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Sie wollte frei sein
»Ich war wie ein Löwe im Käfig«: Zum Tod der Filmschauspielerin Claudia Cardinale
Ihr Leben lang hat sie wohl Sätze wie diese über sich lesen müssen: »Mit ihrem Blick und ihrem Schmollmund verzauberte sie Millionen« (Deutschlandfunk). »In den 60er Jahren war sie mit langer Mähne und Mandelaugen Italiens Antwort auf Brigitte Bardot« (»Frankfurter Rundschau«). In der »Neuen Zürcher Zeitung« hieß es, sie sei »berühmt für ihren hungrigen Blick und die satten Lippen, die vollendet gerundete Figur«. »So schön war sie, dass man daran verzweifeln konnte«, seufzte vor einigen Jahren der »FAZ«-Feuilletonredakteur Simon Strauß hingerissen. Und weiter: Claudia Cardinale sei »die junge Wunderschönheit«, die »die höchstmöglichen erotischen Ansprüche an ihr Gegenüber stellte«. Ein anderer »FAZ«-Feuilletonist lobte einst den »dunklen Glanz von Claudia Cardinales glühender Schönheit« sowie ihre »dunkle, heisere Stimme«, die »einen so aparten Kontrast zu ihrem lieblichen Lächeln darstellte«. In einem der Nachrufe, die bisher zu lesen waren, wird sie gar als »Kurvenstar« (»Berliner Morgenpost«) denunziert. Der »Spiegel«-Feuilletonist beginnt seinen Nachruf mit der Mutmaßung, dass man wohl keine »Brust- und Schulterpartie so häufig auf der Leinwand gesehen hat wie die von Claudia Cardinale«, bevor er sich im zweiten Satz mit ihrem »stolzen Schulterflügel« und ihrem »energisch gewölbten Schlüsselbein« beschäftigt.
Claudia Cardinale scheint demzufolge hauptsächlich ein Körper gewesen und als solcher wahrgenommen worden zu sein: Mund, Haare, Augen, Lippen, Brüste, Schultern. Dass die Medien die italienisch-französische Filmschauspielerin zumeist auf ihr Aussehen, ihre Figur und die Rolle der südländischen Beauty-Queen reduzierten, sagt viel über das Frauenbild, das in Redaktionen und Medienhäusern bis heute gepflegt wird. Es mag ja sein, dass Cardinale in den ersten anderthalb Jahrzehnten ihrer Schauspiellaufbahn vor allem als sexy Vamp beziehungsweise erotische Diva vermarktet wurde und etliche Regisseure Wert darauf legten, dass sie in der einen oder anderen Szene nur leicht bekleidet zu sehen war. Doch tatsächlich verkörperte sie im Lauf ihrer Filmkarriere die unterschiedlichsten Frauenfiguren, nicht selten entschlossene und durchsetzungsfähige. Und sie war eine wandlungsfähige Darstellerin, wenngleich sie selbst in einem ihrer späten Interviews von sich behauptete, sie sei »keine Schauspielerin im eigentlichen Sinne«.
Aufgewachsen ist sie als Tochter einer Französin und eines Sizilianers, die beide nach Tunesien ausgewandert waren. In Tunis gewann sie 1957 als 19-jährige einen Schönheitswettbewerb (»die schönste Italienerin Tunesiens«), an dem sie gar nicht offiziell teilgenommen hatte: Sie war im Publikum als Zuschauerin anwesend. »Ein Mann packte mich am Arm und zog mich auf die Bühne«, so beschrieb sie später ihre Erfahrung. Es sollte nicht die erste und nicht die letzte Erfahrung dieser Art gewesen sein.
Ihr Gewinn war eine Reise zu den Filmfestspielen von Venedig, wo die Filmbranche auf die damals noch Minderjährige aufmerksam wurde, die ursprünglich vorgehabt hatte, Lehrerin zu werden. Bei Schönheitswettbewerben war man bereits auf Sophia Loren und Gina Lollobrigida gestoßen und hatte sie dann ins Filmgeschäft gezerrt.
Der Vertrag, den die junge Claudia Cardinale damals beim italienischen Filmproduzenten Franco Cristaldi unterschrieb und der extrem in ihr Privatleben eingriff, war einer der üblichen Knebelverträge, wie man sie jungen Frauen seinerzeit vorlegte: Sie durfte über ihren Körper nicht mehr selbst bestimmen. Von ihrem Gewicht bis zu ihrer Frisur und ihrem Aussehen wurde alles vom Filmproduzenten festgelegt. In ihren ersten Filmen wurde sie synchronisiert, weil man sich an ihrem französischen Akzent und an ihrer auffällig tiefen Stimme störte. Und sie musste den Sohn verleugnen, den sie im Alter von 17 Jahren geboren hatte, nachdem sie von einem älteren Mann vergewaltigt worden war (was sie natürlich ebenso verheimlichen sollte).
Cristaldi, mit dem Cardinale von den 60er Jahren bis 1973 liiert war und der Ende der 50er Jahre maßgeblich ihre Filmkarriere in Gang gebracht hatte, schien die junge Schauspielerin vor allem als sein Produkt zu betrachten. Er soll, so heißt es in der »New York Times«, lange über nahezu jeden Aspekt ihres Lebens bestimmt und einen Großteil der Honorare einbehalten haben, die sie verdiente. Dem Branchenblatt »Variety« sagte Cardinale: »Ich war bloß eine Angestellte.« 2018 erklärte sie hingegen in einem Interview mit der »FAZ«: »Im alltäglichen Leben ließ ich mir nichts vorschreiben. Ich zog durch die Gegend, wie es mir gefiel, ohne Bodyguards. Ich war wie ein Löwe im Käfig, aber ich habe nicht versucht auszubrechen.«
1962, mit Mitte 20, drehte sie, neben Marcello Mastroianni, mit Federico Fellini dessen surrealistische Künstlergroteske »Achteinhalb« und, neben Burt Lancaster und Alain Delon, mit Luchino Visconti das Historiendrama »Der Leopard«. Die Dreharbeiten zu beiden Filmen fanden gleichzeitig statt, weshalb sie wiederholt ihre Haare umfärben musste: Fellini wollte sie blond, Visconti dunkelhaarig. Nur kurze Zeit später war sie in Blake Edwards’ Gaunerkomödie »Der rosarote Panther« neben David Niven und Peter Sellers zu sehen, dem ersten Hollywoodfilm, an dem sie mitwirkte. Vor allem diese drei Filme waren es, die schließlich ihre internationale Karriere beförderten.
Im Gedächtnis dürfte sie vielen in der Rolle der Jill McBain geblieben sein, jener willensstarken und selbstbewussten Witwe in Sergio Leones Western-Epos »Spiel mir das Lied vom Tod« (1968), als kämpferische Figur, die die ihr zugewiesene Rolle als Opfer gewalttätiger Männer nicht länger hinzunehmen gewillt ist und am Ende über die patriarchale Welt triumphiert (beziehungsweise als Frau Akteurin in dieser männerdominierten Welt wird).
1973 löste Claudia Cardinale schließlich ihre Verbindung mit Franco Cristaldi, befreite sich gewissermaßen aus dessen Macht- und Einflussbereich. In der Folge rächte dieser sich, indem er dafür sorgte, dass die Schauspielerin in Italien kaum noch Filmangebote bekam. 1974 tat sie sich mit dem Regisseur Pasquale Squitieri zusammen, der für die nächsten zweieinhalb Jahrzehnte ihr Partner werden sollte, sowohl privat als auch beruflich.
1981/82 stand sie, wie man heute weiß, die ebenso langwierigen wie extrem strapaziösen Dreharbeiten zu Werner Herzogs »Fitzcarraldo« in südamerikanischen Dschungel durch, an der Seite des nicht gerade für seine Zurückhaltung und Gelassenheit bekannten Hauptdarstellers Klaus Kinski.
Cardinale, die als Heranwachsende, wie viele junge Frauen, selbst Opfer von Missbrauch und sexueller Gewalt geworden war, hat sich stets als unabhängige Frau gesehen. Die sich einerseits selbst zeitweise in die Abhängigkeit von Männern begab und sich andererseits, später in ihrem Leben, als Streiterin für Frauenrechte verstand und etwa die #MeToo-Bewegung unterstützte. »Ich war immer eine freie und unabhängige Frau«, teilte sie einmal mit. »Ich bin dafür, gemeinsam mit dem Mann die Gleichberechtigung zu erreichen.«
Claudia Cardinale, die als Darstellerin in mehr als 150 Filmen mitgewirkt hat, starb am 23. September in Nemours in Frankreich. Sie wurde 87 Jahre alt.
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