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Rundfunkreform: Qualitäts- und Raumverlust
Die neuen Medienstraatsverträge verfestigen den Abbau eines Allgemeinguts
Das Allgemeingut öffentlich-rechtlicher Rundfunk (ÖRR) gerät immer fundamentaler unter Beschuss. Die neuen Staatsverträge zur Rundfunkreform, die kürzlich mit dem Brandenburger das letzte Landesparlament abgesegnet hat, und das Fehlen eines neuen Finanzierungsstaatsvertrags machen deutlich, dass die Landesregierungen Qualität abbauen wollen. Die Sender ziehen trotzdem mit. Neben der Verweigerung zusätzlicher Einnahmen sind es vor allem zwei Aspekte, die den ÖRR stark beschädigen. Der eine ist der Zwang zu weniger Vielfalt durch gemeinsame Produktionen. »Der damit einhergehende Abbau von Mehrfachstrukturen ermöglicht es, die Belastungen für die Beitragszahler in der Zukunft in Grenzen zu halten«, ist in den offiziellen Erläuterungen zu den Verträgen zu lesen.
Das Wort »Belastung« im Plural zu nutzen, ergibt eigentlich keinen Sinn, denn die einzige ist, Geld zu bezahlen. Der Begriff ist schon an sich unpassend, denn erstens gibt es für den Rundfunkbeitrag viel im Gegenzug, und zweitens sind Menschen davon befreit, die Sozialhilfe, Grundsicherung oder Bafög bekommen. Und in Grenzen wird der Beitrag immer gehalten, denn er wird eigentlich nicht politisch festgelegt, sondern auf Basis der Empfehlung der unabhängigen Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs. Diese hatte für dieses Jahr eine Steigerung um 58 Cent pro Monat vorgeschlagen. 2021 waren es 86 Cent.
Mehrfachstrukturen werden schon seit Längerem abgebaut. Dafür wurden und werden für bestimmte Themenbereiche wie Klima und Religion sogenannte Kompetenzzentren geschaffen, die die ganze ARD beliefern. Zudem scheint – der Eindruck kann sich schon beim Hören ergeben – das Deutschlandradio mehr von den ARD-Sendern zu übernehmen.
Letzteres bestätigt der langjährige Radiojournalist Hellmuth Nordwig auf Anfrage: »Das Deutschlandradio bedient sich an den Radiobeiträgen der ARD-Kompetenzzentren, so mehrfach an meinen für das Kompetenzzentrum Wissen. Ob das Deutschlandradio für Beiträge, die für die ARD entstanden und pauschal vergütet worden sind, tatsächlich kein Wiederholungshonorar bezahlen muss, konnte mir eine Justiziarin von Verdi nicht beantworten.«
Der Sender baut aber auch intern seit Jahren Doppelstrukturen ab. Der Deutschlandfunk wird eigentlich im Kölner Funkhaus produziert, Deutschlandfunk Kultur in Berlin. Aber längst wurden thematisch zusammenpassende Redaktionen auch zusammengelegt, viele Beiträge laufen in beiden Sendern. Es werden auch mehr Beiträge als früher im selben Sender wiederholt.
»Das Deutschlandradio bedient sich an den Radiobeiträgen der ARD-Kompetenzzentren, so mehrfach an meinen für das Kompetenzzentrum Wissen.«
Hellmuth Nordwig Radiojournalist, ARD
Der zweite Weg, die Fundamente des ÖRR zu beschädigen, ist die umfassende »Onlinisierung«. RBB und Deutschlandradio müssen mehr im Internet publizieren und dafür beim Personal sparen. Auch diese Geldumschichtung läuft schon seit Jahren. Deutschlandradio bringt immer wieder neue Podcasts auf den Weg, statt sich im Basisgeschäft immer an seine eigenen tarifvertraglichen Honorarvorgaben zu halten. Es ist nicht ungewöhnlich, dass zugelieferte Radiobeiträge in Honorarkategorien eingeordnet werden, die einem niedrigeren Arbeitsaufwand entsprechen, als tatsächlich geleistet wird. Das berichten nicht nur freie Autor*innen. Auch Redaktionsmitglieder haben schriftlich zugegeben, dass sie für ihre Sendungen Honorarvorgaben haben, die vom Tarifvertrag abweichen.
Nun kämpft der Sender verstärkt um Aufmerksamkeit im Netz und macht sich dabei abhängig von den dortigen Diskursen und Mechanismen. Seit Langem wird vom ÖRR ein Gegengewicht dazu verlangt, aber als in den frühen 2010er-Jahren unter dem Schlagwort »Web 2.0« allgemein gefeiert wurde, dass die breite Masse nun mit Online-Kommentaren an der öffentlichen Meinungsbildung mitwirken kann, schaffte Deutschlandradio die Kommentare unter seinen Online-Texten nach relativ kurzer Zeit wieder ab. Auf die Frage nach dem Grund antwortet der Sender: »Die Resonanz der Nutzerinnen und Nutzer war überschaubar, die Kommentarfunktion wurde nur sehr selten genutzt.«
Nun beschäftigt er auf zweieinhalb Vollzeitstellen Leute, die sich der »Präsentation von Inhalten der drei Deutschlandfunk-Programme auf externen Plattformen, insbesondere Social-Media-Plattformen« widmen. So ist ein Stück des gemeinwohlorientierten Debattenraums, den der ÖRR eigentlich gewährleisten soll, auf private Plattformen verschoben worden.
Beim Kongress der Freien- und Personalräte von ARD, ZDF, Deutschlandradio und Deutscher Welle in Frankfurt am Main im April war die Rede von der »Big-Tech-Falle«, der zunehmenden Abhängigkeit des ÖRR von Online-Konzernen. Da fielen laut einem Eigenbericht auf www.ard-freie.de auch drastische Worte zu den neuen Staatsverträgen.
Demnach sagte Stefan Tiyavorabun, SWR-Journalist und Vorstandsmitglied des senderübergreifenden Freienrats: »Wir erleben zum ersten Mal in der Geschichte, dass die Existenzberechtigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks angezweifelt wird.« Mika Beuster, Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands, kritisierte, dass »Politikerinnen und Politiker die Medienpolitik nicht mehr gestalterisch angehen«. Und der Dresdner Medienberater Heiko Hilker, ehemaliges Mitglied des MDR-Rundfunkrats und der sächsischen Linksfraktion, prognostizierte demnach für den ÖRR angesichts der Macht der US-Plattformunternehmen über digitale Debattenräume einen Weg in die Irrelevanz.
Ralf Hutter ist freier Journalist und hat in den vergangenen 15 Jahren für mehr als ein Dutzend Redaktionen von Deutschlandfunk und Deutschlandfunk Kultur gearbeitet.
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