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»Gefahr des AKW-Unfalls wird verharmlost«

Asa-Bettina Wuthenow über Informationspolitik und Wissenschaftsgläubigkeit in Japan

  • Lesedauer: 4 Min.
Die in Japan geborene Asa-Bettina Wuthenow ist Akademische Direktorin des Instituts für Japanologie an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg. Über den Einfluss der Atomkraft-Lobby und mögliche Auswirkungen der Katastrophe auf das alltägliche Leben der Japaner sprach mit ihr für ND Samuel Weber.
»Gefahr des AKW-Unfalls wird verharmlost«

ND: Wie lässt sich die aktuelle Situation in Japan beschreiben?
Wuthenow: Im Katastrophengebiet sind die Zerstörungen immens. Viele Menschen werden wahrscheinlich langfristig oder für immer ihre Heimat verloren haben. Japans Regierung erwägt, große Teile des vom Tsunami betroffenen Gebietes aufzugeben. Die Japaner sind untereinander sehr solidarisch. Bei der Katastrophe im AKW scheiden sich aber die Geister. Das ist ein Politikum und deswegen unweigerlich mit gegensätzlichen politischen Stellungnahmen verbunden.

Gibt es auch Panik?
Nein, es gibt vor allem keine Massenpanik. Die Sorge wächst, ob wirklich alles so unbedenklich ist oder ob man richtig informiert wird. Einzelne verlassen den Großraum Tokio wegen des AKW-Störfalls. Diejenigen, die Arbeit haben, können aber nicht einfach ihren Arbeitsplatz verlassen. Das Pflichtgefühl gegenüber dem Arbeitgeber und den Kollegen ist sehr stark.

Wie erklären Sie sich die widersprüchliche Informationspolitik der Regierung?
Allgemein kann man feststellen, dass in Japan eine starke Wissenschaftsgläubigkeit herrscht. Die Wissenschaftler der staatlichen Universität Tokio genießen das höchste Ansehen. Deren Äußerungen gehen eher in die Richtung, dass die austretende Strahlung unbedenklich sei. Von daher kann ich nicht bewerten, ob die Regierung glaubt, was sie sagt oder ob es eine Art von Taktik ist, um Panik zu vermeiden.

Der Journalist Takashi Hirose behauptet, die Katastrophe war vorhersehbar. Wieso wurden keine ausreichenden Schutzmaßnahmen getroffen?
Takashi Hirose ist Wissenschaftsjournalist. Er hat unter anderem das Buch »Zeitbombe Atomreaktor« geschrieben. Allerdings steht Hirose außerhalb der etablierten Institutionen. Unbequem ist er auf jeden Fall. Aber die Atomlobby ist sehr stark. Die Regierungen in Japan ziehen es seit jeher vor, sich von den Wissenschaftlern der Universität Tokio beraten zu lassen, die Atomkraft befürworten.

Wird die Gefahr der Radioaktivität verharmlost?
Ich glaube schon. Sowohl von der Atomindustrie als auch von der Regierung. Die Atomindustrie hat zum Beispiel die Comicfigur Plutoboy geschaffen. Auf Twitter kann man Statements von Plutoboy lesen wie: »Die Radioaktivität von Tepco ist saubere Radioaktivität, deshalb könnt ihr sie ruhig ’runterschlucken!« Sie wird verharmlost, obwohl man durch die Folgen der Atombomben und von Tschernobyl über die gesundheitlichen Risiken Bescheid wissen sollte.

Es gab in Tokio Proteste gegen die Atomkraft. Gerät die Regierung verstärkt unter Druck?
Zunächst gerät der Betreiber Tepco unter Druck. Die Regierung wird bisher nicht direkt angegriffen, wobei nicht ausgeschlossen ist, dass es dazu noch kommt. Allerdings darf man nicht vergessen, dass wir seit 2009 erstmals eine andere Regierung als die LDP (Liberaldemokratische Partei) haben, und da sind bei vielen Menschen noch Sympathien vorhanden.

Inwiefern wird das Unglück die Gesellschaft Japans verändern?
Auf jeden Fall wird es enorme wirtschaftliche Auswirkungen haben. Die Produktion stockt auch außerhalb des Katastrophengebiets. Ein Viertel des Landes wird möglicherweise nicht mehr nutzbar sein. Den Mangel an bestimmten Konsumgütern und Lebensmitteln sollte man aber nicht überdramatisieren. Die Knappheit ist unter anderem dadurch bedingt, dass die Menschen bestimmte Waren aus Solidarität in den Nordosten schicken. Was ist allerdings, wenn dies über Jahre so gehen sollte? Viele Bauern und Fischer können ihre Produkte nicht mehr verkaufen. Wenn das persönliche Leben so stark betroffen ist, können auch Japaner wütend werden.

Was beschäftigt Sie als Japanologin?
Festzustellen ist eine große Polarisierung bei der Beurteilung der drei Katastrophen. Viele Japaner und Japanologen sagen, dass deutsche Medien nur Panik verbreiten, was schädlich sei. Ich meine, dass man nicht alle Medien über einen Kamm scheren kann. Ebenso wenig kann man sagen, alle Japaner seien naiv und uninformiert. Für die Japanologie stellt sich die Aufgabe zu untersuchen, wieso sich die Berichterstattung in Japan und Deutschland so stark unterscheidet. Außerdem sollte sie sich dafür engagieren, korrekte Informationen, soweit sie verfügbar sind, zu verbreiten und Hilfsaktionen für die Bevölkerung zu unterstützen. Japan ist kein totes Forschungsobjekt. Im Zentrum jeder Forschung muss der Mensch stehen.

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