Interventionen im »Krisenbogen«

Jörg Kronauer über neue Kriege mit deutscher Beteiligung

  • Jörg Kronauer
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn Militärs vor Kriegen warnen, dann hat man Grund, sich Sorgen zu machen. Ist ein schneller militärischer Erfolg im Krieg gegen den »Islamischen Staat« (IS) möglich? »Das halte ich definitiv für ausgeschlossen«, erklärte Oberstleutnant André Wüstner, Vorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbandes, im Interview mit dem »Spiegel«. IS habe sich inzwischen in Ländern jenseits Syriens und Iraks festgesetzt. Es reiche nicht aus, ihn militärisch anzugreifen, man benötige vielmehr »ein international abgestimmtes Gesamtkonzept«, ein politisch umfassendes »Ordnungsziel«. Das da wäre? Nun, stellte Wüstner fest, ein solches Ziel fehle leider noch. Der Bundestag sollte also über etwas entscheiden, was noch gar nicht klar sei, über etwas, »dessen Folgen niemand absehen kann?«, fragte der Interviewer. Und der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes antwortete trocken: »Absolut, die Zukunft ist völlig ungewiss.« Er fügte hinzu: »Wenn wir ziellos umherirren, ist dieser Einsatz auf Dauer mit Sicherheit nicht zu verantworten.«

Eine Beteiligung am Syrien-Krieg ist nicht der Wunsch der Bundesregierung gewesen. Berlin hat durchaus versucht, ihn abzuwenden und Frankreich die schon seit langem geplante Entsendung deutscher Truppen nach Nordmali als angemessene Beteiligung am Krieg gegen den IS zu verkaufen. Das hat sich diplomatisch nicht durchhalten lassen; allzu oft hat die Bundesregierung in der jüngeren Vergangenheit den EU-Verbündeten ihren Willen aufgezwungen, als dass sie sich dem französischen Drängen nach den Terroranschlägen von Paris hätte auf Dauer verweigern können.

Ursprünglich hatte sie anderes geplant. Berlin setzt seit einiger Zeit auf die Syrien-Verhandlungen der UNO und hat in diesem Rahmen den Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Volker Perthes, als Leiter jener Verhandlungsgruppe des UN-Sondergesandten für Syrien, Staffan de Mistura, platziert, die sich mit »Militär, Sicherheit und Terrorabwehr« befasst. Den Verhandlungsresultaten, die Perthes erzielen kann, wird erhebliche Bedeutung zukommen. Und die Bundesregierung hat daher durchsickern lassen, dass sie bereit sein könnte, die Ergebnisse mit einer deutschen Beteiligung an einer UN-Friedenstruppe abzusichern. Das war ihr eigentliches Ziel.

Nun kommt es anders, aber in die Gesamtstrategie passt der Syrien-Einsatz durchaus. »Neue Macht - Neue Verantwortung« - so hieß ein Strategiepapier, das die SWP im Oktober 2013 gemeinsam mit dem German Marshall Fund of the United States veröffentlichte. In ihm sind zentrale Elemente einer außenpolitischen Konzeption niedergelegt, die man tatsächlich in der Politik der Bundesregierung wiedererkennen kann. »Eine pragmatische deutsche Sicherheitspolitik« solle sich »in erster Linie auf das zunehmend instabil werdende europäische Umfeld von Nordafrika über den Mittleren Osten bis Zentralasien konzentrieren«, hieß es darin - »nicht zuletzt, um die amerikanischen Verbündeten im Zuge ihres wachsenden Engagements in Asien zu entlasten«. Oder anders ausgedrückt: Washington fokussiert sich mehr und mehr auf die Rivalität mit China und das »Pazifische Jahrhundert«, das Außenministerin Hillary Clinton 2011 ankündigte; Berlin übernimmt mit der EU immer stärker die Kontrolle über die an Europa grenzenden Regionen des Nahen und Mittleren Ostens. Mali, das Horn von Afrika, die libanesischen Küstengewässer, Irak: Das sind aktuelle Einsatzgebiete der Bundeswehr, die in dem »Krisenbogen« um Europa liegen. Jetzt kommt noch Syrien hinzu.

Und das ist, glaubt man Militärkreisen, noch nicht alles. Der IS weiche offenbar aus und verlege Kommandostellen nach Libyen, berichtete der ehemalige Bundeswehr-Generalinspekteur Harald Kujat; perspektivisch könne die Bundeswehr sogar in Mali direkt auf ihn treffen - »und dann verstärkt«. Ähnlich äußert sich der Präsident des Reservistenverbandes, der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter. Man solle, sofern der IS ausweiche, ihm folgen und weitere Gebiete in den Blick nehmen, erklärt er. Die deutschen Interventionen im »Krisenbogen« stehen, so scheint es, erst am Anfang.

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