Diskriminierung von Wohnungsmarkt bis Nachbarschaft

Neuer Bericht: Ungleichheiten aufgrund Diskriminierung ziehen sich durch den gesamten Wohnkontext

Je nach deutschem oder nicht-deutschem Namen steigen und sinken die Chancen auf einen Mietvertrag.
Je nach deutschem oder nicht-deutschem Namen steigen und sinken die Chancen auf einen Mietvertrag.

Mona und Ahmad Khan sind aufgeregt. Sie haben endlich eine Wohnung gefunden, für die sie sich interessieren. Sie sind finanziell gut aufgestellt, kinderlos, verfügen über beste Voraussetzungen für einen Besichtigungstermin – aber erhalten auf ihre Bewerbung keine Rückmeldung. Bei Anna und Thomas Schmidt, ebenfalls ohne Kinder, ebenfalls mit hohem sozioökonomischem Status, melden sich die Vermieter*innen dagegen zurück. Trotz identischer Bewerbungen.

Sowohl die Familie Khan als auch die Familie Schmidt sind Beispiele für fiktive Kontaktprofile auf dem Wohnungsvermittlungsportal Immoscout24. Und sie sind Teil eines Experiments des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (Dezim). Immoscout24 ist die größte deutsche Internetplattform mit Immobilienangeboten.

»Obwohl beide Paare identische Voraussetzungen erfüllen und ihre Bewerbungen sprachlich fehlerfrei sind, hat das Paar mit deutscher Herkunft eine um 7 Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit, eine Wohnung zu erhalten als ein Paar mit vermeintlicher MENAT-Herkunft«, analysieren die Wissenschaftler*innen des Dezim. MENAT steht für Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas sowie die Türkei. Nicht nur die Rückmeldewahrscheinlichkeit, sondern auch die Wahrscheinlichkeit eines Terminangebots nach einer Bewerbung hänge demnach damit zusammen, welche Herkunft der Name der fiktiven Paare suggeriert. Weitere Einflussfaktoren sind der sozioökonomische Status und das Vorhandensein von Kindern.

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Das Dezim-Institut veröffentlichte diesen Montag einen Bericht zu Rassismus und Wohnverhältnissen. Der Bericht ist ein Rundumschlag zu Wohnsituation und Ungleichheit. So berichten muslimische und schwarze Menschen zu 35 beziehungsweise 39 Prozent, aufgrund diskriminierender Erfahrungen nicht zu Wohnungsbesichtigungen eingeladen worden zu sein, nicht rassistisch markierte Personen dagegen nur zu elf Prozent. Rassistisch markiert bedeutet, es handelt sich in der Studie um Personen, die sich selbst als schwarz, muslimisch oder asiatisch definieren.

Rassistisch markierte Menschen leben darüber hinaus auf engerem Raum, häufiger in unsicheren Mietverhältnissen, leiden öfter unter Wohnraummängeln wie Schimmelbefall und häufiger unter Diskriminierung in ihrem Wohnumfeld. Eine Überprüfung der Wohnortdaten zur Umweltbelastung zeigt zudem, dass sie höheren Stickstoffwerten ausgesetzt sind, die sich wiederum auf die Häufigkeit von Atemwegs- und Herzerkrankungen auswirkt.

»Hinweise auf rassistische Benachteiligung lassen sich quer durch den Wohnkontext finden«, sagt Tae Jun Kim vom Dezim bei der Berichtvorstellung am Montag. »Vom Wohnungsmarkt über Wohnbedingungen bis zum Leben in der Nachbarschaft.« Die diversen Aspekte könnten nicht punktuell betrachtet werden, sondern wirken gemeinsam, ergänzt Frank Kalter, Direktor des Dezim. »Die Stärke des Berichts liegt in dem komplexen Gesamtbild«, stellt er fest. »Wir sehen, wie sich Ungleichheiten addieren.«

»Die Anspannung am Wohnungsmarkt führt dazu, dass die Anspannung für rassistisch diskriminierte Wohnungssuchende besonders steigt.«

Tae Jun Kim Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung

Diese Ungleichheiten zeigen sich auch bei den Wohnkosten. Bei nicht rassistisch-markierten Personen liegt die Wahrscheinlichkeit einer hohen Überlastung, sprich einem Kostenanteil des Einkommens von mindestens 40 Prozent, bei 37 Prozent. Sieben Prozent höher als bei nicht rassistisch-markierten Personen. »Die Anspannung am Wohnungsmarkt führt dazu, dass die Anspannung für rassistisch diskriminierte Wohnungssuchende besonders steigt. Zugleich nivellieren sich die Unterschiede zwischen von Wohnarmut Betroffenen, wenn die Ungleichheit steigt«, erklärt Kim im Gespräch mit »nd«.

Die wohnpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag, Caren Lay, fordert nach Veröffentlichung des Dezim-Berichts: »Es braucht ein bundesweites Diskriminierungsmonitoring und ein scharfes Antidiskriminierungsrecht mit Beweislastumkehr und Verbandsklagerecht. Mehr bezahlbare Wohnungen helfen insgesamt, damit diejenigen, denen es schwer gemacht wird, auch gut wohnen können.«

Sie bezieht sich dabei auf die Empfehlungen des Instituts, das ein Bündel an Handlungsempfehlungen vorschlägt. Grundsätzlich unterstützt es die Wohnungsbauoffensive der Bundesregierung. Dazu fordert es eine kritische Überarbeitung der rechtlichen Schutzmechanismen, wie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Dieses greife bisher zu kurz, um Diskriminierung zu verhindern. Zudem brauche es verbindliche Tests zu Diskriminierung in den Kommunen.

Das Dezim arbeitet mit Daten des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors (Nadira). Das ist eine regelmäßige Bevölkerungsbefragung, in der rassistisch betroffene Gruppen in außergewöhnlich großem Umfang repräsentativ involviert sind. Der Nadira geht von einem differenzierten Rassismusverständnis aus. Das bedeutet, Rassismus äußert sich häufig subtil, manchmal auch unbeabsichtigt und zeigt sich nicht nur in individuellen Handlungen, sondern auch in institutionellen Zusammenhängen.

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