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»Ein Bedrohungsszenario wird aufgebaut«

Rote-Hilfe-Bundesvorstandsmitglied Anja Sommerfeld zum 129er-Verfahren gegen die Antifaschistin Lina E.

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 5 Min.

Kürzlich haben Polizisten in Leipzig eine Antifaschistin festgenommen. Was sind die Vorwürfe der Behörden gegen Lina E.?

Lina wird vorgeworfen, gemeinsam mit weiteren Personen an mehreren Angriffen auf Faschisten beteiligt gewesen zu ein. Ihnen wird zur Last gelegt, eine kriminelle Vereinigung nach Paragraf 129 StGB gegründet zu haben, deren Ziel es sein soll, »Angriffe gegen Personen der rechten Szene durchzuführen«. Dabei soll Lina angeblich eine »herausgehobene Stellung« eingenommen haben.

Anja Sommerfeld
Die Aktivistin ist Mitglied im Bundesvorstand der Roten Hilfe. Der Verein unterstützt linke Aktivist*innen, die im Rahmen ihrer politischen Arbeit mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind und sieht sich selbst als »parteiunabhängige strömungsübergreifende linke Schutz- und Solidaritätsorganisation«. Mit Sommerfeld sprach Sebastian Bähr.

Wie ordnen Sie die diesbezüglichen Durchsuchungen und die Stellungnahme der Bundesanwaltschaft ein?

Hier wird mal wieder ein Bedrohungsszenario von links aufgebaut, indem schwere Tatvorwürfe erhoben werden und die Betroffenen direkt zu einer »kriminellen Vereinigung« erklärt werden. Die Pressemitteilung der Bundesanwaltschaft liest sich wie eine Vorverurteilung, mit der öffentlich gegen Antifaschist*innen Stimmung gemacht werden kann.

Was ist der Zweck des Paragrafen 129?

Der Zweck des Paragrafen 129 ist neben der öffentlichen Stigmatisierung die Möglichkeit, die von Repression direkt Betroffenen, aber auch ihr gesamtes Umfeld überwachen zu können. Nur ein Bruchteil dieser Ermittlungsverfahren kommt überhaupt zur Anklage, soll aber auf die Beschuldigten maximalen Druck aufbauen. Dahinter steht sicher auch die Hoffnung, dass andere Aktivist*innen sich distanzieren, um nicht selbst in die Fänge des Repressionsapparates zu geraten. Zusammengefasst handelt es sich um einen Gesinnungsparagrafen, der zur Strukturermittlung vor allem gegen Linke genutzt wird.

In Sachsen gab es in den letzten Jahren massive 129er Verfahren gegen Linke, etwa gegen das Umfeld von Dresden Nazifrei oder eine vermeintliche Leipziger »Sportgruppe«. Was sind Ihre Erfahrungen?

Gerade aus diesen Ermittlungsverfahren lässt sich eine klare Strategie der sächsischen Behörden ableiten: Sie wollen linke Aktivist*innen möglichst umfangreich überwachen und kriminalisieren. Wir erinnern uns: Mit Dresden Nazifrei sollte 2011 ein erfolgreiches bundesweites Bündnis, das öffentlich zu Aktionen des zivilen Ungehorsams gegen den bis dahin europaweit größten jährlichen Naziaufmarsch aufgerufen hatte, mit Hilfe des Paragrafen 129 zerschlagen werden. Der Naziaufmarsch war durch Demonstrationen und Sitzblockaden verhindert worden. Das Verfahren musste nach 16 Monaten eingestellt werden. Auch das Verfahren gegen die sogenannte antifaschistische »Sportgruppe« wurde nach vier Jahren ergebnislos eingestellt.

Dennoch haben die Verfahren starke Auswirkungen auf die Beschuldigten gehabt.

Die Belastungen für die Beschuldigten sind enorm. Die Verfahren sollen auch Antifaschist*innen von ihrem Engagement abhalten. Das hat bisher aber offensichtlich nicht funktioniert.

Wie sollte die antifaschistische Bewegung auf das Verfahren gegen Lina E. reagieren?

Es ist besonders wichtig, sich in der Solidarität weder von den Tatvorwürfen noch der Kriminalisierung abschrecken zu lassen. Unserer Meinung nach sollte sich die gesamte Linke und Zivilgesellschaft eindeutig zu Wort melden und die sofortige Freilassung von Lina und die Einstellung des Verfahrens fordern. Man muss auch nicht in »der Antifa« sein, um sich öffentlich zu positionieren. Die Art und Weise, wie mit den Aktivist*innen umgegangen wird, ist Anlass genug.

Wie kann geholfen werden?

Jede Stellungnahme, die sich gegen die Kriminalisierung richtet, ist hilfreich, und jetzt ist dafür genau der richtige Zeitpunkt. Unsere Genoss*innen in Berlin sammeln außerdem bereits Spenden, um die Prozesskosten zu decken, die erwartungsgemäß ziemlich hoch ausfallen werden. Es ist wichtig, alle Betroffenen nicht allein zu lassen.

Zuletzt gab es häufiger Meldungen von 129er Verfahren gegen Linke. Sehen Sie hier eine Zunahme?

Verfahren nach Paragraf 129ff. und Untersuchungshaft gehören seit jeher zum festen Repertoire gegen linke Gruppen und Bewegungen. Vom Verfahren gegen den Roten Aufbau Hamburg, die inhaftierten Antifaschist*innen in Stuttgart, die türkisch-kurdischen Aktivist*innen bis zu den eingesperrten Klimaaktivist*innen in Frankfurt am Main ist der Hintergrund, aktive linke Gruppen und Bewegungen in ihren Aktivitäten einzuschränken und die Betroffenen an der politischen Arbeit zu hindern. Die Aufzählung zeigt, dass es ganz verschiedene Spektren der gesellschaftlichen Linken mit unterschiedlichen Ausrichtungen trifft. Genauso ist es die Sache aller Linken und Grundrechtsaktivist*innen, diesen Zusammenhang zu sehen und dagegen zu protestieren.

Stichwort Grundrechte: Auch einige Linke hatten zuletzt ein härteres staatliches Vorgehen gegen Demos von Gegner*innen der Coronamaßnahmen gefordert. Ist dies die richtige Antwort?

Als Rote Hilfe fordern wir kein härteres staatliches Vorgehen. Das Engagement gegen jede Spielart rechter Mobilisierungen ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die uns alle betrifft und herausfordert. Ein wichtiges Arbeitsfeld bleibt für uns, daran mitzuwirken, dass unter dem Deckmantel der notwendigen Pandemie-Bekämpfung das Versammlungsrecht nicht nachhaltig ausgehöhlt wird.

Noch mal zu Sachsen: Jüngst kam es auf einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen in Leipzig zu Ausschreitungen von Neonazis. Die Landesregierung hielt sich hier mit Maßnahmen zurück, ließ dafür aber Wasserwerfer gegen Linke in Connewitz auffahren. Wie bewerten Sie dieses Vorgehen?

Es ist stark zu vermuten, dass auch hier die Gelegenheit genutzt wurde, massiv gegen links aufzufahren mit allem PR-Getöse, was dazu gehört. Warum Corona-Leugner*innen mit starker rechter Schlagseite marodierend durch Leipzig ziehen konnten, muss die Landesregierung beantworten. Es ist auch kein neues Phänomen, dass diese Gruppierungen gezielt Journalist*innen angreifen. Und da soll es nicht möglich sein, diese zu schützen? Es fällt schwer, von einer polizeilichen Fehleinschätzung auszugehen, wenn wir die Aufmärsche dieser Corona-Leugner*innen zum Beispiel in Stuttgart oder Berlin betrachten.

Inwiefern?

Dass der Polizeiapparat Großdemonstrationen aufhalten oder zerschlagen kann, hat er zuletzt bei den Demonstrationen 2017 gegen das G20-Spektakel der Herrschenden gezeigt. Auch die kurdische Bevölkerung hierzulande kann ein Lied davon singen, dass hier notfalls gewalttätig vorgegangen wird, um eine missliebige Versammlung zu stoppen.

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