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Offener Brief an Merz: Prominente Frauen fordern mehr Sicherheit
60 Frauen aus Wissenschaft, Kultur und Politik wenden sich mit Zehn-Punkte-Plan für mehr Sicherheit an den Kanzler
Als hätten sie sich abgesprochen: Just als SPD-Fraktionschef Matthias Miersch seine Fraktion dazu aufruft, die »Stadtbild«-Debatte sachlicher zu führen, und ankündigt, mit der Union an »konkreten Lösungen« zu arbeiten, veröffentlichen 60 prominente Frauen aus Kunst, Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft einen offenen Brief an Kanzler Friedrich Merz (CDU), dem es an handfesten Vorschlägen nicht mangelt.
»Wir möchten gerne über Sicherheit für Töchter, also Frauen sprechen«, heißt es darin. »Wir möchten es allerdings ernsthaft tun und nicht als billige Ausrede dienen, wenn rassistische Narrative gerechtfertigt werden sollen.« Dazu legen die Unterzeichnerinnen zehn »Forderungen für mehr Sicherheit für Töchter in Deutschland« vor.
Allen voran eine bessere Strafverfolgung bei sexualisierter und häuslicher Gewalt. Ein Beispiel: Der bundesweiten Frauenhaus-Statisitk 2024 zufolge unternahmen fast die Hälfte der befragten Frauen weder zivil- noch strafrechtliche Schritte gegen ihre Täter. Durch eine bessere Aus- und Weiterbildung von Polizei und Justiz könne diese Quote gesteigert werden, so der Fachverband Frauenhauskoordinierung.
Dieser fordert zudem dazu auf, Gewalttäter häufiger aus ihren Wohnungen zu verweisen und bei Hochrisikofällen öfter auf interdisziplinäre Fallkonferenzen zu setzen, bei denen Informationen aus verschiedenen Institutionen wie Jugendamt, Beratungsstellen, Familiengericht oder Polizei zusammenlaufen.
Neben einer besseren Beleuchtung und Überwachung öffentlicher Räume, einer verlässlichen Datenerhebung zu Gewalt gegen Frauen und der ausreichenden Finanzierung des Gewaltschutzgesetzes sowie von Frauenhäusern und Schutzräumen fordern die Unterzeichnerinnen auch zahlreiche Veränderungen auf Gesetzesebene.
Dazu gehören die Anerkennung rassistisch motivierter Gewalt, die Einführung eines eigenen Straftattbestands für Femizide (also der Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts), die Reform der beiden Abtreibungsparagrafen 218 und 219, sowie der Schutz vor digitaler Gewalt und Rassismus im Netz.
Ein Gesetz gegen digitale Gewalt hatte schon die vorherige Regierungskoalition geplant, ist aber nicht über einen Entwurf hinausgekommen, der von Fachverbänden in wesentlichen Punkten kritisiert wurde.
Laut »Spiegel« arbeitet das Justizministerium derzeit an einer erneuten Gesetzesinitiative. Bekannt geworden ist das, nachdem ein Mann eine Frau beim Joggen heimlich filmte – ohne strafrechtliche Konsequenzen. Sie stellte ihn zwar zur Rede und veröffentlichte ein Video auf Instagram. Doch das Problem ist: In derartigen Fällen gibt es gegenwärtig keine juristische Handhabe.
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Jede Menge Vorschläge also, über die sich die Koalition aus Union und SPD unterhalten kann. Zu den Unterzeichnerinnen des Briefes gehören unter anderem die Antirassismus-Autorinnen Tupoka Ogette und Alice Hasters, die Sängerin Joy Denalane, die Schriftstellerin Mithu Sanyal, die Aktivistin und Journalistin Daniela Sepheri, die Soziologin Jutta Allmendinger, die Klimaaktivistin Luisa Neubauer und die Grünen-Politikerin Ricarda Lang.
Indes soll eine aktuelle Umfrage bestätigen, dass sich die Mehrheit der Frauen im öffentlichen Raum in Deutschland nicht sicher fühlt. Unsicher fühlen sich die befragten Frauen demnach in Clubs, Bahnhöfen, auf der Straße, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder in Parks. Auch 49 Prozent der Männer gaben an, sich an keinem der genannten Orte sicher zu fühlen. Das Meinungsforschungsinstitut Civey befragte online 5000 Menschen ab 18 Jahren und gewichtete die Antworten anschließend, sodass sich daraus ein repräsentatives Bild ergeben soll.
Mit seinen Aussagen zu der nach seiner Auffassung problematischen Auswirkung von Migration auf das »Stadtbild« hatte der Kanzler eine Debatte ausgelöst – und sich den Vorwurf von Diskriminierung und Rassismus eingehandelt. Er schob später noch einmal nach: »Fragen Sie mal Ihre Töchter, was ich damit gemeint haben könnte. Ich vermute, Sie kriegen eine ziemlich klare und deutliche Antwort.«
Der Brief ist nur eine dieser ziemlich klaren und deutlichen Antworten. Neben bundesweiten Demonstrationen mit tausenden Teilnehmenden gehört dazu auch die Petition »Wir sind die Töchter« mit inzwischen knapp 250 000 Unterschriften.
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