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Die im Licht

»Treuhand Techno«: Abwicklung und Hedonismus in der Ex-DDR

Als der Realsozialismus zusammenbrach, wurde Techno erfolgreich. Politische Depression gegen Hedonismus. Neue Arbeitslosigkeit und neue endlose Partys im Osten. Man kann das auch so zusammenfassen: Die ältere Generation litt unter Verlust, die jüngere hatte ein revolutionär neues Lebensgefühl. »Was beide Generationen einte, waren schlaflose Nächte«, sagt die Politikwissenschaftlerin und Kommunikationstrainerin Anna Stiede. Sie hat mit der Performancegruppe Panzerkreuzer Rotkäppchen und ein paar anderen Leuten die Reihe »Treuhand Techno« entwickelt. Es ist ein »künstlerisches Forschungsprojekt, das durch den Osten zieht« und die Parallelentwicklungen von ökonomischer Verwüstung und subkulturellem Empowerment untersucht. Zuerst in Apolda, Thüringen, wo Stiede zur Schule gegangen ist, und nun auch in Berlin-Friedrichshain. Am Donnerstag fand in dem seit der Pandemie publikumslosen Club ://about blank, bereits der zweite digitale »Online-Salon« zum Thema statt.

Es ist eine gute Idee, die Treuhandanstalt und Techno zusammen zu denken. Auf den einfachsten Nenner gebracht: Für Raves brauchte man billige leere Hallen und die gab es in den Fabriken, die die Treuhand dicht gemacht hatte. Sie privatisierte, verkleinerte und zerschlug die Staatsbetriebe der DDR. Über die leerstehenden Gebäude in Ostberlin, die »Tekknozid«-Partys von Wolle XDP und die DT64-Sendung »Dancehall« von Marusha, die erste im Radio über Techno, ist schon viel geschrieben worden. War Techno der Sound des Neoliberalismus, für die Selbstoptimierung der Hochleistungstänzer*in? Ja, aber nicht nur. Denn dazu konnte man tanzen, wie man wollte und dazu konnte man anziehen, was man wollte. Klingt banal, war aber wichtig. Die neue Musik konnte jeder am Computer machen und anfänglich auch ziemlich hierarchiefrei auf Partys auflegen. In euphorischen Momenten war das der »Freizeitkommunismus«, der später beim Fusion-Festival beschworen wurde.

Es gab auch konkrete Verbindungen zwischen Treuhand und Techno, wie sie am Donnerstag im ://about blank von der Moderatorin Stiede und ihren Gästen diskutiert wurden. Thema waren die Glühlampen des VEB Narva, die Anfang 1991 im neuen Ostberliner Techno-Club Tresor landeten - als die Treuhand gerade dabei war, 5000 Narva-Beschäftigte raus zu schmeißen. Von dieser Zeit erzählte die frühere Ingenieurin Monika Sommer, der am letzten Tag ihres Urlaubs per Telefon gekündigt wurde, nach fast 30 Jahren. Als erstes wurden die Frauen entlassen, erinnerte sie sich. Zwar arbeiteten in ihrer Abteilung genauso viele Männer wie Frauen, aber die Männer verdienten auch in der DDR mehr. Und meistens waren sie die Vorgesetzten: »So gerecht ging das doch nicht zu«, meinte Sommer, die ihre Arbeit aber als »komfortabel« empfand. Sie konnte auf Betriebskosten als Mutter zweier Kinder studieren. Ursprünglich war sie technische Zeichnerin. In der BRD hatte die Narva keine Chance, weil die westdeutsche Firma Osram keine Konkurrenz wollte, meinte Sommer.

»Die Glühlampe ist das einzige Produkt, das sich in seiner Entwicklung technisch verschlechtert hat«, erzählte im Anschluss der Journalist Helmut Höge, der darüber vor 20 Jahren ein Buch herausgegeben hat. Im 19. Jahrhundert leuchtete eine Birne noch 1500 Stunden, heute sind es nur 1000. Spezialanfertigungen der Narva schafften 3000. Höge war dabei, als sich bei Narva eine basisdemokratische Betriebsräte-Initiative gründete. Sie missfiel den westdeutschen Industriegewerkschaften, die sich nach Branchen gliederten, denn die Ostler wollten nach Betrieben organisieren. Tragischerweise mussten die neuen Betriebsräte »dann ihre Entlassungen moderieren«, sagte Höge. Alle Versuche, die Narva durch neue Eigentümer zu retten, endeten katastrophal. Politisch gewollt waren sie nie.

Bei Narva hatte Monika Sommer in der Abteilung für Rationalisierungen gearbeitet. Doch da ging es um neue Maschinen, Anschlüsse und Abwärme. Diejenigen, die an den Maschinen standen, arbeiteten »im Licht« wie man bei Narva sagte. »Die Maschinen gaben den Takt vor, man musste schnell sein«, beschrieb sie diese Arbeit. Ganz wie beim Techno. Beim ersten »Online-Salon« , der Anfang des Monats stattfand, hatte Barbara Hofmann, eine der DJs des ://about blank, von ihrem ersten Besuch im Tresor 1991 berichtet: »mega Strobo, mega Nebel, total laut«. Das einzige, was sie sehen konnte, waren die Handbewegungen der Tanzenden. Und draußen waren die Straßen Ostberlins nur schwach beleuchtet.

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