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Das Kapital Liebe

Olga Flor ist ein bissiges Buch über einen bitteren Verlust gelungen

Um es gleich vorweg zu sagen: Was das Buch sympathisch macht, ist der Fakt, dass es die Bedeutung der Toilette im Leben eines Menschen, der verzweifelt ist, in angemessener Ausführlichkeit würdigt, wie es bisher vielleicht nur Peter Handke getan hat (»Versuch über den Stillen Ort«).

Olga Flor: Klartraum. Roman.
Jung und Jung, 288 S., geb., 23 €

Protagonistin in Olga Flors Entwöhnungs- und Entliebungsroman ist P, die gerade von A abserviert wurde. Auf die richtig harte, schlimme, zerstörerische Tour. Da hilft es, an einem Ort zu sein, an dem sonst niemand weiter sein kann, ein Ort, der sich verriegeln lässt und den man nur mit der eigenen Verletzlichkeit teilt. Endlich allein, wie Handke schreibt.

In Olga Flors Roman »Klartraum« erlebt, durchlebt und zerlebt P, die mal Protagonistin, mal Probandin, mal Projektmanagerin ist, gnadenlose 281 Seiten lang Zurückweisung, die sie, wie jeder Mensch, der lieben kann, langsam auffrisst. Quälend ist das zuweilen, grotesk, amüsant, aber nie bemitleidenswert. Dafür reflektiert P viel zu genau, in welch bescheuerte Situation sie dieses Sitzengelassensein manövriert. Abhängigkeit. Das, was jede emanzipierte Frau weit von sich stoßen will, wenn es denn in der Konsequenz ginge, passiert ausgerechnet P, die gerne die intellektuelle Auseinandersetzung mit A sucht und sich gut dabei fühlt. Letztendlich aber war sie nur süchtig nach profanen Empfindungen: Zuneigung, Wärme, dem Erfolgsgeruch, denn A ist ein echtes Alphatier, inklusive Sekretärin, Chauffeur und einer eigenen Ehefrau mit zwei Kindern, die ihn kaum zu Gesicht bekommen. Klassiker.

Kennengelernt hat P den A im Skiurlaub, beide sind verheiratet, eigentlich. Für P ist das weniger ein Problem, A hingegen nutzt seine Ehe mit C immer wieder als Rückzugsort, die Kinder, die seien ja das Wichtigste.

Olga Flor beschreibt in der Lebens- und Leidensgeschichte der P nicht minutiös den Verfall einer Liebe; es geht um Verlust, Lust, Glück und Möglichkeiten, so sind auch die Kapitel überschrieben. Das Glück immerhin gewinnt (15 zu 13 gegen die Lust). Wir sehen P auf 281 Seiten mit sich selbst ringen, keine der Figuren entwickelt sich in irgendeiner Art und Weise. Bis auf das häppchenweise Hineingeworfene zur Rahmenhandlung, wie P und A sich treffen, sich lieben, sich wieder trennen und sich schreiben, passiert nichts. Alles findet im Kopf der P statt. Das zehrt an den Nerven, ist man doch ab und an geneigt zu denken: Wer braucht noch diese Geschichte von einer Frau, die sich hingebungsvoll verlassen fühlt, da wir übersättigt sind mit Geschichten von Liebe, die nicht sein kann, sein darf und sein will.

Aber dann kommt Flor mit Sätzen, die man sich ins Merkbuch der grandiosen Beobachtungen schreiben muss: »Kein Klischee ist den beiden zu blöd.« Oder: »Eine Frau liebt einen Mann, er liebt nicht zurück, so ist das eben.« Wenn es diesen Ton, diesen feinen Sarkasmus in der Erzählung nicht gäbe, es wäre ein wirklich banales Buch geworden. Aber Flor schreibt hier über eine Urangst, die dem bindungsgewöhnten Menschen inne ist mit einer klugen Distanz, die dann doch wieder stolz macht, auf die eigene Verletzlichkeit.

Insgesamt mag das eine konservative Geschichte sein, so sagt es P ja selbst, so ehrlich ist sie immerhin. Eine heterosexuelle Liebende der gehobenen Mittelschicht kämpft mit der eigenen Schwäche, diejenige zu sein, die nicht mehr genügt: »Und du?, fragt sie sich, würdest du ihn tatsächlich ebenso interessant finden, wenn er, sagen wir, Hausmeister geworden wäre? Wohl kaum, da du voller Vorurteile bist, was den geistigen Horizont von Hausmeistern betrifft, Bildungssnob.«

Was Flor gelingt, ist die Beziehung zwischen A und P mit dem Vokabular der Kapitalismuskritik zu verbinden. Immerhin geht es hier um Ressourcen: Wer hat was zu bieten, wer nimmt, muss zahlen (P), wer gibt, bestimmt das Angebot (A). So geht es immer hin und her zwischen Aufmerksamkeit=Zuneigung und Ignoranz=Ablehnung. Aber zu welchem Preis die verlangte Ware Liebe auf den Markt gespült wird, bestimmen nicht Angebot und Nachfrage, sondern allein A mit dem, was er bereit ist zu geben. Tja. Dumm gelaufen, würde P wohl nonchalant anmerken.

Flor hat ein nicht immer leicht zu durchschauendes, aber bissiges Buch über die Liebe geschrieben, die sie so lange durchdenkt, bis sie wirklich tot ist.

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