Erinnerungen an den Arbeiterpalast

Vom Bau bis zur Schleifung: Die Kunsthalle Rostock hat dem größten Kulturhaus der DDR eine Ausstellung gewidmet

Die Kunsthalle Rostock etabliert sich gerade als Ort, an dem osteuropäische und DDR-Kunst eine neue Heimstatt bekommt und Würdigung erfährt. Das Haus, das in diesem Jahr sein 50-jähriges Bestehen feiert, füllt damit eine große Lücke. Derzeit ist - nur wenige Monate nach der bemerkenswerten Schau mit Werken von Fritz Cremer und Willi Sitte - eine Ausstellung zu sehen, die das ganze Haus ausfüllt. Sie ist dem Palast der Republik gewidmet, der einst einen Teil der Fläche einnahm, auf der jetzt die Replik des Berliner Stadtschlosses protzt.

Die von Elke Neumann kuratierte Schau nähert sich dem größten Kulturhaus der DDR aus unterschiedlichen künstlerischen Perspektiven und liefert zudem gleich eingangs eine Chronologie vom Beschluss des SED-Politbüros 1973, das Gebäude zu errichten, bis zum Abriss der letzten noch stehenden Elemente Ende 2008. Allein der Titel »Utopie, Inspiration, Politikum« verspricht einen respektvollen, nachdenklichen Umgang mit dem Gegenstand und seiner Historie.

Die steht hochsymbolisch für eine Politik des Abwickelns, Delegitimierens und Diskreditierens - und des physischen Ausradierens von DDR-Vergangenheit, die mindestens während der ersten 15 Jahre nach dem Beitritt in der Bundesrepublik Staatsdoktrin war. Programmatisch verdeutlicht dies der in Rostock gezeigte großformatige Linolschnitt »Erasure« (Ausradierung). Der 1982 in Blankenburg (Harz) geborene Künstler Claas Gutsche greift hierfür ein Fotomotiv auf, das eine Innenansicht des Palastes mit Blick nach draußen durch das DDR-Emblem hindurch zeigt. Bei Gutsche ist anstelle von Hammer und Zirkel im Ährenkranz nur ein Loch zu sehen.

Dass die DDR-Symbole ab 1990 schnellstens aus dem öffentlichen Raum verschwanden, ging im Wesentlichen noch auf Beschlüsse der letzten Regierung des Landes zurück. Die CDU-geführte konservative »Allianz für Deutschland« und die SPD, die in den sechs Monaten bis zum Beitritt zur BRD am 3. Oktober desselben Jahres regierten, waren es auch, die die Schließung des Palastes zum 19. September 1990 verfügten - vorgeblich wegen dessen Asbestbelastung. »Unwillkürlich« sei damit der »Prozess des langsamen Rückbaus« eingeleitet worden, heißt es in der Ausstellungschronik. Experten hatten jedoch bereits damals darauf hingewiesen, dass das Besprühen des Stahlskeletts mit Asbest zu Brand- und Korrosionsschutzzwecken in den 70er Jahren in Ost und West üblich war. Und dass von dem verkleideten Gebäudekern keine Gesundheitsgefahren für Besucher ausgehen. Weshalb ähnliche Bauten wie etwa das Westberliner ICC noch heute stehen. Kaum anzunehmen also, dass irgendetwas im Zuge der Schleifung das Palastes ein Versehen war.

In Rostock sind einige der repräsentativen Gemälde zu sehen, die namhafte Künstler für den Palast fertigten, darunter das gar nicht so positivistische »Unser die Welt - trotz alledem« von Ronald Paris, das die Schrecken des Krieges und des entbehrungsreichen Kampfes um die Emanzipation des Menschengeschlechts in den Mittelpunkt rückt. Oder Bernhard Heisigs Ikarus-Bild. Auch Design und bauliche Gestaltungselemente des Hauses werden in den Blick genommen. Stühle, Proben der Auslegeware, deren verschiedene Farben für je eine Etage standen, Geschirr aus den Restaurants und Entwurfszeichnungen für die Livree des Personals dürften bei allen, die das Gebäude noch erleben konnten, ganz persönliche Erinnerungen wachrufen. Denn in der kleinen Republik, die auch in Zeiten der »Anerkennung von Lebensleistungen der Ostdeutschen« weiter als »zweite deutsche Diktatur« dämonisiert wird, waren die meisten vor 1980 Geborenen irgendwann mal dort.

Man konnte einfach so vorbeischauen, sich in die roten Kunstledersofas im Foyer mit der berühmten gläsernen Blume von Reginald Richter und Richard Wilhelm fläzen, den spiegelnd weißen Marmor und die Kugelleuchten auf sich wirken lassen, die Rolltreppen rauf- und runterfahren, eins der zahlreichen Lokale aufsuchen. Zugleich fanden täglich Theateraufführungen, Konzerte, Tanzveranstaltungen und vieles mehr statt. Außerdem gingen hier alljährlich Großevents wie das Festival des politischen Liedes über die Bühne, und die Berliner Erstsemester wurden im Großen Saal feierlich immatrikuliert.

Schön finden musste man diese bronzefarbenen Fensterscheiben, die damals auch viele andere Neubauten verpasst bekamen, die Formensprache und die grellen zeittypischen Farbkombinationen in dem von Heinz Graffunder entworfenen langgestreckten Haus nicht. Durchaus fragwürdig auch, ob es angesichts von Engpässen beim Wohnungsbau einen derart teuren weiteren Kulturpalast brauchte. Ein Prestigeobjekt der Staatsführung unter Erich Honecker war der Palast, der innerhalb von nur zweieinhalb Jahren komplett fertiggestellt wurde, allemal. Die DDR-Hauptstadt sollte schließlich eine Art Schaufenster des Sozialismus an dessen westlicher Außengrenze sein.

Aber das Haus hatte letztlich einen enormen Gebrauchswert. Der ließ sich in Gänze erst ermessen, als es den Bürgern weggenommen worden war. Und nachdem 1740 der 1800 dort Beschäftigten Knall auf Fall ihren Job verloren hatten. Von den verbliebenen Personen, die die Einrichtung ausbauen und Papier und kleinere Gegenstände entsorgen durften, erzählt der 1991 entstanden Film »Der Hausmeister und sein Palast« von Arpád Bondy und Margit Knapp, der in Rostock in Endlosschleife läuft. Neben der Rückbauarbeit und den Reflexionen des Hausmeisters werden zahlreiche Ausschnitte von Konzerten und Parteiveranstaltungen gezeigt. Einmal ist der Schauspieler Hans-Peter Minetti zu sehen, wie er vor Delegierten eines SED-Parteitages einen Text rezitiert, in dem vom realen Sozialismus als dem »Sieger der Geschichte« die Rede ist.

Das Unverständnis über den »Rückbau« war in all den Jahren nicht nur bei Ostdeutschen, sondern auch bei vielen westdeutschen und internationalen Kulturschaffenden groß. Immer wieder gab es Interventionen, Petitionen, Vorschläge, wie das Ganze doch noch zu retten oder wenigstens in etwas Neues zu integrieren wäre. Doch all das wurde von den verschiedenen bis 2008 amtierenden Bundesregierungen verworfen.

Allgemein markierte der 18 Jahre und damit länger als das »Leben« des Palastes währende Vernichtungsprozess das Ende einer Zeit, in der Hochkultur und »leichte Muse«, Politik und Unterhaltung unter einem Dach und vor allem barrierefrei koexistierten. Einer Zeit, in der der Zugang zu Konzerten und Bühnenkunst keine Klassenfrage war. Von Schließung waren nach 1990, und das ist ein mindestens so großer Verlust wie das Verschwinden des Palastes, auch zahlreiche Theater in Ostdeutschland und ihre Ensembles betroffen.

Leben und Sterben des für die Ostberliner Mitte einst zentralen Baus werden in Rostock in zahlreichen Fotostrecken, Gemälden, Videoinstallationen, Aktionskunstobjekten reflektiert. Eindrucksvoll die Bilder renommierter Fotografinnen und Fotografen wie Sibylle Bergemann, Harald Hauswald und Gerd Danigel. Aber auch zwei gegenübergestellte Bilder von Irina Liebmann: links eine Aufnahme, 1984 schnell geschossen im Palast der Republik, in dem das Foyer geradezu karg wirkt. Und rechts das Foto eines Mannes beim Zerlegen von Überresten des Gebäudes aus dem Jahr 2007. Der Titel: »Arbeiter, den Arbeiterpalast abreißend«. Spannend Liebmanns Reminiszenzen dazu. Seinerzeit war sie eigentlich unterwegs, um Altbauten zu fotografieren, sozusagen vor dem Vergessen zu bewahren, weil sie mit deren stückweisem Verfall und Verschwinden rechnete. »NIE«, schreibt die Autorin und Fotografin, »hätte ich für möglich gehalten, dass es andersherum kommt: Das Neue ist verschwunden und das Alte wurde erhalten und blieb.« »So gewalttätig« sei nach 1990 der »Furor der Zerstörung« gewesen, dass das Gebäude faktisch »mit Stumpf und Stiel ausgerissen« werden musste.

Der Leiter der Kunsthalle, Jörg-Uwe Neumann, meint in einem Grußwort im Katalog der Ausstellung, aus »heutiger Perspektive« erscheine es »unwahrscheinlich, dass der Palast abgerissen worden wäre«. Durchaus kritisch schreibt Neumann mit Blick auf die Schleifung des Kulturhauses von einem »starken, bilderstürmenden Zeichen«. Ein sonst häufig gebrauchtes Wort, etwa im Zusammenhang mit von DDR-Autoritäten verfügten Sprengungen im Zweiten Weltkrieg stark beschädigter Gebäude wie des Berliner Stadtschlosses und der Potsdamer Garnisonkirche, ist in der Ausstellung nicht zu finden: Barbarei. Dabei wurde hier eine voll funktionstüchtige Kulturstätte mit hohem Identifikationswert dem Erdboden gleichgemacht.

Dafür gehört auch dies zur Rostocker Schau: Ein Werk des US-Medienkünstlers Doug Hall, das eine Innenaufnahme des Palastes zeigt, darüber in roten Buchstaben der Spruch »Kirche und Staat sprechen zu den Massen durch Kathedralen und Paläste und bringen sie durch Ehrfurcht zum Schweigen.« Nun ja. Wer mal im Palast war, hat niemanden gesehen, der irgendwie eingeschüchtert oder in Bewunderung erstarrt war.

»Palast der Republik - Utopie, Inspiration, Politikum«. Ausstellung mit umfangreichem Begleitprogramm in der Kunsthalle Rostock, Hamburger Straße 40. Bis 13. Oktober. Katalog unter dem gleichen Titel, hrsg. von Elke Neumann und der Kunsthalle. Mitteldeutscher Verlag, 232 S. mit zahlreichen Abbildungen, 30 €, in der Ausstellung 25 €.

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