Der zerknautschte Charme der CIA

Ab Donnerstag im Kino: «Bridge Of Spies - Der Unterhändler» von Steven Spielberg

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 6 Min.

Sie sind deutscher Abstammung, meine Wurzeln liegen in Irland. Was also macht uns beide zu Amerikanern?«, fragt der redliche Versicherungsanwalt James Donovan (Tom Hanks) in Steven Spielbergs neuem Film einen um Donovans US-Loyalität besorgten CIA-Agenten. Und antwortet selber: »Es ist das Buch. Es die Verfassung.« Verbindliche Regeln also - die zu hohler Heuchelei verkommen, wenn sie nicht für alle Menschen gleichermaßen gelten. Denn seit Donovan 1957 widerstrebend, aber mit wachsendem juristischem Pflichtgefühl die Verteidigung des russischen Spions Rudolf Ivanovich Abel übernommen hat, wird von ihm wieder und wieder verlangt, die Verfassung in diesem Fall doch bitte die Verfassung sein zu lassen. »Ach kommen Sie, Anwalt. Dieser Mann ist ein Spion!«, entgegnet etwa der Richter erstaunt, als Donovan einfordert, auch bei diesem Mandanten die üblichen Verfahrensregeln einzuhalten.

Donovan bricht die Regel, indem er auf konsequente Einhaltung der Regeln beharrt, deren Verletzung nach Gutdünken die eigentliche Regel ist. Die erste Hälfte von »Bridge Of Spies« ist also ein flammendes Plädoyer für eindeutige, nicht dem Zeitgeist unterliegende Gesetze - da alles Andere zu Lasten der Schwächeren geht und zwangsläufig irgendwann auf die zurückfallen muss, die jene Regeln für sich zurechtbiegen. Die »Guten«, so die moralische Botschaft, haben keineswegs (auch nicht »ausnahmsweise«) das Recht, schlecht zu sein.

Diese Weisheit kann man durchaus auf aktuelle Konflikte beziehen, bei denen Regeln ebenfalls nur für eine Seite zu gelten scheinen: Die globale Heuchelei offenbart sich durch einen Blick auf Syrien, Libyen oder die Ukraine. Westliche Länder dürfen sich nach Lesart vieler westlicher Medien und Politiker mit drakonischen Mitteln vor Angriffen auf den eigenen Staat schützen - aber gleichzeitig Umstürze in Kiew, Tripolis und Damaskus fördern. Dieses Messen mit zweierlei Maß birgt große Gefahren: Was sollte einem Pegida-Mob entgegnet werden, sollte er sich eines Tages hunderttausendfach und gewaltbereit vor dem Reichstag versammeln, und das gleiche »Widerstandsrecht« wie der Maidan oder die sagenumwobenen »moderaten syrischen Rebellen« einfordern? Schließlich könnten sich militante deutsche Rassisten doch plausibel auf die Argumentationsmuster vieler westlicher Medien berufen - das von den Redakteuren (für das Ausland) vielfach propagierte Recht auf tödliche Gewalt gegen staatliche Repräsentanten inklusive.

Steven Spielbergs Film ist zum Teil Gerichtsdrama, zum Teil Thriller und zum Teil historisches Epos. Denn Donovan rettet nicht nur den Russen vor der Hinrichtung, wodurch er zur Hassfigur für seine propaganda-vergifteten Mitbürger wird. Er wird daraufhin von der CIA zum Unterhändler erkoren: Zeitgleich zu Abels Enttarnung ist ein US-Spion in russische Haft geraten, ein Austausch der Gefangenen soll ausgehandelt werden.

»Bridge Of Spies« ist also die Geschichte eines Normalbürgers, der zwischen die Fronten zweier monströser Maschinerien geworfen wird - und über sich hinaus wächst, gerade weil er auf dem Teppich bleibt. Das klingt kitschig und das ist es auch. Erträglich, ja sogar ziemlich unterhaltsam und bewegend wird es durch das Drehbuch, eine superedle Ausstattung und Spielbergs Perfektionismus, vor dem man bei aller Familientauglichkeit auch dieses Films einfach den Hut ziehen muss. Und immerhin: Tom Hanks muss nur eine einzige Ansprache zu den amerikanischen Werten halten.

Man wundert sich vor allem über die hervorragenden, ungewohnt zugespitzten und doch kunstvollen und zum Teil ziemlich witzigen Dialoge, und über eine für einen Spielberg-Film augenzwinkernde und spitzbübische Leichtigkeit, die den ganzen Film durchzieht - bis man Joel und Ethan Coen als Co-Autoren des jungen britischen Dramatikers Matt Charman identifiziert. Der intelligente und schwarze Coen-Humor wird noch verstärkt durch das Wissen, dass die hier geschilderten ideologisch motivierten Absurditäten in den 50er Jahren tatsächlich das Leben bestimmten. Angesichts des heute (wie damals) tobenden Informationskriegs ist es Spielberg auch anzurechnen, dass er Russland nicht über die Maßen dämonisiert.

In diversen Dialogen springt Donovan (und damit Spielberg) sogar für Abel moralisch in die Bresche: »Er ist ein Spion, kein Verräter. US-Amerikaner, die US-Geheimnisse verraten, sind Verräter. Abel hat aber aus Vaterlandsliebe das getan, wofür er von seinem Land beauftragt wurde - und was zahlreiche Amerikaner in der UdSSR tun.« Hier drängt sich eine weitere Parallele zum Heute auf: Abel wird nach dem Agent Registration Act verklagt - einem uralten US-Gesetz, für dessen kürzliche Einführung Russland schwere Prügel in der westlichen Presse bezog.

Ein Standbein des Films ist die Männerfreundschaft zwischen Spion und Verteidiger, die von Tom Hanks gewohnt herzerwärmend und unbestechlich, von Mark Rylance als Abel hinreißend stoisch und desillusioniert verkörpert werden. Zwischen beiden bildet sich ein Band gegenseitigen Respekts und Verständnisses: Donovan bewundert Abels Stärke und Loyalität. Und der Russe sorgt sich angesichts der Anfeindungen durch antirussische Amerikaner sogar um Donovans Sicherheit und will dessen Verteidigungseifer bremsen.

Den ganzen Film durchzieht der zerknautschte Schlapphut-Charme der Old-School-Schnüffler - kultige Spionage-Tools, kryptische Botschaften, Schläfer und Verfolgungen mit Regenschirmen inklusive. Es ist ein absurdes Theaterspiel hinter den politischen Kulissen.

Und diese Kulissen wechseln radikal, als sich der Schauplatz nach Berlin verlegt - so sehr, dass man fast den Eindruck von zwei verschiedenen Filmen hat: Dominieren in den US-Szenen heimelige Brauntöne, gemütliche Drinks und edle Holzvertäfelungen, beherrschen in Deutschland ein kaltes Grau und dreckiger Schnee die Szenerie. Es ist eine trostlose Trümmerlandschaft in Ost wie West: In diesem Deutschland ist immer scheiß Wetter und alle sind erkältet.

Hier nun, in den teutonischen Amtsstuben, taucht der Betrachter mit Donovan ein in einen Kleinkrieg zwischen den Bürokratien von UdSSR und DDR. Der junge ostdeutsche Staat will Eigenständigkeit beweisen, kann diese aber nicht durchhalten, was Donovan durchschaut und unter großem Risiko auszunutzen versucht. Denn er will für den auszutauschenden Abel nicht nur den US-Soldaten von den Russen, er will außerdem einen in der DDR inhaftierten US-Studenten - den einen am Checkpoint Charlie, den anderen an der Glienicker Brücke.

Wolfgang Vogel (zwielichtig: Sebastian Koch) verhandelt für die Regierung der DDR, die von der amerikanischen Regierung nicht anerkannt wurde, aber laut Film verzweifelt versuchte, sich als Staat zu emanzipieren. Burghart Klaußner gibt den DDR-Staatsanwalt Harald Ott als Karikatur des Ostbürokraten.

In den »deutschen« Szenen merkt man deutlich Spielbergs Bemühen um historische (auch ausstatterische) Genauigkeit - und (man befindet sich im Nachkriegsdeutschland) seine alte Faszination für alles, was mit dem Zweiten Weltkrieg zusammenhängt: Die hat er schon in »Schindlers Liste«, »Der Soldat James Ryan«, »Das Reich der Sonne«, »1941 - Wo bitte geht’s nach Hollywood« und in den »Indiana-Jones«-Filmen bewiesen.

Es ist ein Spielberg-Film, also einer, der niemandem weh tut. Aber einer, der Spaß macht und berührt. Und einer, der entschieden für die ideologieferne, ganz praktische Vernunft und die Kraft des (notfalls heimlichen) Dialogs zwischen Feinden argumentiert. Das ist in den heutigen, unvernünftigen Zeiten schon viel.

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