Von Hoya nach Vietnam und zurück?

Die Nguyens wurden abgeschoben, hoffen aber auf Rückkehr

Eine vietnamesische Familie wurde zerrissen und aus Niedersachsen abgeschoben. Tochter Ngoc Lan blieb in Deutschland und wartet auf die Rückkehr ihrer Angehörigen - die immer wahrscheinlicher wird.

Spätestens abends um neun Uhr werden die Bürgersteige hochgeklappt. Auch tagsüber ist in der Innenstadt nicht gerade der Teufel los. Der ehemalige Minimal-Markt in der Langen Straße, zum Großteil eine verkehrsberuhigte Zone, steht seit langem leer. Auch ein Geschäft schräg gegenüber der Grundschule, am Zwergenbrunnen, ist verwaist. In Hoya gibt es zwei Eisdielen, einen türkischen Imbiss, eine Pizzeria, einige Supermärkte und ein Kino, vielmehr nicht. Nur im Familia-Einkaufscenter am alten Güterbahnhof tummeln sich die Kunden. In dem 3700- Seelen-Städtchen, rund 40 Kilometer von Bremen die Weser hinauf, passiert nicht viel, möchte man meinen. Das stimmte grundsätzlich auch - bis Anfang November. Da tauchte die Stadt plötzlich in den Nachrichten auf. Was war passiert?

Gnadenloser Umgang mit Flüchtlingen

Ein handfester Skandal hat sich in der niedersächsischen Kleinstadt ereignet. Mitten in der Nacht wurde Familie Nguyen von Beamten der Polizei abgeholt, zum Flughafen nach Frankfurt am Main gebracht und nach Vietnam abgeschoben («nd» berichtete). Der Grund: Vater Minh Tuong hatte bei seiner Einreise mit Hilfe einer Schlepperbande über Tschechien im Jahr 1992 einen falschen Namen angegeben. Die Eltern und zwei Kinder - zehn und sechs Jahre alt und beide in der Bundesrepublik geboren - sitzen nun am Stadtrand von Hanoi fest, wie die 19-jährige Tochter Ngoc Lan gegenüber «nd» erklärte. Sie hat ein Aufenthaltsrecht und durfte in Deutschland bleiben.

Der Vater der Nguyens hat in einer Baumschule in Hoyerhagen, einem Nachbardorf von Hoya, ganz in der Nähe des Waldes Sellingsloh, gearbeitet. Nicht weit davon entfernt ist der Sportplatz, auf dem der SV Hoyerhagen jeden zweiten Samstag die Teams der Region empfängt. Da wird großer Fußball geboten: Mal sind die Kicker aus Eystrup zu Gast, mal die Mannschaft aus Hassel und mal der TSV Wechold-Magelsen. Im Sommer fährt mitunter auch ein Bierwagen vor und verkauft Getränke an die paar Zuschauer, die sich am Wochenende dorthin verirren.

Für die Menschen in Hoya und Umgebung ist die Welt noch in bester Ordnung, die Probleme von Migranten sind ihnen weitgehend fremd. Mit der Abschiebung der Familie Nguyen ist ihnen nun hoffentlich klar geworden, dass selbst in der niedersächsischen Provinz Repressalien gegen hier lebende Ausländer nicht ausbleiben. Ein Weckruf, der Hoya nun die Augen öffnet?

Der Fall Nguyen brachte sogar die «Bild»-Zeitung« in Rage, eigentlich kein Medium, das sich für Flüchtlingsrechte stark macht. »Abschiebeskandal!« schreibt das Blatt: »Warum muss diese brave Familie Deutschland verlassen?« Migranten mit kriminellem Hintergrund könnten trotz Gerichtsverfahren wegen Drogenhandels und Raubes bleiben, heißt es da. Warum nicht auch die Nguyens, die im »Lindenhof« in der Deichstraße, unweit der Bäckerei Uhde, gern Rouladen bestellten? Ja, warum eigentlich nicht?

Das hat auch mit der Politik im nördlichen Bundesland zu tun. In Niedersachsen amtiert Uwe Schünemann (CDU) als Innenminister. Ihm wird nachgesagt, ein Hardliner zu sein, gnadenlos im Umgang mit Migranten, der in Ausländerfragen nicht mit sich reden lässt. Er hätte die Abschiebung nicht stoppen können, meinte Schünemann und schob die Verantwortung weit von sich. Zu Recht?

Für die Nguyens wäre es zum Beispiel möglich gewesen, über die sogenannte Härtefallkommission eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Die Kommission kann in besonderen Fällen ein Bleiberecht für Schutzsuchende empfehlen. Der Haken: Sie ist dem Ministerium von Schünemann unterstellt. Und dort wurden Strukturen geschaffen, die aus der Härtefallkommission eine »Abschiebekommission« gemacht haben, sagen seine Kritiker.

Die zwei wesentlichen Gründe, warum die Härtefallkommission einen Antrag ablehnen kann, sind laut niedersächsischem Flüchtlingsrat eine Straffälligkeit des Antragstellers (Verurteilung zu mindestens 90 Tagessätzen) und ein fester Abschiebetermin. Nimmt die Kommission den Antrag an und prüft ihn, kann sie ihn ablehnen. Und zwar dann, so Sigmar Walbrecht vom Flüchtlingsrat, wenn zum Beispiel der Lebensunterhalt der Betroffenen nicht gesichert ist oder wenn eine »Täuschung über aufenthaltsrechtlich bedeutsame Umstände« vorliegt. Dazu zählt, wenn ein Flüchtling bei der Feststellung seiner Identität lügt.

167 Tage lang im Kirchenasyl

Von 2006 bis 2007 waren die Vietnamesen 167 Tage im Kirchenasyl der evangelisch-lutheranischen Gemeinde in Hoya, wie Pastor Andreas Ruh im nd-Gespräch Auskunft gibt. Er hat den Kampf der Nguyens gegen die deutschen Abschiebebehörden hautnah miterlebt. Ruh hat für sie nur lobende Worte übrig, spricht von einer »sehr sympathischen Familie«, die »vorbildlich integriert« sei. Schon damals waren die Vietnamesen von Abschiebung bedroht. 2007 entschied die Härtefallkommission dann gegen ein Bleiberecht für die Nguyens - wegen der falschen Angaben des Vaters bei der Einreise. Dennoch konnten sie bleiben. Der Grund war ein Asylfolgeantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, der zwar begründet abgelehnt wurde, den Vietnamesen aber einen Zeitgewinn brachte und den weiteren Rechtsweg ermöglichte. Bis zum 8. November blieben die Nguyens in Hoya, dann wurden sie um drei Uhr aus dem Bett geklingelt. Einen neuen Antrag ließ die Härtefallkommission in diesem Sommer nicht zu. Ein Abschiebetermin habe zu diesem Zeitpunkt schon festgestanden, sagte die Kommissionsvorsitzende Martina Schaffer.

Aus dem Hause des Innenminister ist unterdessen ein Papier aufgetaucht, nach dem die Härtefallverordnung noch verschärft werden soll. Eine Abschiebung würde dann noch leichter werden. Wie Walbrecht vom Flüchtlingsrat gegenüber »nd« erklärte, sollen in die Verordnung als Ablehnungsgründe auch drei Monate Jugendstrafe und ein Aufenthalt unter drei Jahren aufgenommen werden. Außerdem ist im Ministerium vorgesehen, das Kirchenasyl, in das sich Schutzsuchende bei drohender Abschiebung flüchten können, als Untertauchen zu bewerten. Insbesondere dagegen laufen Kirchenvertreter Sturm und erwägen den Austritt aus der Kommission.

Wie geht es für die in Vietnam gestrandete Familie nun weiter? So wie es aussieht, kommt alles wieder ins Lot. Nach der Protestwelle in ganz Niedersachsen scheint Innenminister Schünemann die Abschiebung überdacht zu haben. Er teilte mit, dass er über das Außenministerium die deutsche Botschaft in Hanoi ersucht habe, ein Visum zu erteilen. Außerdem habe er bei Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) vorgesprochen und ihn um eine Aufenthaltserlaubnis für die Familie Nguyen gebeten. Das Visum sei bereits erteilt, erklärte Ngoc Lan im »nd«-Gespräch.

Doch die vietnamesischen Mühlen mahlen langsam. Zur Zeit sind laut Ruh neue Personalausweise in Arbeit, danach brauchen die Nguyens noch Reisepässe. Anschließend steht ihrer Wiedereinreise nach Deutschland eigentlich nichts mehr im Weg. Auch die Finanzierung des Rückfluges sei gesichert. »Die Spendenbereitschaft ist hoch«, sagte Ruh.

Ngoc Lan hofft, dass ihre angehörigen bis Weihnachten zurück sind. Das ist nach Ruhs Worten wohl nicht realistisch. Zu langsam geht das bürokratische Prozedere in Vietnam voran. Voraussichtlich muss die Familie das gemeinsame Fest in Hoya absagen und kann die Geschenke erst im neuen Jahr auspacken. Dann aber unter einer echten Weihnachtstanne, vielleicht im Sellingsloh geschlagen.

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