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Vertrauen verspielt
Die arabischen Staaten erwarten im Nahost-Konflikt nicht mehr viel von den westlichen Staaten
Die in dieser Woche laufende 80. UN-Vollversammlung in New York wird im Nahen Osten mit Spannung verfolgt. Doch es sind nicht die offiziellen Reden, die die Menschen interessieren. Die Staatspräsidenten aus aller Welt sind in vielen Cafés und auf den Telefonen zwischen Bagdad und Casablanca stumm geschaltet. »Der Glaube daran, dass sie die Lage im Libanon oder Syrien beruhigen und einen Waffenstillstand in Gaza gegen den Willen Israels durchdrücken wollen, ist gleich Null«, so die Analyse der Journalistin Raghida Dergham aus Beirut.
Dennoch spürt sie wie viele andere eine Mischung aus Aufbruchstimmung und Trotz in der Region. TV-Kommentatoren lobten am Sonntag die Anerkennung der Staatlichkeit Palästinas durch Australien, Frankreich und Großbritannien. Weitere westliche Staaten wollen ihnen folgen. Die Bilder der täglichen Bombardements von Gaza-Stadt lassen nur die Frage aufkommen, ob es bald überhaupt noch ein Territorium geben wird, auf dem ein unabhängiges Palästina gegründet werden kann.
Die Anerkennung sei das »Eingeständnis eines historischen Fehlers«, meint Adel Schadid aus Dura im besetzten Westjordanland. »Großbritannien hat mit der Balfour-Deklaration vor hundert Jahren den Grundstein für diesen Konflikt gelegt, in dem die Israelis alle ihre Rechte einfordern können und wir nicht. Wir sind Menschen zweiter Klasse.« Doch Schadid ist zufrieden, weil nun zumindest geklärt ist, dass es überhaupt eine palästinensische Identität gibt. Dies wird von israelischen Regierungsmitgliedern wiederholt infrage gestellt. »Einen Staat für die Palästinenser gibt es doch schon: Jordanien«, sagt Finanzminister Bezalel Smotrich immer wieder. »Dorthin können Palästinenser gehen, die mit der Annektierung von Judäa und Samaria nicht einverstanden sind.«
Im Westen nehmen nur wenige Politiker wahr, dass sogar die international übliche Bezeichnung »Westjordanland« von Israels ultrarechter Szene ignoriert wird. Dass die Palästinenser nun in Paris, Madrid und London von einer Botschaft vertreten sein werden, erfüllt Schadid mit Erleichterung. Doch nach den Vorstellungen von Smotrich lebt er wie alle anderen 3,5 Millionen Palästinenser bald nicht mehr im Westjordanland und darf sich auch nicht als palästinensischer Staatsbürger bezeichnen. Israels Radikale wollen Städte wie Nablus, Ramallah und Hebron zu Enklaven innerhalb eines Großisraels machen. Sollten Smotrich, Ben Gvir und der sich hinter den beiden versteckende Netanjahu durchsetzen, wären die Anerkennungen bloß noch ein Mittel für westliche Politiker, um sich eine weiße Weste zu verschaffen, sagt Schadid. »Uns bliebe ein Staat auf dem Papier. Mit prachtvollen Botschaften, aber ohne Land.«
Emmanuel Macron ist bisher der einzige westliche Politiker, der erkannt hat, welche Gefahr die von Smotrich geplante Vertreibung der Bevölkerung von Gaza und die Schaffung von »Eretz Israel« in sich birgt. Die Grenzen von Smotrichs Großisrael verlaufen an den Ausläufern der Golanhöhen und in Gebieten südlich von Damaskus. Auch wenn Syriens neuer Herrscher Ahmad Al-Scharaa derzeit über ein Sicherheitsabkommen mit der israelischen Regierung verhandelt, ist man sich in den Hauptstädten der arabischen Welt sicher: Sollten sich Israels Radikale durchsetzen, werden der Westen und Süden Syriens zukünftig zu einem Schlachtfeld zwischen einer internationalen Allianz von Islamisten und der israelischen Armee.
Am Vorabend der UN-Vollversammlung saß der französische Staatspräsident neben dem saudischen UN-Botschafter, um auf einer gemeinsam organisierten Konferenz die nächsten Schritte für eine Zweistaatenlösung zu diskutieren. Während an mehr als 80 Rathäusern in Frankreich die palästinensische Flagge hing, sagte Macron, was in arabischen Hauptstädten schon lange bekannt ist und akzeptiert wird: »Die Zweistaatenlösung auf der Grundlage der Grenzen von 1967, mit Jerusalem als Hauptstadt der beiden Staaten, ist der einzige Ausweg aus diesem Albtraum.«
»Die Staaten der Arabischen Liga sind bereit, Seite an Seite mit Israel zu leben. Die Voraussetzung dafür ist die Gründung eines palästinensischen Staates.«
Ayman Safadi
Jordanischer Außenminister
Jordaniens Außenminister Ayman Safadi hatte diese Forderung in ähnlicher Form nach dem 7. Oktober immer wieder formuliert. Doch am Ende verbunden mit immer größerer Frustration. »Die Staaten der Arabischen Liga sind bereit, friedlich und Seite an Seite mit Israel zu leben. Die Voraussetzung dafür ist die Gründung eines palästinensischen Staates. Doch niemand in der israelischen Regierung interessiert sich für diese mittlerweile von 155 Staaten geforderte Verhandlungslösung.«
Tatsächlich ließ Benjamin Netanjahu in der letzten Woche keinen Zweifel daran, was er von der französisch-saudischen Initiative hält: »Es wird keinen palästinensischen Staat geben.« Smotrich ging noch einen Schritt weiter und stellte jegliche Verhandlungen mit Israel infrage: »Das internationale Recht gilt nicht für uns. Gaza ist ein Teil Israels, wir werden uns nicht zurückziehen.«
Die Vertreter der muslimischen und arabischen Staaten, die zu der Zweistaatenkonferenz und zur Vollversammlung nach New York gekommen waren, taten dies vor allem, um neue Allianzen zu schließen. Dem in der Vorwoche verkündeten Verteidigungspakt zwischen Saudi-Arabien und der Atommacht Pakistan wollen sich nun auch Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate anschließen. Seit dem israelischen Luftangriff auf die Führungsriege der Hamas in Doha ist allen in der Region klar: Die Sicherheitspartnerschaft mit Donald Trump ist keinen Pfifferling wert. Obwohl die USA in Katar ihre größte Luftwaffenbasis im Nahen Osten betreiben, ließ man den angeblich engsten Partner bis zum Einschlag der Raketen über die Absichten Israels im Dunkeln.
Mit einem Hinterzimmer-Treffen versuchte Trump am Dienstag, acht Lenker arabischer und muslimischer Länder mit Versprechungen von der Gründung einer Nato des Nahen Ostens abzuhalten. Er werde Netanjahu von der Annexion des Westjordanlands abhalten, so Trump. Der Krieg in Gaza könne in jedem Moment enden. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan nannte das Treffen »fruchtbar« – ein Begriff aus dem Wortschatz westlicher Diplomaten. Ähnlich wie sie wurde er nicht konkreter.
Andere Teilnehmer sagten dagegen, man wolle seine Zeit nicht mehr mit den Abraham Accords, der Normalisierung des Verhältnisses zu Israel verschwenden. Ägyptens Präsident Al-Sisi bezeichnete Israel erstmals als Feind, vor dem man sich schützen müsse. Ein bisschen Aufbruchstimmung im Nahen Osten, unabhängig von Israel und dem Westen.
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