kanzler Freidrich Merz und Wirtschaftsministerin Katharina Reiche (beide CDU) zu enden. »Es bleibt zu hoffen, dass er etwas mehr Mut sammelt, den klimapolitischen Gegenpol in der Bundesregierung gegen das fossile Rollback zu bilden«, sagte Beutin auf Nachfrage.
Anders als die Zusage an die Uno wäre das 2040-Ziel in der EU gesetzlich bindend, verlangt daher allen Mitgliedstaaten Bemühungen um mehr Klimaschutz ab und sorgt deshalb für Widerstände. Die vertagte Entscheidung über das 2040-Ziel machte indes auch einen konkreten 2035-Beschluss unmöglich, da beide Zwischenziele miteinander verknüpft sind.
Mit der Vertagung der Entscheidung auf den EU-Gipfel ist zumindest der Zeitplan klar: Erst im Anschluss werden die Umweltminister verbindlich entscheiden – zu spät, um das EU-Gesetz noch bis zur Weltklimakonferenz im November mit dem Europaparlament fertig auszuhandeln.
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