Ringen um Prozente

Nach dem Streik bei der Deutschen Bahn bleiben die Tarifverhandlungen turbulent

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.

In der Tarifrunde für die Beschäftigten der Deutschen Bahn (DB) bleibt es spannend. Die am Dienstag wieder aufgenommenen Tarifverhandlungen zwischen der DGB-Bahngewerkschaft EVG und dem Bahnvorstand wurden am Mittwoch fortgesetzt und dauerten bei Redaktionsschluss an.

Nachdem ein kurzfristig anberaumter Warnstreik am Montag den bundesweiten Schienenverkehr über Stunden nahezu vollständig ausgebremst hatte, erklärte am Mittwoch nun auch der Chef der Lokführergewerkschaft GDL, Claus Weselsky, die laufenden Verhandlungen überraschend für gescheitert und gab vorsorglich eine Streikdrohung zu Protokoll. »Der Arbeitgeber hat es in der Hand, ein verbessertes Angebot vorzulegen, sonst werden wir im Januar über weitere Schritte entscheiden«, verkündete er. Zugleich stellte er aber auch klar, dass es bis Jahreswechsel »voraussichtlich keine Streiks mehr geben« werde.

Beide Gewerkschaften halten das bisher angebotene Lohnplus von 2,5 Prozent für 2019 und 2,6 Prozent für 2020 bei 29 Monaten Laufzeit für nicht annehmbar. »Die Laufzeit ist zu lang, die Prozente sind daran gemessen zu niedrig«, so EVG-Verhandlungsführerin Regina Rusch-Ziemba.

Die GDL hatte sich zuletzt betont moderat gegeben und noch am Tag zuvor eigene Warnstreiks für unnötig erklärt. Weselsky hatte sogar dem Ausstand der großen Konkurrenzorganisation seine Solidarität verweigert: Angesichts eines Mangels an Personal und Zügen »muss man als Gewerkschaft auch ein bisschen Rücksicht nehmen«, erklärte der GDL-Chef.

Dies entspricht seinem bei der letzten GDL-Generalversammlung geäußerten Bekenntnis zu »Sozialpartnerschaft«, »Verantwortungsbewusstsein in der Tarifpartnerschaft« und »Wettbewerb als Grundlage unserer Wirtschaftsordnung«. Nun scheint er unter dem Druck seiner Mitglieder doch wieder kämpferischere Töne anzuschlagen.

»Der Vorstand ist für die katastrophale Situation bei der Bahn verantwortlich und nicht die Eisenbahner«, gab sich derweil EVG-Chef Alexander Kirchner am Montag vor Streikenden in Frankfurt am Main kämpferisch und widersprach der wiederholt von DB-Chef Richard Lutz geäußerten Auffassung, die wirtschaftliche Lage lasse keinen Spielraum für bessere Löhne zu. »Die Zerstückelung der Bahn war nicht unser Ziel, sondern das der Politik«, so der Gewerkschaftschef. »Wir halten zusammen und werden nur einen Tarifvertrag unterschreiben, der für alle Eisenbahner gilt und nicht für einzelne Gruppen.« Neben einer Lohnerhöhung geht es der EVG auch um Betriebsrenten und individuelle Optionen für eine kürzere Arbeitszeit.

Kirchner ist Vizechef des DB-Aufsichtsrats, der am Mittwoch im Berliner Bahntower tagte und auch über die Finanzlage des Konzerns beriet. Die bundeseigene DB war 1994 schuldenfrei gestartet. Sie hat inzwischen rund 20 Milliarden Euro Schulden angehäuft und leidet unter explodierenden Baukosten für das umstrittene Megaprojekt Stuttgart 21. Da ein für 2018 erwarteter Gewinn von zwei Milliarden Euro nicht ausreichen dürfte, um Investitionen in Fahrzeuge und Infrastruktur zu stemmen, setzt Lutz auf mehr Schulden und einen größeren Bundeszuschuss. In einem Schreiben an Lutz beklagt sich Kirchner über einen »fehlenden ganzheitlichen Ansatz im Personenverkehr« und mangelnde Kooperation der Bahntöchter DB Fernverkehr und DB Regio. Er verlangt grundlegende Veränderungen der Konzernstruktur.

Während es in Tarifrunden vor allem für untere Lohngruppen um jeden Euro mehr in der Tasche geht und ein geringes Plus bei längerer Laufzeit zunehmend von der Inflation aufgefressen wird, bringen Streiks stets auch lange angestauten Unmut zum Ausdruck. »Weihnachtswunsch 2018: Bahn-Vorstand, hör endlich auf deine Mitarbeiter, Betriebsräte und EVG!«, heißt es in einem Flugblatt von Karlsruher Eisenbahnern. »700 Millionen Euro hast Du in den letzten drei Jahren für Beraterfirmen ausgegeben. Ergebnisse: Mehr Verspätungen, mehr Störungen, mehr Personalmangel und mehr Stress für deine Arbeitnehmer!«

Für die Verhandlungsführerin der EVG, Regina Rusch-Ziemba, dürfte diese Tarifrunde die letzte in ihrer langen Laufbahn sein. Ebenso wie Kirchner will sie dem Vernehmen nach Ende 2019 ihren Vorstandsposten aus Altersgründen aufgeben. Dass Bundesgeschäftsführer Torsten Westphal in dieser Tarifrunde häufig gemeinsam mit Rusch-Ziemba vor die Kameras tritt, deutet darauf hin, dass er in einem Jahr die neue Nr. 1 der EVG werden könnte.

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