»... dann sind wir nicht besser als Andere«

Die Auseinandersetzung in der Linkspartei hat mit Streitkultur und ungeklärten Grundsatzfragen zu tun

Bartsch kontra Lafontaine? West gegen Ost? Der gegenwärtige Streit in der LINKEN beschäftigt die Gemüter.
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»Ohne Dissidenz, Zweifel, Eigensinn, Widerspruch kann es ›die Linke‹ nicht geben.« Das schrieb Klaus Lederer, Landesvorsitzender der Berliner LINKEN, im Sommer 2009 in einem Essay. Unter der Überschrift »Links und libertär?« machte er sich Gedanken über das Verhältnis der Linken zur individuellen Freiheit. Der Text weckte Interesse, Widerspruch – und deshalb diskutierte Lederer darüber am Mittwochabend mit einer Basisgruppe seiner Partei im Prenzlauer Berg.

Freilich, es konnte keine theoretische, akademische Diskussion über ein paar interessante Ideen bleiben. Denn in der Partei rumort es, und Sätze wie den zitierten liest man seit ein paar Tagen mit etwas anderen Augen. Er habe den Text, sagt Lederer mit dem heutigen Blick, auch geschrieben, weil es Tendenzen in der Partei gebe, unterschiedliche Positionen nicht auszuhalten und zu diskutieren, »sondern zu dominieren, siegen zu wollen«. Das wollte er ausdrücklich nicht auf einzelne Spitzenpolitiker der LINKEN beziehen; er beobachte das bei Funktionären genau so wie an der Basis. »Das hält nicht jeder aus, und mancher bleibt dann einfach weg.« Statt klärender öffentlicher Auseinandersetzungen beispielsweise über Regierungsprobleme, über den sozial-ökologischen Umbau und den Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens gebe es oft Formelkompromisse. Statt nach der letzten Bundestagswahl »endlich diese liegen gebliebene Arbeit nachzuholen, wird in der Partei das Spiel ›Wer ist der bessere Linke?‹ gespielt.« Bei Auseinandersetzungen heiße es oft »Der Oskar sieht das genau so«, und damit sei die Sache erledigt.

Lederer hat »Hochachtung davor, wie Gregor jetzt Verantwortung für die Partei übernimmt«, habe sich aber doch »sehr gewundert«, warum Fraktionschef Gysi öffentlich Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch attackiert hat. Der Vorwurf der Illoyalität sei für ihn nicht nachvollziehbar, so Lederer, auch habe er bei Bartsch im Gegensatz zu anderen Funktionären »nie das Monopol auf die richtige Meinung erlebt«. Er hoffe, »dass Oskar zurückkommt und für jemand wie Dietmar mit seinen Fähigkeiten weiter Platz bei uns ist. Wenn tatsächlich das Verhältnis zwischen Lafontaine und Bartsch zerrüttet ist, muss man das anders klären, als es jetzt geschieht.« Eine Frau aus der Basisgruppe meinte konsterniert, die führenden Leute in der Partei sollten ihre Probleme erst einmal unter sich klären: »Wenn wir den Populismus der Medien mitmachen und uns zerfleischen, dann sind wir nicht besser als andere Parteien.«

Übrigens ergab eine am Mittwoch veröffentlichte Umfrage, dass die LINKE in Bayern derzeit bei fünf Prozent liegt – ein Wert, den sie, bezogen auf Landtagswahlen im Freistaat, nur im Sommer 2008 schon einmal erreicht hatte. Ansonsten lag sie bisher immer bei drei bis vier Prozent. Erhoben wurden die Daten zwischen dem 7. und 12. Januar; zu dieser Zeit lief der Streit in der LINKEN schon auf Hochtouren.

Was der Umfragewert dem Betrachter sagt – darüber können alle Beteiligten wieder trefflich streiten. Zur Abwechslung vielleicht in gemütlicher Runde. Denn Fraktionschef Gregor Gysi hatte in seiner Rede am Montag einen eigenen Vorschlag aus früheren Jahren aufgegriffen: Genossen aus Ost und West sollten einander besuchen, miteinander statt übereinander reden, sich kennenlernen, auch mal beim Gastgeber über Nacht bleiben, damit man Zeit hat und sich näher kommt. Die Idee findet Gysi immer noch gut, aber leider habe sich niemand gekümmert. Also, hatte er am Montag versprochen, werde er einen Verantwortlichen einsetzen. Nun gibt es, wie ND erfuhr, sogar zwei Zuständige im Parteibüro für Freundschaftsreisen: die Bundestagsabgeordneten Gesine Lötzsch (Berlin) und Jan van Aken (Hamburg).

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