Fiktion Privateigentum

Ohnehin privilegierte Wohnungseigentümer in der Schweiz können mit steuerlichen Entlastungen rechnen

Wohneigentum in der Schweiz – wie in Zürich – ist teuer. Wer es besitzt, soll künftig steuerlich entlastet werden.
Wohneigentum in der Schweiz – wie in Zürich – ist teuer. Wer es besitzt, soll künftig steuerlich entlastet werden.

Wohneigentum soll steuerlich noch stärker begünstigt werden, das entschied die Stimmbevölkerung mit fast 58 Prozent Ja-Stimmen zur Abschaffung des Eigenmietwerts (ein zu versteuernder angenommener Gewinn durch die Selbstnutzung von Wohneigentum – d.R.) am letzten Septembersonntag. Prognostiziert sind gegen zwei Milliarden Franken Steuerausfälle. In der Tendenz profitieren Gutsituierte, insbesondere Eigentümer*innen von Neubauten in urbanen Zentren. Ausgleichen werden die wegfallenden Einnahmen im gegenwärtigen Machtgefüge andere, weniger gut Situierte. Bürgerliche Politiker*innen, die seit Jahren die Litanei vom klammen Haushalt runterbeten, blicken deshalb sorgenfrei auf die Ausfälle: Man kann praktisch widerstandslos bei Asyl, Klimaschutz oder Bildung kürzen, fehlende Einnahmen sind eine ideale Legitimation dafür.

Die Internationale

Die linke Medienlandschaft in Europa ist nicht groß, aber es gibt sie: ob nun die französische »L’Humanité« oder die schweizerische »Wochenzeitung« (WOZ), ob »Il Manifesto« aus Italien, die luxem­burgische »Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek«, die finnische »Kansan Uutiset«, der britische »Morning Star« oder »Naše Pravda« aus Prag. Sie alle beleuchten inter­nationale und nationale Entwicklungen aus einer progressiven Sicht. Mit einer Reihe dieser Medien arbeitet »nd« bereits seit Längerem zusammen – inhaltlich zum Beispiel bei unserem inter­natio­nalen Jahresrückblick oder der Übernahme von Reportagen und Interviews, technisch bei der Entwicklung unserer Digital-App.


Mit der Kolumne »Die Internationale« gehen wir einen Schritt weiter in dieser Kooperation und veröffentlichen immer freitags in unserer App nd.Digital einen Kommentar aus unseren Partnermedien, der aktuelle Themen unter die Lupe nimmt. Das können Ereignisse aus den jeweiligen Ländern sein wie auch Fragen der »großen Weltpolitik«. Alle Texte unter dasnd.de/international.

Es ist ein grundsätzliches Problem, dass die Stimmbevölkerung kapitalstärker ist als die Gesamtbevölkerung, von der ein Viertel gar nicht abstimmen darf (unter anderen nicht eingebürgerte Menschen in der Schweiz – d.R.). Dazu kam bei dieser Abstimmung die ungleiche Mobilisierung: Während die linken Parteien auf ein Referendum verzichtet hatten und erst spät aufwachten, um auf das Schadenspotenzial der Vorlage hinzuweisen, kämpften die bürgerlichen Parteien und Verbände, allen voran der Hauseigentümerverband (HEV), mit Kampagnenmillionen und der Verve einer seit Jahrzehnten gehegten Mission. In den Städten mit linkerer Wählerschaft und weniger Eigentümer*innen war die Stimmbeteiligung denn auch niedriger als in ländlichen, konservativen Gemeinden mit hoher Wohneigentumsquote.

Das Bemerkenswerteste war wohl die Tiefe des Röstigrabens (Sprachgrenze zwischen deutsch- und französischsprachiger Schweiz – d.R.). Die tendenziell stärker am Gemeinwesen orientierte, sozialere und klassenbewusstere Romandie lehnte die Abschaffung der Steuer deutlich ab. Diese Diskrepanz zur Deutschschweiz ist auch die Folge der in den Landesteilen unterschiedlich geführten Diskussion zum Eigenmietwert: Wo der Haushalt der öffentlichen Hand im Zentrum stand, fand die Abschaffung der Steuer auch unter Bürgerlichen wenig Zustimmung. In der Deutschschweiz wurde dagegen eine quasi identitätspolitische Debatte geführt, die sich um die vermeintliche Ungerechtigkeit gegenüber den Eigentümer*innen drehte, die diese Abgabe zu entrichten hatten.

Wochenzeitung (WOZ)

Die WOZ ist eine unabhängige überregionale linke Wochenzeitung in der Schweiz mit Sitz in Zürich. Herausgeberin der 1981 gegründeten Zeitung ist die Genossenschaft infolink; finanziell unterstützt wird das Blatt durch den Förderverein ProWOZ. Die Zeitung hat keinen Verleger und keine Chefredaktion, wichtige Beschlüsse werden basisdemokratisch gefällt.


Durch eine kontinuierliche und kritische Berichterstattung etwa zur Migrationspolitik, zur Umwelt- und Wirtschaftspolitik sowie durch grundsätzliche Gesellschaftsanalysen ist die WOZ zu einem anerkannten Korrektiv in der Schweizer Medienlandschaft geworden. Die Wochenzeitung hat derzeit knapp 19 000 Abonnent*innen. Gemeinsam mit WOZ hat »nd« seine Digitalausgabe entwickelt.

Vielleicht lohnt es sich, darüber nachzudenken, auf welchen ideologischen Boden dieses Argument fiel: Die Idee des Privateigentums – obwohl das Privileg nur weniger – ist unbestritten. Die Soziologin Silke von Dyk beschreibt es als »wirkmächtige, rechtlich, institutionell und im Alltag verankerte Fiktion«, die auch dort individuellen Verdienst unterstellt, wo die Gemeinschaft beigetragen hat. Privateigentum ist immer Ergebnis eines sozialen Prozesses, zehrt von sozialer Arbeitsteilung – auch Wohneigentum: Kein Haus wird ohne öffentliche Infrastruktur gebaut, keine Mauer ohne die Hände von Arbeiter*innen hochgezogen. Das selbstbewohnte Haus ist zwar eine arglosere Form von Privateigentum, doch ist es ebenso Ausdruck ungleicher Verteilung von Macht und Ressourcen, ebenso Ausdruck für die Ausdifferenzierung der Gesellschaft in Klassen von Eigentümer*innen und Nichteigentümer*innen. Der Eigenmietwert war, berücksichtigt man die finanzielle Belastung, die er für weniger gut situierte Eigentümer*innen bedeuten konnte, vielleicht nicht so ein ideales Steuerinstrument, wie eine Vermögenssteuer es wäre. Aber es war eines, das diese Ausdifferenzierung ein bisschen bremste.

Man kann nun darauf pochen, dass die Steuerausfälle nicht die unteren Klassen treffen. Darauf, dass die Mieter*innen endlich entlastet werden. Im bürgerlichen Kanton Bern wurde beispielsweise gerade die Initiative »Für faire und bezahlbare Mieten dank transparenter Vormiete« angenommen. Man kann argumentieren, dass man besser die noch ungerechtere Form von Privateigentum angreifen sollte, jene nämlich, die Rendite abwirft. Es ist eine wichtige Frage, wem was aus welchen Gründen gehört – und wer dem Gemeinwesen was dafür zurückgibt. Doch das Grundproblem bleibt bestehen: Privateigentum ist auch in seinen harmlosen Formen ein institutionalisiertes Klassenprivileg, das der Gemeinwohlorientierung widerspricht. Solange es existiert, wird es Ungleichheiten produzieren.

Dieser Text ist in Ausgabe Nr. 40 (2. Oktober) unseres Schweizer Partnermediums »Wochenzeitung« erschienen. Der Beitrag wurde nachbearbeitet und gekürzt.

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