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Linke-Haustürgespräche zwischen Millionären und Kinderarmut
700 Türen, 120 Gespräche: Die Linke in Charlottenburg will in einem Jahr einen Wahlkreis gewinnen
»Heute geht es ums Zuhören«, sagt Lorenz Käser von der Charlottenburger Linken. Vor ihm sitzen am Samstagvormittag in der Geschäftsstelle der Partei im Bezirk fast 30 größtenteils junge Leute, die heute Haustürgespräche führen wollen. Es ist berlinweiter Aktionstag. Die Linke will ein Jahr vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus herausfinden, was die Menschen in den Kiezen bewegt – oder »wo der Schuh drückt«, wie Käser es sagt.
Nur ums Zuhören geht es aber nicht. In der Linke-eigenen »Aktivisti-App« wird die Aktion im Westen Berlins »Charlottenburg Nord Takeover Vorwahlkampf« genannt. Nachdem Ferat Koçak bei der Bundestagswahl in Neukölln erstmals in der Geschichte der Partei einen West-Wahlkreis gewinnen konnte, hofft die Partei bei den Abgeordnetenhauswahlen 2026 auf einen Wahlkreissieg im Charlottenburger Norden. Das Ziel scheint nicht unerreichbar. »Wenn man die Ergebnisse der Bundestagswahl umlegt, hätten wir einen Wahlkreis gewonnen« sagt Linke-Politiker Niklas Schenker zu »nd«. Dass die Linke im Bezirk überhaupt darüber nachdenken könne, einen Wahlkreis zu gewinnen, sei eine neue Situation. »Ich bin seit 13 Jahren hier organisiert. Charlottenburg war immer einer der Bezirke, in denen der Antikommunismus sehr tief sitzt.«
»Die Klassenfrage stellt sich in keinem Bezirk so konkret wie in Charlottenburg«, sagt Schenker. Im Bezirk gebe es 369 Einkommensmillionäre. »Aber dort, wo wir hingehen, in Charlottenburg-Nord, lebt jedes zweite Kind in Armut«, so der Linke-Politiker. In einem Jahr wolle man mindestens einmal an jeder Haustür gewesen sein. An den Haustüren sollen aber nicht nur Themen, sondern auch Kontakte gesammelt werden. »Wir wollen eine Kampagne starten, die auch von den Leuten aus dem Kiez gemeinsam getragen wird«, erklärt der Linke-Politiker die Strategie.
Vor den 20 Aktivist*innen hält Schenker dann auch eine kämpferische Rede. »In einem Jahr geht es dreisten Vermietern an den Kragen«, sagt er. Und er wiederholt noch einmal, dass es heute nicht um die Linkspartei gehe, sondern »um die Leute, die von keiner anderen Partei repräsentiert werden«.
Die Aktion ist gut vorbereitet. Alle, die mitmachen, bekommen einen Jutebeutel mit Klemmbrett, einer roten Die-Linke-Weste und allerlei Infomaterial: die Kiezzeitung »Tacheles« der Partei, Flyer für die Kundgebung »All Eyes on Gaza« am 27. September, die die Linke mitorganisiert, und Infomaterial zum Heizkostencheck der Partei, mit dem Mieter*innen überprüfen können, ob sie zu viel für die Heizung zahlen.
Zwei, die mitmachen, sind Linda und Adrian. Sie haben schon im Bundestagswahlkampf Erfahrungen mit Haustürgesprächen gesammelt. Linda ist seit 2020 Parteimitglied und 2022 aus Bremen nach Berlin gezogen, berichtet sie »nd«. Adrian ist kein Mitglied. Damit sei er nicht alleine, sagt er. »Eine Partei ist nicht der Ort für mich, mich langfristig zu organisieren.« Aber die Linke sei die einzige Partei, die zuhöre und die Leute nicht gegeneinander ausspiele, und er habe Freunde, die Mitglied sind. Adrian hat es nach einer langen Wohnungssuche nach Charlottenburg verschlagen. »Damals hatte ich nur ein Bild im Kopf von schicken Straßen. Aber das ist nicht so.« Charlottenburg sei ein sehr ungleicher Bezirk.
Nach der kurzen Schulung geht die Gruppe gemeinsam los, alle mit roten Westen. Am U-Bahnhof Mierendorffplatz schwärmen alle aus und gehen in die Häuser. Zwei Stunden lang klopfen sie an Türen – länger geht nicht, immer neue Gespräche führen ist auf Dauer sehr anstrengend. Adrian und Linda klappern in der Zeit drei Häuser, mit jeweils 35-40 Wohnungen in der Kaiserin-Augusta-Allee ab. Was denn die Themen sind, die die Leute bewegen? »Die hohen Mieten, keine Frage«, sagt Linda. Aber auch illegale Autorennen in der Gegend, die Inflation oder dass das Deutschlandticket immer teurer wird, seien angesprochen worden. »Einer hat gesagt, er hat kein Problem, das die Linke lösen könnte«, berichtet Linda. Manche Leute hätten aber einfach keine Zeit für ein Gespräch gehabt.
Nach den zwei Stunden treffen sich alle noch einmal und tauschen sich aus. An gut 700 Türen waren die Aktivist*innen, 120 Gespräche wurden geführt. Es sei die größte Haustüraktion, die es im Bezirk je gegeben habe, sagt Niklas Schenker. Zumindest der Auftakt für das Projekt Wahlkreissieg in Charlottenburg ist gelungen.
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