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Berliner CDU: Förderaffäre weitet sich aus
CDU-Fraktion forcierte Neubesetzung von Jury – neue personelle Verflechtungen zu geförderten Projekten bekanntgeworden
In der Affäre um die möglicherweise illegale Vergabepraxis der Senatskulturverwaltung bei Projekten gegen Antisemitismus sind neue Vorwürfe gegen den Senat und die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus aufgekommen. So wurde auf politischen Druck des CDU-Parlamentariers Christian Goiny offenbar die Jury neu besetzt, die über die Vergabe der Mittel aus dem Aktionsfonds Antisemitismus entscheidet. Das berichtete die »Berliner Morgenpost«.
Die ursprünglich für die Jury vorgesehenen Mitglieder seien für Goiny »zu links, zu woke, zu BDS-nah« – so fasste ein Mitglied der Kulturverwaltung ein Gespräch mit Vertretern der CDU-Fraktion im Februar in einer E-Mail zusammen. Das geht aus Dokumenten hervor, die die Grünen-Abgeordneten Daniel Wesener und Susanna Kahlefeldt einsehen konnten.
Im April sagte der inzwischen zurückgetretene Kultursenator Joe Chialo (CDU) dann Goiny in einer E-Mail zu, die Jury des Aktionsfonds neu zu besetzen. Aus dem Aktionsfonds wurden anschließend im Mai – unter der neuen Jury-Besetzung – zwei Millionen Euro an 27 Projekte verteilt.
Betroffen von den Einwänden der CDU-Fraktion waren unter anderem Niklas Lelle von der Amadeu-Antonio-Stiftung, Amir Theilhaber vom Moses-Mendelssohn-Zentrum der Universität Potsdam, die Historikerin Christina Brüning, der jüdische Schauspieler Shai Hoffmann und Dervis Hizarci von der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus.
Der Vorwurf der Nähe zur Boykott-Bewegung BDS wird von mehreren Betroffenen entschieden zurückgewiesen. »Leute pauschal BDS-Nähe zu unterstellen, zeigt, dass die CDUler keine Ahnung von dem Feld haben«, sagte die Marburger Professorin Christina Brüning zur »Taz«. Sie mit der antizionistischen Boykott-Bewegung in Verbindung zu bringen, sei »rufschädigend«. Die CDU missbrauche Antisemitismuskritik als Mittel zur Spaltung der Gesellschaft.
Auch die Mitglieder der neu berufenen Jury kritisieren den Ausschluss der ursprünglich vorgesehenen Jurymitglieder. »Die mutmaßlichen Diffamierungen sind unwissenschaftlich und demokratiegefährdend, denn sie tragen dazu bei, die Bekämpfung von Antisemitismus in seiner gesamtgesellschaftlichen Einbettung zu polarisieren und nachhaltig zu beschädigen«, schreiben der Journalist und Jury-Vorsitzende Nicolas Potter, Marina Chernivsky von der Beratungsstelle Ofek und die Potsdamer Wissenschaftlerin Friederike Lorenz-Sinai in einem gemeinsamen Statement.
Auch die außerhalb des Aktionsfonds gelaufene Vergabe von 3,4 Millionen Euro Sondermitteln für den Kampf gegen Antisemitismus steht nach Bekanntwerden der Vorgänge in der vergangenen Woche weiter in der Kritik. Hier steht der Vorwurf der Vetternwirtschaft im Raum. Gemeinsam mit dem CDU-Fraktionsvorsitzenden Dirk Stettner hatte Goiny erreicht, dass diese Mittel ohne fachliche Prüfung vergeben wurden. Dazu kursierte eine von den zwei Abgeordneten erstellte Liste mit förderungswürdigen Projekten. Von den letztlich 18 geförderten Projekten standen 14 auch auf dieser Liste.
Kultursenatorin Sarah Wedl-Wilson (parteilos) hatte am vergangenen Donnerstag im Abgeordnetenhaus Defizite bei der Vergabe entsprechender Gelder eingeräumt. Es habe an klaren Vorgaben gefehlt, um die Mittel durch das zuständige Referat effektiv auszuzahlen. Der Landesrechnungshof prüft die Angelegenheit. Grüne und Linke planen, die Vorgänge in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu beleuchten.
Mit 390 000 Euro wurde auf diesem Weg auch der Verein Zera Institute gefördert. Laut seiner Webseite setzt sich der Verein für »die Stärkung demokratischer Werte« ein und bezeichnet sich selbst als »Thinktank«. Der Verein wurde erst im Dezember 2024 gegründet und hat bislang keine Veröffentlichungen zu diesem Thema herausgegeben. Nur eine einzige Veranstaltung wurde von dem Verein organisiert – nachdem das Fördergeld bereits geflossen war. Auch andere geförderte Projekte weisen nur wenige Veröffentlichungen und Veranstaltungen zum Themenkomplex Antisemitismus vor.
Zu den Gründungsmitgliedern des Vereins gehören nach Recherchen des »Tagesspiegels« Maral Salmassi und Marc Wohlrabe. Beide sind Mitglied im Ortsvorstand der CDU Lichterfelde, dem auch Goiny angehört. Wohlrabe ist zudem Mitarbeiter im Bürgerbüro Goinys. Der Sohn des CDU-Politikers und ehemaligen Präsidenten des Abgeordnetenhauses Jürgen Wohlrabe engagierte sich längere Zeit in der Clubcommission. Das Zera Insitute ist in dem Club »Alte Münze« gemeldet, in dem am Dienstag auch eine Veranstaltung des Vereins stattfinden sollte. Christian Goiny hatte im vergangenen Jahr verhindert, dass in das Haus am Molkenmarkt in Mitte ein »House of Jazz« einzieht, und sich gegenüber Medien als Retter des dortigen Clubbetriebs inszeniert.
Die Musikerin Maral Salmassi wiederum fällt in sozialen Medien mit Wortmeldungen auf, die sich an der Grenze zu Verschwörungstheorien bewegen. So behauptete sie in einem international verbreiteten Video entgegen der Erkenntnisse von Polizei und Staatsanwaltschaft, Taleb A., der Attentäter vom Magdeburger Weihnachtsmarkt, sei ein Islamist.
Christian Goiny selbst hat den Vorwurf unzulässiger Einflussnahme zurückgewiesen. Entsprechende Vorhaltungen seien absurd, sagte er. »Es ist nicht verboten, dass sich in einem Verein CDU-Mitglieder engagieren, auch wenn dieser vom Land Berlin gefördert wird.« Und es sei nicht verwerflich, wenn Abgeordnete einer Senatsverwaltung Projekte zur Förderung vorschlagen. »Die Förderentscheidung hat die Verwaltung getroffen.«
Die CDU argumentiert, man habe mit der Projektliste verhindern wollen, dass 2025 Fördergeld gegen Antisemitismus wie schon im Vorjahr verfalle. Es handele sich aber nicht um unerlaubte Einflussnahme. Mit dpa
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