Existeriment

Poetry Slam im Kino: »Dichter und Kämpfer«

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Pokal ist im Siegestaumel zerbrochen. Doch das macht »Scharri« nichts aus. Der smarte Mittdreißiger hat die Deutschen Poetry-Meisterschaften des Jahres 2009 gewonnen. Amüsiert zeigt er einem Freund die kaputte Trophäe - drei gestapelte Bücher, aus denen ein Mikrofon wächst. Dass man sie aufklappen kann, war nicht vorgesehen, aber die Bruchstelle offenbart ein komisches Geheimnis: Beim Basteln des golden lackierten Pokals hat man alte Kirchenbücher verwendet. Ausgerechnet.

Denn sakral geht es bei den frenetisch umjubelten Poetry Slams nicht gerade zu. Man muss sich diese hitzig-witzigen Wortwettkämpfe vielmehr wie ein Rock 'n' Roll-Festival vorstellen, bloß ohne E-Gitarren und Schlagzeug. Es sind Wortakrobaten, die hier ihre selbst geschriebenen Gedichte und Geschichten - zwischen Dada und Rap, Traumtanz, BeatBox und Tingeltangel - der Bewertung einer kleinen Jury und eines beständig wachsenden Publikums aussetzen. Der Zuspruch ist so groß, dass Slams inzwischen sogar in postindustriellen Kulturhallen ausgetragen werden.

Dass die Akteure dabei keine Requisiten und Instrumente mit auf die Bühne bringen dürfen, gehört zu den wenigen Regeln. Ihre Stimme, ihr Gesicht, ihr Körper - mehr steht den Dichtern nicht zu Gebote, um ihren Text so zu entfalten, dass er die Zuhörer mitreißt und bestenfalls sogar in die Performance einbindet. Wer das schafft, fühlt den Rausch und das Rauschen. Wenn dann die Höchstnote 10 auf den in die dicke Luft gereckten Bewertungstafeln erscheint, ist das Glück des Augenblicks perfekt.

Wie weit dieses Glück trägt, und wohin, das fragt Marion Hütters Dokumentarfilm »Dichter und Kämpfer«, eine No-Budget-Produktion, die das fehlende Geld mit großer Nähe zu den Protagonisten, mit viel Enthusiasmus für die Sache und mit dem Mut derer wettmacht, die ihrer Idee vertrauen. Der Film, er lief bei der Berlinale 2012 in der Sektion »Perspektiven«, porträtiert drei Männer und eine junge Frau auf leidenschaftlicher Gratwanderung zwischen Laptop und Bühne, Heim und Welt.

Das Publikum kennt nur die Show. Der Film aber zeigt die Poeten auch einsam. Vor dem Auftritt steht das Üben, das Leben vor der Literatur. Die Deutschen seien ein Volk der Dichter und Denker, hieß es einst. Hier sind sie »Dichter und Kämpfer«. Das Denken scheut die Bühne. Es steht vor dem Kampf. Der Wettbewerb sei ihnen gar nicht so wichtig, beteuern indessen die Protagonisten. Im Mittelpunkt stehe das Lebensgefühl: mit eigenen Texten durch die Lande reisen zu dürfen, sein Inneres nach außen kehren zu können und überall auf Menschen zu treffen, die das anerkennen, bewundern, bejubeln.

Dass die Slammer einander eng verbunden sind, dass das Gemeinschaftsgefühl den Konkurrenzgedanken überwiegt, dafür haben die Poeten - was wohl? - ein Wort erfunden: »Slamily«. Die lebhaften Szenen des Films liefern wahrhaftige Bilder zu diesem Begriff. Etwa diejenige, in der ein Dichtertrainer das eng zusammengerückte Team in rassigen Reimen auf ein gemeinsames Fußballspiel einschwört, das vor dem Wortwettkampf ausgetragen wird.

Natürlich geht es dann auf der Bühne - auch - ums Gewinnen. Als Preis gibt es, neben dem Rausch, aber allenfalls kleine Sachgeschenke. Leben kann man vom Slammen selbst dann nicht, wenn man nahezu jeden Abend irgendwo in der Republik auf einer Bühne steht. Daran ändert auch die voranschreitende Kommerzialisierung des subkulturellen Phänomens wenig. Der Film thematisiert auch solche Fragen: Taugt Leidenschaft zum Lebensunterhalt? Lässt auf das Experiment sich eine Existenz bauen? Verliert der Slam sein Gesicht, wenn er aus dem Untergrund auftaucht und sich nunmehr in großen Theatern, auf Buchmessen und auf Bildschirmen wiederfindet?

Philipp »Scharri« Scharrenberg, Sebastian23, Julius Fischer und Theresa Hahl, die vier porträtierten Poeten, haben jeweils eigene Wege gefunden, auf denen sie durchs Leben navigieren. Der eine nutzte den Erfolg beim Slammen als Sprungbrett und schlägt sich nun zusätzlich mit einem recht erfolgreichen Kabarettprogramm durch. Der andere versucht sich als Veranstalter und gibt Workshops für die kommende Slammer-Generation. Der nächste macht neben dem Dichten Musik in einer Zwei-Mann-Band, die inzwischen einiges Aufsehen erregt. Und die vierte nimmt ein genügsames Dasein gerne in Kauf, solange sie ihr Leben so führen kann, wie sie es will.

»Dichter und Kämpfer« ist das mitreißende Porträt einer unbeschwerten Szene, die die Wortkunst außerhalb von Büchern lebendig hält. Ein Film, obendrein, der Mut macht. Denn er zeigt, wie viel Spaß es machen kann, seine eigene Sprache um keinen Preis an das jämmerliche Marktphrasengedresche zu verscherbeln. Und Schweigen kommt schon gar nicht in die Tüte.

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