»Wachstum ist wichtig, aber nicht alles«

Vereinte Nationen legen 20. Bericht über die menschliche Entwicklung vor

  • Martin Ling
  • Lesedauer: 3 Min.
In Genf, in New York und in Berlin wurde gestern der »Bericht über die menschliche Entwicklung« 2010 präsentiert. Seine zentrale These: Entwicklung ist auch bei geringem Wachstum möglich.

»Wirtschaftswachstum ist wichtig, aber nicht alles.« Auf diese Formel brachte Flavia Pansieri vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) gestern die Grundbotschaft des 20. »Berichtes über die menschliche Entwicklung«, der von ihrer Organisation erstellt wird. Pansieri zeigte sich in Berlin erfreut darüber, dass das 1990 erstmals im damaligen Bericht angewandte »revolutionäre Konzept, Entwicklung nicht nur über Wirtschaftswachstum, sondern als Erweiterung der Möglichkeiten für die Menschen« zu fassen, inzwischen allgemein anerkannt sei. In diesem Zusammenhang würdigte Pansieri den verstorbenen pakistanischen Ökonom Mahbub ul Haq, der gemeinsam mit dem indischen Nobelpreisträger Amartya Sen an der Entwicklung des Indexes für menschliche Entwicklung (HDI) für den ersten Bericht über die menschliche Entwicklung 1990 mitgewirkt hatte.

Was die menschliche Entwicklung angeht, zog Pansieri ein überwiegend positives Fazit: Seit 1970 habe es bei den drei zentralen Indikatoren Bildung, Gesundheit und Einkommen fast ausnahmslos Fortschritte gegeben, Nur in Sambia, der Demokratischen Republik Kongo und Simbabwe sei die Situation 2010 schlechter als 1970 – in Sambia vor allem wegen der Aids-Pandemie, in der DR Kongo vor allem wegen des Bürgerkrieges und über die Ursachen in Simbabwe könne man lange reden und streiten.

Generell gelte: »Gesundheit, Bildung, demokratische Teilhabe und gerechte Verteilung sind auch bei geringem Wirtschaftswachstum möglich – und die Länder mit den größten Fortschritten bei der menschlichen Entwicklung sind oft diejenigen ohne rasantes Wirtschaftswachstum, aber mit gutem öffentlichen Gesundheits-, Sozial- und Bildungssystem.« Als Beispiele dafür werden im Bericht Äthiopien, Kambodscha und Benin aufgeführt, die trotz geringer Wirtschaftskraft große Erfolge bei der Bildung und im Gesundheitswesen erzielt hätten.

Die UN-Forscher haben nach eigenen Angaben die Entwicklung der letzten 40 Jahre in 130 der 192 UN-Länder und damit die Lebensumstände von 92 Prozent der Menschheit untersucht. Während in einigen Regionen der Wohlstand wächst, verharren andere in tiefer Armut. Die Lebenserwartung ist in den vier Jahrzehnten weltweit um elf Jahre gestiegen – in einigen Ländern gleich um 18, in anderen wie etwa Russland gar nicht.

Das UNDP misst den HDI auf den drei Gebieten Gesundheit, Bildung und Lebensstandard. Für die Gesundheit ist laut UNDP die Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt ausschlaggebend. Das Bildungsniveau wird an der heutigen durchschnittlichen Dauer des Schulbesuchs und an den in Zukunft zu erwartenden Schuljahren gemessen. Maßstab für den Lebensstandard ist das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner eines Landes.

Weltweit leben die Menschen nach wie vor in Norwegen am besten. Das ölreiche Land mit seinem ausgebauten Wohlfahrtssystem belegt in dem Index seit fünf Jahren Platz eins. Zwischen dem Spitzenreiter aus Skandinavien und dem zehntplatzierten Deutschland positionieren sich Australien, Neuseeland, die USA, Irland, Liechtenstein, die Niederlande, Kanada und Schweden. Auf dem 14. Rang findet sich Frankreich, den 23. Rang belegt Italien. Großbritannien muss sich mit Platz 26 begnügen. Die Schlusslichter der 169 Länder umfassenden Liste sind laut UNDP afrikanische Staaten: Mosambik, Burundi, die Demokratische Republik Kongo und Niger.

In den nächsten Jahren sollen globale Probleme wie der Klimawandel in den HDI einbezogen werden. Für die Berücksichtigung des Klimawandels müsse aber eine sorgfältige Auswahl der neuen Elemente getroffen werden, um den Indikator nicht zu überladen, meinte Sen in New York.

Entwicklungsbericht im Internet: www.dgvn.de

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