Gefährliche Rädchen im Getriebe

Was wäre passiert, wenn die Nazis damals Computer gehabt hätten? »NSA« von Andreas Eschbach ist keine Science-Fiction

  • Gerd Bedszent
  • Lesedauer: 3 Min.

Keine Angst vor dicken Büchern! Mit seinen 800 Seiten ist »NSA«, der neue Roman des Science-Fiction-Schriftstellers Andreas Eschbach, von Anfang bis Ende spannend, außerordentlich flüssig geschrieben ist er außerdem.

Eschbach wurde Ende der 1990er Jahre bekannt mit seinem Bestseller »Das Jesus-Video«. Darin ging es um eine historische Absurdität - eine Filmkassette inmitten antiken Kulturschutts. In »NSA« treibt er die Konfrontation von moderner Technik mit antiquierten gesellschaftlichen Verhältnissen auf die Spitze. Der Roman spielt im faschistischen Deutschland der 1930er und 1940er Jahre, doch bei Eschbach ist es computerisiert. Gestapo und SD fahnden rechnergestützt nach politischen Gegnern, Deserteuren und untergetauchten Juden. SS-Männer tippen auf Posten gelangweilt auf ihren Mobiltelefonen herum, wenn sie nicht gerade mit ihren Reitpeitschen auf Kriegsgefangene einschlagen. Deutsche Geheimdienstler hacken ausländische Rechner, um an Pläne für neue Waffensysteme zu kommen. Sprachlich vermeiden die Nazis Anglizismen: Computer heißen »Komputer«, E-Mails »Elektrobriefe« und das Internet »Weltnetz«.

Um herkömmliche Science Fiction handelt es sich bei dem Roman also nicht, eher um eine Art Alternativweltgeschichte. Und die ist weniger absurd als man auf den ersten Blick meint, denn die technischen Möglichkeiten für die Produktion von programmierbarer Rechentechnik waren im Faschismus durchaus schon gegeben. Eschbach hat für sein Buch sorgfältig recherchiert. Er schildert einerseits eine Alltagswelt rigider Moralvorstellungen, mit geschlechtsspezifischen Berufsgruppen und Hochzeiten, die von den Eltern verordnet wurden und andererseits die Strukturen des Naziregimes als ein Labyrinth ineinander verschachtelter, aber auch miteinander konkurrierender Dienststellen. Zahlreiche historische Personen kommen im Roman vor oder werden erwähnt: Hitler, Himmler, der SS-Führer Walter Schellenberg, der Physiker Otto Hahn, aber auch die Geschwister Scholl, der Attentäter Georg Elser und das verzweifelt in ihrem Versteck ausharrende Mädchen Anne Frank.

Die Hauptfiguren des Romans sind zwei Menschen, die scheinbar ganz normal als Rädchen im faschistischen Getriebe funktionieren. Sie arbeiten in einer der unzähligen Dienststellen, eben im »Amt für Nationale Sicherheit«, kurz NSA. Eine Anspielung auf den US-Geheimdienst, dessen immenses Überwachungsnetz vor ein paar Jahren Furore machte.

Obwohl die Programmiererin Helene und der Datenanalyst Eugen nicht gerade überzeugte Nazis sind, wirken sie ohne alle Gewissensbisse an der Umsetzung verbrecherischer Befehle und Direktiven mit. Beide nutzen aber die ihren privilegierten Zugang zu den Daten für ihre ganz persönlichen Zwecke: Helene für ein kleines Liebesglück inmitten von Weltkriegsgrauen und allgegenwärtiger Überwachung und Eugen für seinen privaten Rachefeldzug gegen diejenigen, die ihm in seiner Jugendzeit einen bösen Streich gespielt hatten.

Im Zuge dieser Aktivitäten kreuzen sich zufällig ihre Wege - und das hat ernste Folgen. Die Geschichte des Zweiten Weltkrieges verläuft nun etwas anders, als wir sie aus unseren Geschichtsbüchern kennen. Und beide Helden müssen am eigenen Leibe erfahren, dass es nun mal kein richtiges Leben im Falschen gibt.

Ist das einfach nur das amüsante Spiel mit einer Historie, die so nicht stattfand? Oder handelt es sich um eine Gesellschaftssatire? Oder um eine politische Parabel? Eine in die Vergangenheit projizierte Dystopie?

Wissenschaftlicher Fortschritt bringt nicht automatisch eine humane Gesellschaft hervor. Moderne Technik kann man für humanistische Ziele einsetzen oder als Mittel für ein Regime brutaler Folterer und Massenmörder. Bekanntlich hat das Netzzeitalter kaum vorstellbare Möglichkeiten der Überwachung eröffnet, die von begabten Hackern geknackt werden können. Was wäre die Konsequenz, wenn diese Spionage von Staats wegen erfolgt und jeder Bürger rund um die Uhr von seinem eigenen Computer, seinem Handy, seiner Fernseher überwacht wird? Der in den letzten Jahren erfolgte Aufstieg rechtsradikaler Parteien lässt eine düstere Zukunft erahnen. Eschbach hat in diesem Kontext ein grandioses und gleichzeitig wichtiges Stück Literatur geliefert.

Andreas Eschbach: NSA, Bastei Lübbe, 796 S., 22,90 €.

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