Transparent wie Bluse

140 Zeichen müssen reichen: Hannelore Kraft twittert über ihre allzu kleine Welt

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 5 Min.
Seltsame Blüten treibt der Versuch, der Piratenpartei (»mehr Transparenz!«) den Wind aus den Segeln zu nehmen. »Ich will einen Live-Ticker meines Lebens«, sagt NRW-Wahlkämpferin Hannelore Kraft. Und twittert über die SMS-Nachrichten ihres Sohnes, Polizistengesichter und ihre Sporteinheiten.
Schon 2010 super transparent: Hannelore Kraft
Schon 2010 super transparent: Hannelore Kraft

Hannelore Kraft umwirbt die Netzgemeinde: Wenige Wochen vor der Neuwahl des NRW-Landtages entdeckt die SPD-Spitzenkandidatin und amtierende Ministerpräsidentin die sozialen Medien. Leute, blast in die Posaune, schlagt die Pauke, bildet Lesezirkel, stellt Erdnüsse und Salzgebäck bereit: Die Mülheimerin twittert! Und zwar mit globalem Blickwinkel: »SMS vom Sohn. Hat bei Work'n'Travel am anderen Ende der Welt zufällig die Nichte von Sylvia Löhrmann getroffen. Klein ist die Welt.«

Wer Sylvia Löhrmann, was Work'n'Travel ist – man muss es notfalls nachgoogeln. Bei Twitter gilt schließlich das Motto 140 Zeichen müssen reichen!

Viel spannender als Schulministerin Löhrmann ist eh ein ganz anderes Thema: Wie verlief eigentlich Hannelore Krafts Wochenanfang? Der Montag beginnt »mit einer Telefonschalte im Auto auf dem Weg in die Staatskanzlei«, zwitschert die 50-Jährige. Am Arbeitsplatz angekommen, hält sie eine Rede. Atemlos geht`s weiter, flugs ist sie »auf dem Weg nach Köln, zur Vereidigungsfeier der Polizei.«

Das ist offenbar ein tolles Event: »Bei der zentralen Vereidigung der Polizeianwärter in Köln konnte man in viele stolze Gesichter blicken!« Dann nimmt Kraft »am Gewerkschaftsrat der NRWSPD in Düsseldorf teil«. Von stolzen Gesichtern berichtet sie diesmal nicht. Auf dem Heimweg nach Mülheim bearbeitet sie noch schnell Bürgeranfragen aus ihrem Wahlkreis (»Konnte helfen, gutes Gefühl«).

Sonne runter, Sonne rauf, ein neuer Tag beginnt. Kraft absolviert eine »Sporteinheit«, trifft sich mit ihrem Wahlkampfteam, gibt dem »Spiegel« ein Interview und verspricht gerade, den Link darauf via Twitter zu teilen, da wird ihr auch schon eine große Ehre zu Teil. »Hannelore wurde auf der Delegiertenkonferenz mit 98,3% als Kandidatin für die Landtagswahl gewählt. – Team Kraft (TK).«

Aha: Team Kraft! Mitunter lässt Madame also twittern. Diesmal vom SPD-Treffen in Mülheim an der Ruhr, das sie erneut zur SPD-Direktkandidatin in der Stadt am Fluss erkor.

Dass TK als Kürzel nicht nur für »Team Kraft«, sondern auch für Tiefkühlkost steht, das... müssen wir gaaaaaanz schnell verdrängen. Kraft twittert nämlich schon wieder! Diesmal eigenhändig: »Freue mich über das gute Ergebnis gerade! Fahre gleich weiter zur Betriebsrätekonferenz EVONIK«.

Dann wettert die ex-katholische Protestantin gegen ein generelles Tempolimit auf Autobahnen (»wird es mit mir nicht geben«) und stimmt einer Aussage des CDU-Manns Klaus Töpfer zu. Irgendwer, so denkt man, müsste ihr mal erklären, dass sie ihre Tweets nicht mit »HK« unterzeichnen sollte. Denn es steht doch schon fett »Hannelore Kraft« davor. Und ein Foto daneben. Und zwar keins von Lothar Matthäus.

Boing! Jetzt ist auch das »Spiegel«-Interview online. Endlich! Klick: Ob Kraft Angst vor den Piraten habe? »Ganz und gar nicht. Wir haben schon als Landesregierung bewiesen, dass wir mit dem Medium Internet umgehen können. ... Insofern war es nur logisch, das Instrument auch in diesem Wahlkampf stark zu nutzen.« Schließlich: »Ich will eine Art Live-Ticker meines Lebens als Politikerin.« Denn: »Wir müssen transparent sein.«

Da ist sie wieder: Die Piraten-Forderung nach Transparenz. Doch nicht immer, wenn ein Pirat mal wieder etwas nicht versteht, liegt es an den bösen, transparenzfeindlichen Politikern. Manchmal müsste man, wenn man mitreden, gar Avantgarde sein will, sich schlicht ein wenig einarbeiten. Mal die intelligenteren Internetquellen lesen statt immer nur Twitter und Facebook und Piraten-Debatten. Vielleicht auch mal bedrucktes Papier zur Hand nehmen – doch das wird in diesen Kreisen als »totes Holz« ge- und verschmäht.

Hannelore Kraft jedenfalls, das sei zu ihrer Ehrenrettung vermerkt, hat in Sachen Transparenz nun wirklich kaum etwas zu verbergen. Transparent war sie schon im Landtags-Wahlkampf 2010. Transparent wie durchsichtige Bluse, um exakt zu sein.

Als sie erstmals zur Landtagskandidatin nominiert wurde, damals im Jahr 2000, geschah dies »zur allgemeinen Überraschung«, plauderte Kraft vor zwei Jahren freimütig auf ihrer Webseite. Auch sie selbst habe sich »keine großen Chancen« ausgerechnet. Offenbar konnte sie ihr kleines Glück kaum fassen: »Jetzt war ich in der SPD dabei. Mit Haut und Haaren und Schlag auf Schlag«.

Schlag auf Schlag mit Haut und Haaren? Stimmt: Flugs wurde sie Ministerin unter Wolfgang Clement. Als sie der Medienmeute vorgestellt wurde, entfleuchte ihr der panische Satz »Ach du Scheiße«. Leider war das Mikrofon schon eingeschaltet.

Woher wir das wissen? Kraft, offenbar von allen guten PR-Beratern verlassen, erzählte es uns seinerzeit. Natürlich via Internet. Gleichen Orts berichtete sie auch über ihre schmerzvolle Schulzeit (»Unterkriegen lassen war nicht«). Und den beschränkten Horizont als Arbeiterkind in Mülheim an der Ruhr: »Mit Papa und Mama waren wir fast jede Woche auf einer anderen Familienfeier irgendwo im Ruhrgebiet. Viel weiter sind wir nicht gekommen.«

Ganz so, als ließen sich mit solchen Plaudereien Wähler gewinnen. Nur in einem Punkt wollte Kraft nicht ganz so transparent sein: Den Vorwurf, sie habe ihren Lebenslauf geschönt, mochte sie nicht lesen. Ging gegen entsprechende Berichte juristisch vor. Und erzielte – was denn sonst? – einen Streisand-Effekt.

Es ging um ihre ersten zwölf Jahre im Berufsleben, die sie bei einem skandalumwitterten Unternehmen verbracht hatte. Zenit GmbH – diesen Namen strich Kraft aus ihrer Vita. Und firmierte nur noch als »Unternehmensberaterin und Projektleiterin«. Keine große Sache, wenn sie denn geschwiegen statt geklagt hätte. So aber stürzte sich die Medienmeute auf Kraft.

Der Text auf ihrer Homepage sei mit der Zeit einfach zu lang geworden, deshalb habe sie die Firma raus gelassen, begründete Kraft die Kürzung. Zu lang? Die Passage umfasste exakt 132 Zeichen – und war damit sogar twitterbar.

Endlich: Hannelore Kraft zwitschert jetzt auch
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