Frohlocken in Russland, Entsetzen beim IOC

28 russische Wintersportler haben mit ihrer Klage vorm Sportgerichtshof Erfolg, ihre Sperren werden mangels Beweisen aufgehoben

In der Olympiastadt Pyeongchang beziehen gerade die ersten Athletinnen und Athleten das Olympische Dorf, derweil versetzt der Internationale Sportgerichtshof (CAS) mit seinem Urteil in Sachen Russland-Doping die olympische Welt in Unruhe: 42 von 43 lebenslänglich bei Olympia gesperrten russischen Sportlerinnen und Sportlern hatten eine Aufhebung ihres Banns verlangt. Das Gericht gab 28 von ihnen Recht und weitern elf immerhin teilweise.

Wie lautet das Urteil?

Der CAS, der seine Entscheidung in der Olympiastadt Pyeongchang bekannt gab, hob die vom IOC im Zuge des Staatsdopingskandals verhängten lebenslangen Olympiasperren gegen 28 russische Sportler auf. Sie gelten damit als vollständig entlastet. Namhafte Athleten sind darunter, so die Sotschi-Olympiasieger Alexander Legkow (Skilanglauf) und Alexander Tretjakow (Skeleton). Für einen Start in Pyeongchang müssten die 28 freigesprochenen Russen nun zunächst ihr Startrecht einklagen. Kremlsprecher Dmitri Peskow hat dafür bereits seine Unterstützung zugesagt. Da das Nationale Olympische Komitee Russlands suspendiert ist, können dessen Athleten nur auf Einladung des IOC in Pyeongchang starten. Bislang sind 169 russische Sportler berechtigt, im Team »Olympische Athleten aus Russland« unter olympischer Flagge zu starten.

Wie lautet die Urteilsbegründung?

In 28 Fällen hält der CAS die vom IOC vorgelegten Beweise für »nicht ausreichend«, um den Vorwurf eines Dopingverstoßes aufrechtzuerhalten. Eine genaue Urteilsbegründung lieferte der Sportgerichtshof zunächst nicht. Das Gericht betonte aber, es habe nicht beurteilt, ob es, wie im Report der Welt-Antidoping-Agentur WADA festgehalten, in Russland ein staatlich gelenktes Dopingsystem gegeben habe. Seine Aufgabe sei lediglich gewesen, die individuelle Schuld einzelner Athleten zu untersuchen.

Was bedeuten die elf nur teilweise bestätigten Einsprüche?

In zumindest elf Fällen folgte der CAS der Logik der IOC-Disziplinarkommission, die die Sperren verhängt hatte: In diesen Fällen gelten die Dopingverstöße als bestätigt. Der CAS hob aber zumindest die lebenslangen Sperren auf. Die betreffenden Sportler sind damit nur für Pyeongchang (9. bis 25. Februar) gesperrt. Zu den teilweise gesperrten Athleten gehört unter anderem Doppelolympiasieger Alexander Subkow. Der Bobpilot ist aber mittlerweile zurückgetreten und fungiert heute als Präsident des Russischen Bobverbandes.

Was bewirken die Urteile in den Ergebnislisten von Sotschi?

Die Resultate der 28 freigesprochenen Athletinnen und Athleten bei den Winterspielen 2014 in Sotschi sind nun wieder gültig und werden in den Olympiawertungen weiterhin berücksichtigt. Die elf teilweise gesperrten Wintersportler hingegen bleiben bei den Ergebnislisten von Sotschi außen vor. Russland ist nach dem Urteil wieder die erfolgreichste Nation der Spiele in Sotschi - mit elf Gold-, elf Silber- und neun Bronzemedaillen auf. Das Land führt im inoffiziellen Medaillenspiegel vor Norwegen (11/5/10). Selbst wenn den Russen in den drei noch vom CAS zu verhandelnden Fällen die im Raum stehenden zwei Biathlon-Silbermedaillen aberkannt werden sollten, würde sich an der Reihenfolge nichts ändern: Die systematisch gedopte Mannschaft bleibt die erfolgreichste Nation der Winterspiele 2014.

Was sagt Russland?

Präsident Wladimir Putin freute sich über die CAS-Entscheidung. »Das bestätigt unsere Position, dass die überwältigende Mehrheit unserer Athleten sauber ist«, sagte der Präsident. Zugleich warnte er vor Euphorie: »Es gibt noch einiges zu tun, das ist völlig klar, um bei uns die Programme und die Politik gegen Doping zu verbessern.« Zuvor hatte Sportminister Pawel Kolobkow am Donnerstag in Moskau frohlockt: »Wir sind froh, dass die Gerechtigkeit endlich triumphiert hat.« Nun würden die Sportler erwarten, dass das IOC reagiere und sie auch zu den Winterspielen in Südkorea zulasse, sagte Kolobkow.

Wie reagiert das IOC?

Das IOC drückte in einer Erklärung sein »großes Bedauern« über das Urteil aus: »Auf der einen Seite beweist die Bestätigung des Verstoßes gegen die Antidoping-Richtlinien von elf Athleten aufgrund der Manipulation ihrer Dopingproben klar die Existenz von systemischer Manipulation des Antidoping-Systems bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi 2014. Auf der anderen Seite bedauert das IOC sehr, dass - laut der CAS-Mitteilung - die Gremien die bewiesene Existenz systemischer Manipulation des Antidoping-Systems in den anderen 28 Fällen nicht berücksichtigt haben. Der CAS forderte eine noch höhere Beweisdichte als die Oswald-Kommission und als bei früheren CAS-Entscheidungen.«

Wegen der möglicherweise »großen Auswirkungen« der Entscheidung auf »den zukünftigen Kampf gegen Doping« kündigte der Ringeorden eine »sehr sorgfältige Analyse« des Urteils an und stellte Konsequenzen in Aussicht - »inklusive eines Einspruchs beim Schweizer Bundesgericht«. Dort könnte das IOC aber allenfalls gegen formale Fehler vorgehen. Für das IOC war es schon die zweite schwere Niederlage innerhalb weniger Tage. Am Sonntag war bekannt geworden, dass die für die Dopingproben in Pyeongchang vorgesehenen Urinflaschen manipulierbar sind.

Was sagt der DOSB?

DOSB-Präsident Alfons Hörmann befürchtet nun eine »lang anhaltende juristische Auseinandersetzung mit jahrelangen Unklarheiten auch für die Athleten, die rückwirkend in die Medaillenränge aufsteigen müssten.« Die jetzige Entscheidung des CAS sei »leider einmal mehr ein Schlag ins Gesicht des sauberen Sports. Das ist ein höchst unbefriedigendes Urteil, weil damit das nachweislich vorhandene und völlig inakzeptable staatliche Dopingsystem in Russland nicht in der gebotenen Härte bestraft werden kann«, so der DOSB-Präsident.

Die einzelnen Urteile im Überblick:

Freigesprochen wurden die Bobfahrer Dmitri Trunenkow, Alexei Negodailo, Olga Stulnewa und Ljudmila Udobkina sowie ihre Bahnkollegen Alexander Tretjakow, Sergei Tschudinow, Jelena Nikitina, Olga Potylizyna, Maria Orlowa (alle Skeleton), Tatjana Iwanowa und Albert Demtschenko (Rennrodeln). Dazu kommen die Skilangläufer Alexander Legkov, Jewgeni Below, Maxim Wylegschanin, Alexei Petjuchow, Nikita Krjukow, Alexander Bessmertnych, Jewgenija Schapowalowa und Natalja Matwejewa, die Eisschnellläufer Alexander Rumjantsew, Ivan Skobrew, Artem Kusnezow und Olga Fatkulina sowie die Eishockeyspielerinnen Jekaterina Lebedewa, Tatjana Burina, Jekaterina Paschkewitsch, Anna Schtschukina und Jekaterina Smolenzewa.

Bei folgenden Athletinnen und Athleten sah der CAS die individuelle Schuld dagegen als bewiesen an. Alexander Subkow, Alexei Wojewoda, Alexander Kasjanow, Alexei Puschkarew, Ilwir Chusin (alle Bob), Julia Iwanowa, Julia Tschekalewa, Anastassija Dozenko (Langlauf), Galina Skiba, Anna Schibanowa, Inna Djubanok (Eishockey). Sie alle bleiben von den Winterspielen 2018 in Pyeongchang ausgeschlossen, die lebenslangen Sperren wurden aber auch bei ihnen aufgehoben.

Da Olga Saizewa, Olga Wiluchina und Jana Romanowa ihre Karrieren längst beendet haben, bestand bei den drei Biathletinnen kein Zeitdruck in Bezug auf die Spiele in Südkorea. Diese Urteile hat der CAS daher auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. mit SID und dpa

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