Gedenken an den 9. November: Botschafter verbiegt das Hufeisen

Christian Klemm über eine verbale Entgleisung des israelischen Botschafters Ron Prosor

Ron Prosor, Botschafter des Staates Israel in Deutschland
Ron Prosor, Botschafter des Staates Israel in Deutschland

Das Unheil hatte sich bereits angekündigt. Mit der »Machtergreifung« Anfang 1933 haben die Nazis Juden systematisch entrechtet, ihnen das Leben verunmöglicht und sie weitestgehend aus dem Stadtbild vertrieben. Mit den Pogromen im November 1938 fand der Judenhass der deutschen »Herrenmenschen« ihren – vorläufigen – Höhepunkt: Unzählige Menschen wurden von dem aufgehetzten Mob totgeschlagen oder verschleppt, Geschäfte angezündet, Synagogen und Gebetsräume zerstört. Die Pogromnacht vom 9. auf den 10. November war unmittelbarer Vorbote für das, was sich einige Zeit später in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau und anderswo abspielen sollte.

Gut, dass dieser Tag den meisten Deutschen als genau das in Erinnerung geblieben ist, was es war: ein Fanal des Schreckens. Jährlich gedenken sie am 9. November den unvorstellbaren Gräueltaten der Nazis. Und dennoch gibt es Menschen, die diesen Tag für ihre politische Agenda missbrauchen. Einer von ihnen ist Ron Prosor, seit drei Jahren Botschafter Israels in Deutschland. Dieser Diplomat hält linken Antisemitismus nämlich für gefährlicher als sein rechtes Pendant. Begründung: Der linke Antisemitismus bewege sich »immer an der Grenze zwischen Meinungsfreiheit und Aufhetzungsfreiheit – und hat diese Grenze inzwischen deutlich überschritten«, lässt sich der Diplomat von den Zeitungen der Funke-Mediengruppe zitieren.

Dass es auch in der politischen Linken Antisemitismus gibt, bestreitet niemand, der noch einigermaßen bei Verstand ist. Manche Linke wollen nicht kapieren, dass ein in Deutschland praktizierender Rabbiner oder ein bei uns an Jom Kippur fastender Jude mit dem Nahost-Konflikt zunächst einmal rein gar nichts zu tun hat. Wer also einen Kippa tragenden Menschen in Berlin oder München bespuckt, weil die israelische Armee den Gazastreifen in eine Mondlandschaft verwandelt hat, der ist vor allem eins: ein antisemitischer Idiot. Und das auch, wenn sich der Täter selbst als links verortet.

Doch Prosors »Antisemitismuskritik« geht viel weiter. Er will Menschen, die sich bei den großen Demonstrationen in den vergangenen Monaten gegen Israels Vergeltungskrieg in Gaza gestellt haben, zu Unterstützern der Hamas machen, die die Zerstörung Israels gutheißen. Zu Menschen, die Juden das Existenzrecht absprechen. Zu Helfershelfern des 7. Oktobers. Mehr noch – und deshalb hat Prosor seine Worte zum 9. November laut ausgesprochen: Wer sich gegen den Staat Israel stellt, wolle nichts anderes als das Werk der Nazis weiterführen.

Damit bedient sich der Botschafter einer Ideologie, die rechts-konservative Politiker immer wieder aus der Mottenkiste holen: die sogenannte Hufeisentheorie. Demnach sind sich die politischen Ränder links und rechts so ähnlich, dass sie sich irgendwann wieder treffen. In diesem Fall: Ob Die Heimat, Dritter Weg oder Linke und DKP – all diese politischen Akteure arbeiteten an der Vernichtung der »einzigen Demokratie im Nahen Osten«. Publizistisch aufmunitioniert werden die Israel-Sympathisanten dabei in schöner Regelmäßigkeit von den »Springer«-Medien, die das israelische Vorgehen in Gaza für alternativlos erklärt haben.

Dass Prosor als Repräsentant Israels die Demonstrationen nicht gut finden kann, ist klar. Dass er aber das Hufeisen so weit verbiegt, dass es links übersteht, tut an einem Tag wie dem 9. November besonders weh. Schließlich gedenken alle Antifaschisten an diesem Tag zusammen – über die Grenzen der Parteipolitik hinweg. Was der israelische Diplomat von sich gibt, ist zudem eine Form des bürgerlichen Geschichtsrevisionismus. Denn neben Juden haben ebenso Funktionäre der Kommunistischen Partei und der Sozialdemokratie in den Kerkern der Nazis gelitten und auf ihre Hinrichtung gewartet. Auch sie haben ihre Leben riskiert, um den deutschen Faschismus zu Fall zu bringen. Das anzuerkennen, dazu ist Ron Prosor offenbar nicht in der Lage.

- Anzeige -

Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser*innen und Autor*innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen

Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.