Heiko Maas zwischen Krawall und Küchentisch

Justizminister bei Auftritt in Dresden beleidigt / SPD bändigt mit neuem Diskussionsformat erregte Rechtspopulisten in Zwickau

  • Hendrik Lasch, Zwickau
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor der Tür wird dem neuen sächsischen Volkssport gefrönt: Politiker-Anpöbeln. An einer Einfallstraße in Sichtweite des Gasometers in Zwickau ragen Transparente in die Höhe, auf denen gefragt wird: »Wollt ihr den totalen Maas?«. So begrüßen erzürnte Bürger den SPD-Justizminister, den sie freilich am liebsten gleich wieder vom Hof jagen würden: »Lauf, Heiko, lauf, lauf, lauf«, ist zu lesen. In der Stadt in Westsachsen hat man es nicht immer bei verbalen Drohungen belassen. Am 1. Mai 2016 war Maas von Rechtspopulisten derart bedrängt worden, dass er eine Kundgebung des DGB fluchtartig verließ.

Jetzt sind sie alle wieder da: Anhänger der AfD, Aktivisten der Neonazi-Kleinpartei »III. Weg« und von den »Heimattreuen Niederau«. Sie drängen sich an einem Polizeikordon vor dem Gasometer, in dem üblicherweise Konzerte etwa von Pippo Polina und Annamateur stattfinden. An diesem Abend hat die SPD zu einer Veranstaltung eingeladen, die sie »Küchentischtour« nennt. Die Idee: An einem großen alten Holztisch, an dem einst die achtköpfige Familie des SPD-Landeschefs zum Abendbrot saß, sollen Bürger mit Politikern »auf Augenhöhe« reden können - an diesem Tag zum Beispiel mit dem Regionalchef des DGB, der Generalsekretärin der Landes-SPD, vor allem aber mit Maas.

Es ist eine mutige und, wie manchem angesichts des Auflaufs vor der Tür schwant, vielleicht sogar eine waghalsige Einladung. Maas ist neben der Kanzlerin der Lieblingsfeind von Pegida, AfD und Co. Spätestens, seit er mit dem »Netzwerkdurchsetzungsgesetz« die Flut von Hasskommentaren auf Facebook und Twitter eindämmen will, schlägt ihm geballter Hass entgegen. In Zwickau hat man zu Maas’ Begrüßung alte Uniformen der DDR-Staatssicherheit aus dem Schrank geholt, in deren Tradition man den Minister stellt. Als zu allem Übel ein SPD-Mitarbeiter die erregte Menge vor der Tür warnt, Verstöße gegen die Gesprächsregeln im Saal würden mit »maximal drei Warnschüssen« geahndet, schlägt die Häme hohe Wellen: »Wie vor ’89«, keift es in abfällig-ätzendem Ton. Wer die gründlichen Kontrollen passiert hat und in den runden Saal gelangt, ist innerlich auf einen Abend voll wüster Wortgefechte und Schimpftiraden eingestellt.

Und dann passiert - nichts. Kein Krawall, keine zornig-roten Köpfe; selbst bissige Zwischenrufe bleiben die Ausnahme. Liegt es an der Liste der Gesprächsregeln, die wie Speisekarten auf jedem der zwölf Tische stehen und mit Sätzen wie »Es redet immer nur einer« oder »Ich beleidige nicht« ein wenig an den Morgenkreis im Kindergarten erinnern? Oder liegt es daran, dass, was immer man Maas und den anderen mitteilen möchte, man ihnen direkt ins Gesicht sagen muss, weil Fragen nur auf einem der für Gäste vorgesehenen drei Stühle am Tisch in der Mitte des Saals geäußert werden dürfen? Drohungen, Beleidigungen und Mordaufrufe seien in den sozialen Netzwerken heute »an der Tagesordnung«, sagt Maas an einer Stelle zur Verteidigung seines Gesetzes: »Die Wenigsten aber würden das ihrem Gegenüber am Küchentisch ins Gesicht sagen.«

Dieser Abend ist eine Probe aufs Exempel. Dabei ist der Zorn nicht am Einlass verraucht. Nicht wenige Äußerungen der Politikerrunde werden mit höhnischem Murren kommentiert; als an einer Stelle an die »Flüchtlingskrise« im Sommer 2015 erinnert wird, zischt ein Mann vernehmlich: »Selbst verschuldet!« Auch der Minister wird nicht geschont. Sein Gesetz, das die Moderatorin irrtümlich »Netzwerk-Durchsuchungsgesetz« nennt (Maas: »Das klingt ja noch viel schlimmer!«), findet keine Fürsprache. Er befürchte eine »Löschkultur bei Netzwerkbetreibern«, sagt ein Besucher und warnt vor Zensur. Ein anderer, der ungefragt betont, AfD-Mitglied zu sein, mahnt vor Entscheidungen wider den Bürgerwillen: »Schon in der DDR hat man nicht das Ohr an der Masse gehabt, sondern versucht, die Masse am Ohr zu fassen.« Als Maas betont, es solle »nur Strafbares« gelöscht werden, springt ein junger Mann auf und schnaubt: »Wer bestimmt denn, was strafbar ist?!«

Doch als auch er dann auf einem der Stühle am Küchentisch sitzt, ist die Erregung verraucht; er fragt nur noch höflich, wieso ausgerechnet die Amadeu-Antonio-Stiftung bei den Vorgaben für zu löschende Kommentare mitreden dürfe. Dürfe sie nicht, sagt Maas: Die gegen Rechtsextremismus engagierte Stiftung habe ihn im Rahmen einer Taskforce beraten; künftig sollten Löschanträge von einer Justizbehörde des Bundes formuliert werden. »Ach so«, sagt der Fragesteller, redet während der Abmoderation der Veranstaltung noch im Flüsterton auf Maas ein und strömt wenig später mit den anderen Besuchern in den lauen Abend hinaus, vorbei am Polizeikordon und den noch immer ausharrenden wütenden Bürgern. Man spürt kurz die Versuchung, auch ihnen ein paar Küchentische auf den Asphalt zu stellen.

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