• Kultur
  • Buchmesse Frankfurt/Main

Den Medien zum Fraß vorgeworfen

Der letzte Verfassungschef der DDR, Heinz Engelhardt, berichtet über die Auflösung eines Imperiums

  • Helmut Müller-Enbergs
  • Lesedauer: 3 Min.

Der 45-jährige Heinz Engelhardt, jüngster General des MfS, Leiter der Bezirksverwaltung der Staatssicherheit in Frankfurt/ Oder, erhielt im Dezember 1989 den Auftrag, das Sicherheitsimperium von 90 000 Mitarbeitern zu einem Verfassungsschutz mit 10 000 Hauptamtlichen umzubauen. Am 28. Dezember 1989 bezog er eine Wohnung in der Hauptstadt der DDR. Zwei Wochen später wurde er mit der Auflösung der »Firma« beschäftigt. Das hatte er sich nicht träumen lassen, als er 18-jährig in Mielkes Dienst eingetreten war. Die Beerdigung der Repressionsarchitektur dürfte eine undankbare Aufgabe gewesen sein.

Heinz Engelhardt/Peter Böhm: Der letzte Mann. Countdown fürs MfS.
Edition Ost, 288 S., br., 16,99 €.

»Krenz, Modrow und andere wollten die Partei retten, und so wurden wir den Medien zum Fraß vorgeworfen«, äußert er gallig im Rückblick. Freunde brachte ihm seine nunmehrige Aufgabe nicht ein - abgesehen von »Georg«, an den er in dem Interviewband mit dem Publizisten Peter Böhm gern zurückdenkt.

Im Buch sind etliche interessante Details zu entdecken. Im Januar 1992 wandten sich vier Generäle an den bundesdeutschen Innenminister - und somit an den zukünftigen Präsidenten des Bundesamtes, Eckhard Werthebach. Es ging ihnen um die Zukunft ehemals hauptamtlicher und inoffizieller Mitarbeiter. Einen Monat später saß man an einem Tisch zusammen, dabei war auch der ehemalige Leiter der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), Werner Großmann. Während die westliche Seite an den Klarnamen der Quellen des einstigen DDR-Nachrichtendienstes sowie der Vermeidung ihrer Weiterbeschäftigung durch den russischen Nachrichtendienst SWR interessiert war, wollte die östliche Seite deren strafrechtliche Verfolgung verhindern.

Eine Lösung sei schnell gefunden worden, äußert Engelhardt. Die Westseite hätte allen DDR-Quellen für den Fall Straffreiheit zugesagt, dass sie sich selbst stellten, und »wir hätten unsere Verbindungen zu diesem Personenkreis genutzt, um sie von dieser Möglichkeit in Kenntnis zu setzen«. Bei diesem Treffen sei auch darüber gesprochen worden, »perspektivisch für unsere Leute eine akzeptable Versorgungsregelung, also angemessene Renten und Pensionen hinzukriegen«. In »sachlicher Atmosphäre« habe man in dieser Runde »Kompromisse« gefunden, »mit denen beide Seiten hätten leben können«. Daraus sei jedoch nichts geworden, weil ehemalige leitende Mitarbeiter der HVA übergelaufen seien und Quellen preisgegeben hätten. Dies geschah bereits, als die DDR noch formal existierte. Dennoch: Die Aktion »Opal« des bundesdeutschen Verfassungsschutzes, die im Oktober 1990 angelaufen war und auf eine intensive Befragung der ehemaligen Hauptamtlichen des MfS zwecks Enttarnung von Agenten im Westen zielte, brachte nicht den gewünschten Erfolg. Die Mehrheit der HVA-Mitarbeiter diente sich nicht der neuen Macht an.

Was aber wurde aus dem in kleiner Runde erstrittenen Kompromiss? Böhm befragte den angenehm nüchtern wirkenden Engelhardt darüber nicht näher. Bekannt ist, dass hochrangige DDR-Spione verhaftet und verurteilt wurden. Und der CIA die mikroverfilmte Personenkartei der HVA in die Hände gespielt wurde, einschließlich der hochsensiblen Statistikbögen, die reichlich Merkmale zum Profil des Quellennetzes enthielten.

Nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik sattelte Engelhardt um, wurde Kaufmann bei einem Reiseunternehmer. »Georg«, den er während des Sturms auf das Headquarter der Stasi in Berlin kennengelernt hatte, gab Engelhardt ein Interview. Über das Gespräch mit dem jungen Journalisten Georg Mascolo, dem späteren Chefredakteur des »Spiegels«, berichtet Engelhardt: »Da die Chemie zwischen uns stimmte, das Filmteam sich sachlich und höflich benahm, war ich es auch. Ich bot Kaffee und später auch Wodka an. Beides wurde gern angenommen.« Und: »Unsere freundschaftliche Verbindung, die am 15. Januar 1990 durch den Besuch von Mascolo in meinem Dienstzimmer entstand, hält trotz aller Turbulenzen, die das Leben seither mit sich brachte, bis heute.«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal